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Ältester Primaten-Vorfahr in Asien entdeckt  
  Der Stammbaum der Primaten - eine Gruppe von Säugetieren, zu denen neben Halbaffen und "echten" Affen auch der Mensch zählt - wurde durch eine aktuelle Veröffentlichung um ein neues Detail bereichert. Chinesische Wissenschaftler fanden in der Provinz Hunan die 55 Millionen Jahre alten Überreste eines kleinen Insektenfressers. Dieser gehörte vermutlich bereits jener Stammlinie an, die später auch Homo sapiens hervorbrachte.  
Über die Lebensweise dieses nunmehr ältesten bekannten Primaten gibt es in der Fachwelt indes noch keine Übereinstimmung. Wie Xijun Ni und seine Kollegen von der chinesischen Akademie der Wissenschaften argumentieren, sei das 28 Gramm leichte Tier bereits tagaktiv gewesen.

Dem widerspricht ein US-amerikanischen Kollege in einem Begleitartikel ungewöhnlich heftig: Er beharrt auf der bisher gängigen Lehrmeinung, der zufolge die Urprimaten noch ausgesprochene Nachtschwärmer gewesen sind.
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Die Studie "A euprimate skull from the early Eocene of China" von Xijun Ni et al. erschien im Fachmagazin "Nature" (Band 427, S. 65-68, Ausgabe vom 1.1.04).
->   Nature
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Blick zu den Ursprüngen
Pünktlich zum Jahreswechsel findet sich in der Zeitschrift "Nature" ein willkommener Anlass für einen naturgeschichtlichen Rückblick: Allerdings nicht nur für ein Jahr, sondern gleich um mehr als 50 Millionen.

So alt ist nämlich der kürzlich von Xijun Ni und Mitarbeitern in der chinesischen Provinz Hunan ausgegrabene Schädel, den die Wissenschaftler zweifelsfrei der Gruppe der Primaten zuordnen.
Versteinerte Urkunde
 
Bild: Nature

Der von oben fotografierte Schädel und dessen Rekonstruktion in der Seitenansicht.
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Infos zu Primaten
Zu den Primaten - nach dem deutschen Biologen Ernst Haeckel (1834 -1919) mitunter auch als "Herrentiere" benannt - gehört neben Lemuren, Koboldmakis und Affen auch der Mensch. Gemeinsame Merkmale der Primaten sind z.B. der Besitz von zwei Schlüsselbeinen bzw. eines Blinddarmes. Der schwedische Naturforscher Carl von Linne, der den Begriff "Primates" 1758 einführte, hatte noch die beiden Brustzitzen sowie die beiden parallelen oberen Schneidezähne als Ordnungskriterien herangezogen. Für diese Merkmale gibt es jedoch einige Ausnahmen (z.B. bei den Fingertieren).
->   Weitere Details bei Wikipedia
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Älteste Funde aus dem Eozän bekannt
Die ältesten fossile Belege der Primaten tauchen nach Auskunft von Paläontologen in den Gesteins- und Bodenschichten des frühen Eozäns (d.h. vor rund 55 Millionen Jahren) auf. Bisher fand man in Europa und in Nordamerika einige Exemplare.

Neu an den nun aufgetauchten Knochen ist zweierlei: Zum einen ist der gefundene Schädel ungewöhnlich gut und komplett erhalten - bisher fand man nämlich nur Zähne bzw. Kieferfragmente.
->   Die Welt im Eozän (geologeninfo.de)
Vorfahr stammt aus Asien
Zum zweiten wurde der aktuelle Fund nun zum ersten Mal in Asien getätigt. Eine Tatsache, die neues Licht auf die Verbreitungsgeschichte der Primaten wirft.

Ni und seine Kollegen tragen dem in ihrer Funktion als taxonomische Taufpaten auch Rechnung: Teilhardina asiatica lautet der wissenschaftliche Name des Fossils.
->   Taxonomen als "Taufpaten" der Naturwissenschaft (2.10.02)
Leichtgewicht: Primat hatte nur 28 Gramm
Die Paläontologen geben in ihrer Studie jedoch nicht nur über anatomische Details des Fundes Auskunft, sie stellen auch Spekulationen über dessen Lebensweise an.

Die Kleinheit des Tieres mit einer geschätzten Körpermasse von nur 28 Gramm spreche dafür, dass es sich um einen Insektenfresser gehandelt habe.
Diskussion um Lebensweise: Tagaktiv - oder nicht?
Überraschend ist vor allem folgender Befund: Xi und Mitarbeiter schließen aus dem Verhältnis von Augenhöhlen zur Schädelgröße, dass der Primat in Miniaturausgabe tagaktiv gewesen sei. Dies widerspricht der bisher verbreiteten Ansicht, dass die Urprimaten des Nächtens auf Nahrungssuche gingen.

Ein Schluss, dem Robert D. Martin vom US-amerikanischen Field Museum, Illionois, in einem Begleitartikel ungewöhnlich deutlich entgegentritt.

Er kritisiert die statistische Analyse der chinesischen Forscher und fordert zudem die Heranziehung weiterer anatomischer Daten. Seiner Ansicht nach sei der Insektenfresser sehr wohl nachtaktiv gewesen - und die Hypothese der chinesischen Forscher mithin schlichtweg falsch.
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Der Artikel "Chinese lantern for ealry primates" von Robert D. Martin erschien im Fachmagazin "Nature" (Band 427, S. 22-23, Ausgabe vom 1.1.04).
->   Nature
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Stammbaumbasis komplettiert
Bild: Nature
Das ist insofern bemerkenswert, als die "Nature"-Begleitartikel Originalarbeiten in der selben Magazinausgabe erläutern und in einen weiteren fachlichen Kontext stellen sollen. Zu krass unterschiedlichen Schlussfolgerungen der jeweiligen Autoren kommt es normalerweise äußerst selten.

Übereinstimmung lässt sich zumindest in folgendem Punkt finden: Der Stammbaum der Primaten zeigt zwei Hauptlinien. Eine, die zu den heute lebenden Lemuren führte ("Strepsirhini"), und eine zweite, die schließlich Koboldmakis, Affen und nicht zuletzt den Menschen hervorbrachte ("Haplorhini").

Teilhardina asiatica reiht sich schließlich in die zweite Gruppe ein - und zwar so nahe an dessen Ursprung, wie kein bisher bekanntes Fossil zuvor. Nebenstehende Grafik zeigt die Verwandtschaftsverhältnisse der verschiedenen Tiergruppen an: "T1" bezeichnet das neu entdeckte Fossil, "T2" ein schon bisher bekanntes Fundstück aus Nordamerika.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Chinesische Akademie der Wissenschaften
->   Field Museum
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01.01.2010