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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
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Wer drückt der Wissenschaft seinen Stempel auf?  
  Johannes Kepler, Michael Faraday, Gordon Moore: Alle haben "ihr" Gesetz, das ihren jeweiligen Fachbereichen den Stempel aufgedrückt hat - selbst Murphy, demzufolge alles schief geht, was schief gehen kann. Wo aber sind die Wissenschaftler von heute, die Namensgeber für derartige fundamentale Gesetze sein könnten?  
John Brockman, New Yorker Literaturagent und populärer Verbreiter der "Dritten Kultur"-These, hat diese Frage im Rahmen seiner Website "Edge - World Question Center" an 164 prominente Personen aus Wissenschaft und Kultur gestellt.

Die Antworten sind naturgemäß sehr unterschiedlich ausgefallen - und reichen von tatsächlich zukunftweisenden Kurzthesen der Disziplinen über philosophische Fragmente bis zu oft sehr amüsanten (Selbst-)Reflexionen. Im Gegensatz zu vergangenen Jahren sind mit etwa 15 Prozent auch - relativ - viele Frauen unter den Befragten.
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John Brockman: Im Dienste der "Dritten Kultur"
John Brockman hat in seinem 1995 erschienenen Buch "Die Dritte Kultur" einen Ausdruck von C.P. Snow aus den 1950er Jahren übernommen und popularisiert, der eine Synthese von der "ersten Kultur" der Geisteswissenschaft und einer "zweiten" der Naturwissenschaft propagierte. Brockman ließ dabei populär schreibende Wissenschaftler komplexe Sachverhalte in einfachen Worten für den "interessierten Laien" darstellen.

Neben packenden Wissenschaftsbeschreibungen fallen in dem Buch auch die vorangestellten Selbstdarstellungen zahlreicher Forscher auf, aus denen ein hoher Grad an Minderwertigkeitsgefühlen gegenüber den Geisteswissenschaften spricht. Brockmans Antrieb ist es auch, dieser mit publizistischer Macht entgegenzutreten.
->   Mehr über das Buch (Amazon)
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Bereits siebente Befragung der Intellektuellen-Elite
Bereits zum siebenten Mal fordert Brockman heuer die globale Geisteselite heraus, sich seinen seltsam einfachen und doch höchst komplexen Ansinnen zu stellen. Fragte er im Vorjahr noch nach den "wichtigsten Zukunftsfragen der Wissenschaft", so griff er 2004 noch tiefer in die Trickkiste.

Nicht mehr und nicht weniger als "Grundgesetze" ihres jeweiligen Fachgebiets sollten die vereinigten Biochemiker, Physiker, Mathematiker, Psychologen und Künstler formulieren, die es wert wären, den Namen ihrer Erfinder zu tragen, am besten zwei davon.

Ganz so wie die Kepler-Gesetze von der Planetenbewegung, wie Michael Faradays Entdeckungen zur Induktion oder Gordon Moores Faustregel, wonach sich die Leistung von Computerchips alle 18 bis 24 Monate verdoppelt.
->   Das Ansinnen Brockmans 2004 (Edge-Website)
Zeilingers Grundgesetz: Es gibt kein Grundgesetz
Während sich die Physik nach wie vor auf der Suche nach der "Großen vereinheitlichten Theorie" ("theory of everything") befindet, die sämtliche Elementarteilchen und Naturkräfte beschreibt, gibt ausgerechnet einer aus ihrer Zunft eine lapidare Antwort auf Brockmans Frage.

Anton Zeilingers selbsternanntes Grundgesetz lautet: "Es gibt kein Grundgesetz" ("There is no Fundamental Law").

