Host-Info
Rainer Münz
Bevölkerungswissenschaftler, Senior Fellow am Hamburgischen Weltwirtschafts-Archiv
 
ORF ON Science :  Rainer Münz :  Gesellschaft 
 
Bald keine Ost-West Wanderungen in Europa mehr?  
  Im Gegensatz zu gängigen Prognosen wird der Geburtenrückgang und die wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern Ostmitteleuropas die Bereitschaft, in den Westen zu gehen, drastisch senken. Doch Studien und Umfragen sagen nach wie vor ein hohes Wanderungspotenzial von Ost nach West voraus.  
Das schürt die Angst der deutschen, Österreicher und Skandinavier vor einer neuen Welle der Zuwanderung und macht die EU-Osterweiterung unpopulär.
Keine gepackten Koffer
Immerhin bekunden 4,5 Millionen der rund 70 Millionen Einwohner des Baltikums, Polens, der Slowakei, Sloweniens, Tschechiens und Ungarns Interesse an einer Auswanderung in den Westen.

Doch von diesen sitzen die meisten nicht auf gepackten Koffern. Nur etwa eine Million Menschen haben eine konkrete Vorstellung, was sie im Westen tun wollen und wohin es gehen soll.
Wunschziel Nachbarland
Fast die Hälfte von ihnen will nach Deutschland, ein Drittel nach Österreich, der Rest nach Skandinavien, in die Schweiz oder nach Nordamerika. Wunschziel sind in erster Linie die jeweiligen Nachbarstaaten. Und das ist kein Zufall.

Denn die potenziellen Migranten wollen in der Regel nur kurz oder mittelfristig im Westen arbeiten. Viele würden am liebsten pendeln. Nur wenige planen eine permanente Auswanderung.
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EU-Erweiterung: Zusätzliche Chancen
Ähnliches zeigte sich schon bei der Süderweiterung der EU. Auch damals befürchteten die alten EU-Staaten eine erhebliche Zuwanderung aus Griechenland, Spanien und Portugal und vereinbarten lange Übergansfristen. Doch die Südeuropäer kamen nicht. Denn für viele von ihnen hatte die EU-Mitgliedschaft zusätzliche Chancen im Heimatland eröffnet.
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Einwohnerrückgang nicht aufzuhalten
Selbst wenn alle 4,5 Millionen Ostmitteleuropäer tatsächlich kommen, die heute ans Auswandern denken, kann dies den Rückgang der Einwohnerzahl in Deutschland, Österreich oder Italien nicht aufhalten.

Was uns heute Angst macht, wird manchen schon bald als Antwort auf eine schrumpfende Bevölkerung erscheinen: die Zuwanderung aus Polen und anderen zukünftigen EU-Staaten.
Geburtenrückgang auch in Ostmitteleuropa
Denn auf längere Sicht fallen die neuen EU-Staaten im östlichen Europa als Herkunftsgebiete von Ost-West-Wanderern ohnedies aus. Mit Einführung der Marktwirtschaft kam es dort überall zu einem deutlichen Rückgang der Geburten.

Auf das Arbeitskräfteangebot und das Migrationspotenzial wird sich dies nach dem Jahr 2010 auswirken. Die niedrigen Geburtenzahlen von heute werden das Migrationspotenzial im östlichen Europa noch drastischer senken als die wirtschaftliche Entwicklung.

Wer eine Putzfrau, einen Gärtner oder einen Facharbeiter sucht, wird sich in Zukunft eher in der Ukraine, in der Türkei oder in Nordafrika umschauen müssen.
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Kürzlich erschien zum Thema des Beitrags: Heinz Fassmann/Rainer Münz (Hg.): Ost-West-Wanderungen in Europa. Wien - Köln - Weimar (Böhlau Verlag), ATS 498,- / DM 69,80.
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