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Ein Augenblick dauert 100 Attosekunden  
  "Wie lang ist ein Augenblick?" fragt das britische Wissenschaftsmagazin "Nature" in der Ankündigung seiner neuen Ausgabe. Derzeit 100 Attosekunden, lautet die Antwort. Denn dies ist die kürzeste jemals registrierte Zeitspanne, gemessen vom "amtierenden Weltmeister" der ultrakurzen Laserlichtblitze, Ferenc Krausz, Professor am Institut für Photonik der Technischen Universität (TU) Wien und Direktor am Max Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München.  
Zur Erläuterung: Eine Attosekunde ist der milliardste Teil einer Milliardstel Sekunde. Den Forschern geht es dabei allerdings weniger um die Zeitmessung. Vielmehr ermöglicht das neue Messverfahren erstmals, schnellste Vorgänge in der Elektronenhülle von Atomen zu beobachten.
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Der Artikel "Atomic transient recorder" von Krausz und Kollegen ist erschienen in "Nature", Bd. 427, Seiten 817 - 821, Ausgabe vom 26. Februar 2004 (doi:10.1038/nature02277).
->   Abstract des Artikels in "Nature"
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Elektronen sausen im Attosekundenbereich
Fotografen kennen das Problem: Will man ein sich schnell bewegendes Objekt scharf abbilden, benötigt man eine Belichtungszeit von wenigstens einer Tausendstel Sekunde. Um die Bewegung eines Atoms in einem Molekül zu fotografieren, muss man bereits mit wenigen Femtosekunden (Billiardstel Sekunden) fotografieren.

Doch die Elektronen in angeregten Atomen sausen noch tausend Mal schneller von einem Energiezustand in den nächsten, typischerweise in der Zeit von zehn bis 1.000 Attosekunden.
Das Universum wäre eine Minute alt
 
Grafik: APA, Quelle: APA/TU Wien

Vom Augenblick zur Ewigkeit:
Jenseits von Mikro und Mega (I)


Entsprechend kurz muss die Belichtungszeit sein, um solche Vorgänge zu beobachten. Um sich eine so kurze Zeitspanne vorstellen zu können, dient ein Vergleich: Wären 100 Attosekunden so lange wie eine Sekunde, würde eine Minute dem Alter des Universums (14 Milliarden Jahre) entsprechen.
Weiterentwicklung eines altbekannten Verfahrens
Die von Krausz gemeinsam mit Kollegen des Max Planck-Instituts für Quantenoptik und der Universität Bielefeld entwickelte Technik beruht auf einer Weiterentwicklung eines für Physiker altbekannten Verfahrens, der so genannten Schmierbildkamera.

Dieses wurde bisher zur Messung kurzer Lichtblitze mit einer Auflösung im Bereich von 100 Femtosekunden verwendet.
Kürzeste gemessene Zeitspanne: 100 Attosekunden
 
Grafik: APA, Quelle: APA/TU Wien

Vom Augenblick zur Ewigkeit:
Jenseits von Mikro und Mega (II)


Durch die Lichtsteuerung dieser Kamera konnten die Wissenschaftler nicht nur die kürzesten bisher gemessenen Röntgenblitze mit einer Dauer von 250 Attosekunden erzeugen, sondern damit auch die kürzeste Zeitspanne von 100 Attosekunden messen.
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Das Wie: Anregung von Elektronenhüllen
Dazu werden die Elektronenhüllen von Atomen mit Hilfe von Attosekundenblitzen angeregt. Manche der aus ihren Ruhezustand gebrachten Elektronen erreichen dabei eine so hohe Energie, dass sie sich aus ihrer atomaren Bindung lösen und kurzfristig selbstständig machen. Die Dauer und der Verlauf dieser so genannten Elektronenemission gibt direkte Auskunft über den zeitlichen Verlauf der Prozesse, die bei Anregung und Relaxion (also dem "Zurückfallen" auf das ursprüngliche Energieniveau) in der Elektronenhülle ablaufen.
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Beobachtung "in greifbare Nähe gerückt"
"Damit ist die Beobachtung der Bewegung von Elektronen tief im Inneren der Atome und Moleküle in greifbare Nähe gerückt", betonte Krausz. Dies biete beispielsweise die Chance, Fragen über die Entstehung bzw. Auflösung chemischer Verbindungen, also die Kontrolle chemischer Reaktionen experimentell zu beantworten.
Atomen beim "Atmen" zusehen
Künftige Attosekunden-Experimente mit neuen Werkzeugen sollen weitere Hinweise und Vergleiche zwischen Newton'scher Mechanik und Quantenphysik liefern:

Im klassischen Atommodell von Niels Bohr, in dem Elektronen auf speziellen Bahnen um den Atomkern kreisen, wurde die Zeit, die das Elektron des Wasserstoff-Atoms für die Umkreisung des Atomkerns benötigt, mit 150 Attosekunden berechnet.