Das zweite Gesetz des Österreichischen Quantenphysikers von Weltformat (und science.ORF.at-Hosts), jenes über "Wirklichkeit, Raum und Zeit" definiert er auch nicht viel üppiger: "Information ist der grundlegendste Begriff, das ist alles, was wir haben."
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Edge: Homebase der "Dritte Kultur-Intellektuellen"
"Um an die Grenzen des Wissens der Welt zu stoßen, suche die komplexesten und raffiniertesten Geister, bringe sie in einem Raum zusammen und dazu, sich gegenseitig die Fragen zu stellen, die sie sich selbst stellen. So lautet das Motto von John Brockmans Homepage "Edge" - ein Sammelbecken von "Dritte Kultur Intellektuellen".
->   Edge
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Menschliche Universalie von drei Sekunden Dauer
Der Gehirnforscher Ernst Pöppel von der Universität München sieht den Zeitabschnitt von drei Sekunden als eine Art menschliche Universalie. Sein auf "The Edge" als "Pöppels Universal" bezeichnetes Gesetz spricht davon, dass "wir im Leben immer drei Sekunden brauchen" - egal ob beim Händeschütteln, beim Ausholen mit dem Golfschläger oder beim Speichern von Kurzzeiterinnerungen.

Menschliche Erfahrung und Kognition, so schreibt der Neurowissenschaftler, ist durch zeitliche Segmentierung gekennzeichnet. Aufeinanderfolgende Abschnitte oder "Zeitfenster" haben seiner Ansicht nach eine Dauer von drei Sekunden.
Damasios Körper geht voran
Sein Gehirnforscher-Kollege Antonio Damasio, seit Jahren bekannt für seinen Kampf gegen die Trennung von Geist und Körper, versucht sich im philosophischen Fragment.

Seine drei Gesetze lauten (er stellt drei Gesetze auf, nennt sein drittes einfach noch einmal "zweites"): "Der Körper geht dem Geist voran. Emotionen gehen Gefühlen voran. Begriffe gehen Worten voran."
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"I think ... there ... 4.a.m."
Der deutsche Philosoph und Software-Programmierer Kai Krause schlägt keine Gesetze vor, sondern Dilemmata - eines davon kann man noch nicht mal übersetzen: "I think ... there ... 4.a.m."

Da fällt das Gesetz seines Computer-Kollegen David Gelernter vergleichsweise konventionell aus: "Wissenschaftler kennen alle richtigen Antworten und keine der richtigen Fragen."
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Geharnischte Kritik des "Nature"-Herausgebers
Der Physiker John Maddox wiederum lässt in seinem "Zweiten Gesetz" die 23 Jahre Revue passieren, in denen er Herausgeber der Fachzeitschrift "Nature" war.

"Reviewer, die am besten dazu geeignet wären, die Arbeit eines Autors zu verstehen, würdigen seine Leistungen am wenigsten. Dafür sind sie überaus produktiv bei kleinerer Kritik, speziell was Tippfehler betrifft," so der erst kürzlich von seinem Job Zurückgetretene.
Leben wir in einem intelligenten Universum?
Kosmologische Gesetze befinden sich wenige auf der Liste der Brockman-Antworten. Jene des mathematischen Physikers John Barrow ist dafür aber umso einsichtiger: "Jedes Universum, das einfach genug ist, um verstanden zu werden, ist zu einfach um einen Verstand zu produzieren, der fähig ist, es zu verstehen."
Craig Venter auf den Spuren von Moores Law
Der Genom-Entschlüssler Craig Venter markiert im Vergleich dazu auch in diesem Jahr lieber den erfolgreichen Geschäftsmann.

Sein an das Moores Law erinnernde zweite Gesetz lautet: "Die Fähigkeit, den genetischen Code direkt lesen zu können, wird sich exponentiell ausbreiten. Die Kosten dafür pro Nukleotid (Basenpaar) werden sich alle zwei Jahre um die Hälfte verringen."
"Experten haben immer recht"
 


Abschließend ein Gesetz des israelischen Energie- und Technologieexperten Yossi Vardi:
"Die Voraussagen von Experten sind immer richtig" - was er mit obigem einschlägigen Insert des Nachrichtensenders CNN aussagekräftig zu unterstreichen wusste.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Die "wichtigsten Zukunftsfragen der Wissenschaft" (20.1.03)
 
 
 
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01.01.2010