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Tropische Verflechtungen  
  Bislang wurden Flechten im südamerikanischen Regenwald von der Wissenschaft eher stiefmütterlich behandelt. Ein Grazer Team von Lichenologen erschloss nun - gefördert vom Wissenschaftsfonds (FWF) - den weißen Fleck auf der biologischen Landkarte. Und entdeckte dabei eine Reihe neuer Arten von Flechten.  
Artenvielfalt in Venezuela
Der Lichenologe - Flechtenforscher - Josef Hafellner vom Institut für Botanik an der Uni Graz untersucht seit einigen Jahren die Artenvielfalt und Verteilungsmuster der Flechten im Regenwald am Surumoni, einem kleinen Schwarzwasserzufluss des Oberen Orinoko in Venezuela.

Gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Harald Komposch konnte der Wissenschaftler an neun untersuchten Bäumen über 250 verschiedene Flechtenarten feststellen. "Das ist ein im Verhältnis zur Winzigkeit der untersuchten Fläche beachtlicher Beitrag zur Biodiversität", resümiert Hafellner die ersten Ergebnisse.
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Flechten
Flechten sind Zwitterwesen, bei denen sich ein Pilz mit ein bis zwei Algenarten zu einer neuen Einheit verbindet und damit die Fähigkeit erlangt, neue ökologische Nischen zu besetzen. Die blütenlosen Pflanzen werden in Europa seit Jahrzehnten als Bioindikatoren für Luftverschmutzung wissenschaftlich unter die Lupe genommen. Regenwälder-Flechten und ihr Ökosystem wurden bislang wenig beachtet.
->   Mehr über Flechten
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Einzigartiger Lebensraum im Regenwald
Die Analyse zeigte zudem ein weiteres interessantes Detail: Für Flechten stellt nicht nur das Kronendach, sondern besonders die inneren Bereiche des Regenwaldes einen einzigartigen Lebensraum dar.

"Dieses Biotop ist allerdings nach massiven Eingriffen wie beispielsweise großflächigen Brandrodungen nachhaltig und auf Dauer gestört", erläutert der Lichenologe die aktuellen Probleme.

"In den aufgelockerten Sekundärwäldern und angrenzenden Savannen kommen die meisten Flechten aus dem Urwaldinneren nicht mehr vor - interessanterweise aber viele Arten aus dem Kronendach, die sich in diesem neuen Biotop wohl zu fühlen scheinen."
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Forschungskran für Urwald-Flechten
Um in den luftigen Höhen des Kronendachs Untersuchungen an den Urwald-Flechten durchführen zu können, benutzte das Grazer Forschungsteam einen von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gesponserten Forschungskran. Im Januar 1996 wurde im Tieflandregenwald von Südvenezuela am oberen Orinoko ein Turmdrehkran von 40 Meter Höhe in Betrieb genommen, der einzigartige Möglichkeiten zur Erforschung des Ökosystems dieses Primärwaldstandortes ermöglicht. Der Kran bewegt sich auf Schienen und ermöglicht den Zugang zu etwa 1,5 Hektar Waldfläche. Dabei können alle Höhenstufen in diesem Bereich angefahren werden, so dass sich ideale Möglichkeiten für biologische, faunistische und ökologische Forschungen
ergeben.
->   Projekt Surumoni, Österreichische Akademie der Wissenschaften
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Über 2.300 Flechten analysiert
Allein während des ersten Monats am Surumoni konnten die beiden Lichenologen über 2.300 Flechten von den neun Bäumen "abmontieren" und im Grazer Institutslabor analysieren, um die Verteilungsmuster einzelner Arten sowie verschiedener ökologischer Typen herauszuarbeiten.
Krustenflechten vorherrschend
Nach lichtmikroskopischen Untersuchungen und chemischen Analysen der Inhaltsstoffe konnte Harald Komposch eine hohes Maß an Artenvielfalt feststellen: Im Tiefland-Regenwald sind vor allem die so genannten Krustenflechten vorherrschend.

Das sind Flechten, die eng an die Baumborke gepresst oder sogar in die Borke eindringend wachsen und oftmals nicht leicht als solche erkennbar sind. Drei Flechtenfamilien dieses Bautyps machen fast drei Viertel der gesamten Artenvielfalt aus.
60 Prozent Neuentdeckungen
Im Falle der artenreichsten Krustenflechtenfamilie, der Thelotremataceae, sind ungefähr 60 Prozent der untersuchten Proben für die Wissenschaft völlig neu.

"Noch können wir überhaupt nicht abschätzen, wie viele Flechtenarten in den Tropen vorkommen", meint der Lichenologe Hafellner. "Wir können aber davon ausgehen, dass sich auf einem Baum im Durchschnitt mehr als 60 Arten befinden - in Österreich sind es im Vergleich dazu nur rund 25 Arten."

Das Grazer Forschungsteam will nun in weiteren Analysen die Auswirkungen von derartigen Eingriffen und Biotopverschiebungen auf der Artenvielfalt der Flechten erörtern.

Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
->   Josef Hafellner
->   Wissenschaftsfonds (FWF)
 
 
 
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01.01.2010