"Quantenmechanisch betrachtet findet eine solche Umkreisung natürlich nicht statt, da kann man nur die Dichteverteilung des Elektrons um den Atomkern angeben", erklärte Krausz im Gespräch mit der APA.
"Quasi-Pulsieren" eines Atoms
Ist ein Wasserstoff-Atom im Grundzustand, befindet sich das Elektron in Ruhe, d.h. die Dichteverteilung ändert sich im Laufe der Zeit nicht.

"Wird nun ein Teil des Elektrons in den energetisch niedrigsten angeregten Zustand gebracht - und das ist quantenmechanisch möglich - beginnt die Dichteverteilung zu 'atmen', das heißt zu einem bestimmten Zeitpunkt ist die Wahrscheinlichkeit groß, das Elektron in der Nähe des Kerns anzutreffen, und wenig später ist sie groß, das Elektron weiter weg vorzufinden", erklärt der Physiker das "Quasi-Pulsieren" des Atoms.

Und die Periodendauer dieser Dynamik beträgt im Fall des Wasserstoffs 400 Attosekunden, "das heißt auf einer sehr ähnlichen Zeitskala, wie das Bohr mit seinem sehr einfachen klassischen Atommodell vorhergesagt hat".
Schnappschüsse vom "Atom-Atem"
Mit der neuen Methode ist es nach Angaben des Wissenschaftlers möglich, Schnappschüsse dieser "Bewegung" zu machen und damit gleichsam einen Film dieses "Atom-Atems" zu erzeugen.

"Das wird mit Sicherheit eines unserer nächsten Projekte sein", sagte Krausz. Man schulde dies auch Wien, der Geburtsstadt des Physik-Nobelpreisträgers Erwin Schrödinger.

"Denn diese Dynamik kann als eine der einfachsten Lösungen der Schrödinger-Gleichung angesehen werden und es ist noch nie jemanden gelungen, mit Hilfe der Hochgeschwindigkeitsfotografie abzulichten, wie sich die Elektronen-Wellenfunktion in der Zeit tief im Inneren eines Atoms ändert."
Und es geht noch kürzer
Die Dauer der Röntgenblitze ist letzten Endes durch die Wellenlänge begrenzt. Die derzeit verwendete Röntgenpulsquelle arbeitet bei einer Wellenlänge von rund 13 Nanometer. Sie würde sich aber auch für deutlich kürzere Wellenlängen bis zu einem Nanometer eignen.

"Der einzige Grund warum wir bisher bei 13 Nanometer geblieben sind, ist die Verfügbarkeit von gut reflektierenden Spiegeln in diesem Bereich", betonte Krausz die Bedeutung der von seiner Bielefelder Kollegen bereitgestellten Schlüsselkomponenten.

Für kürzere Wellenlängen, die noch kürzere Röntgenblitze erlauben würden, müssten erst die entsprechenden Optiken entwickelt werden.
Eines Tages auch Zepto-Sekunden ...
Krausz ist jedenfalls zuversichtlich, in absehbarer Zukunft eine deutlich höhere Zeitauflösung zu erreichen.

Eines Tages könnte man vielleicht auch Prozesse im Inneren von Atomkernen beobachten, die sich in Zeitspannen von Zepto-Sekunden abspielen. Das ist der triliardste Teil einer Sekunde, oder eine Zahl mit 20 Nullen hinter dem Komma.
->   Institut für Photonik der Technischen Universität (TU) Wien
->   Max-Planck-Institut für Quantenoptik
->   Fakultät für Physik der Universität Bielefeld
Mehr zu Ferenc Krausz' Forschungen in science.ORF.at:
->   Wiener Physiker bewegen erstmals gezielt Elektronen (5.2.03)
->   Erste direkte Beobachtung von Elektronen (23.10.02)
->   Ein Blick in das Innere der Atome (29.11.01)
 
 
 
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01.01.2010