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Die Zukunft der Sprachen  
  So mancher Sprachpurist beschwert sich über die zunehmende Anglifizierung der deutschen Sprache. Rein quantitativ stimmt der Eindruck, wonach der Gebrauch des Englischen weltweit immer stärker anwächst, aber überhaupt nicht. Denn Chinesisch ist und bleibt die meistgesprochene Sprache. Und: Rang 2 wird Englisch in den nächsten 50 Jahren gegenüber Hindi/Urdu verlieren. Weitere Trends: Zahlreiche lokale Sprachen sterben aus, aber neue entstehen, speziell in den globalen Ballungsräumen.  
Hauptgrund für die Veränderungen ist die weltweite demographische Entwicklung, schreibt der Linguist David Graddol von der Open University in Milton Keynes/Großbritannien in "Science".

In seinem Beitrag liefert er einen Überblick über die Zukunft der Sprachenvielfalt, der Grammatik sowie des Textes an sich - und spricht vom "Ende der modernen, auf Nationalstaaten basierenden Sprachen".
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Der Artikel "The Future of Language" ist in "Science" (Bd. 303, S. 1329, Ausgabe vom 28. Februar 2004) erschienen.
->   "Science"
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Hindi, Arabisch, Malaisch immer mehr gesprochen
 
Grafik: Science

Die wichtigsten zehn Sprachen vom Ende des 20 Jahrhunderts (siehe Grafik links) entsprechen nicht den geschätzten "Native Speaker"-Zahlen junger Menschen (zwischen 15 und 24) im Jahr 2050.

So bleibt zwar Chinesisch an der Spitze, Hindi/Urdu, Arabisch, Bengali steigen aber in ihrer Bedeutung, Malaiisch steigt gar in die "Top Ten" der Sprachen ein. Die Zahlen beruhen auf UN-Bevölkerungsprognosen und den Hochrechnungen auf die Sprachenvielfalt in den einzelnen Ländern.
Hindu/Urdu überholt 2025 Englisch
 
Bild: Science

Weitere Zahlen, die von David Graddol vorgestellt werden: Während in der Mitte des 20. Jahrhunderts Englisch noch von rund neun Prozent der Weltbevölkerung gesprochen wurde, soll dieser Anteil bis 2050 auf etwa fünf Prozent sinken.

Zugleich steigt die Anzahl der Spanisch-, Arabisch oder Hindu/Urdu-Sprechenden kontinuierlich an. Letztere würden laut Prognosen um 2025 ihre angelsächsischen Mitmenschen rein quantitativ überholen.
Jeden Tag stirbt eine Sprache aus ...
Linguisten gehen heute davon aus, dass derzeit knapp 6.000 Sprachen weltweit existieren. Laut Graddol sind 90 Prozent dieser Sprachen vom Aussterben bedroht, der größte Teil von ihnen bereits im laufenden Jahrhundert - das bedeute "eine ausgestorbene Sprache pro Tag".
... aber neue hybride Formen entstehen
Mit diesem - durchaus beklagenswerten - Verschwinden alter und tendenziell ländlicher Sprachen gehe aber ein zweites Phänomen einher: die Bildung neuer, hybrider und in erster Linie städtischer Sprachen, die für die Beibehaltung der globalen Sprachenvielfalt sorgen könnte.
Städte als Rückzugsgebiete für Sprach-Migranten
In den Metropolen rund um den Globus könnten sich aber nicht nur neue Sprachen entwickeln - so "mehrere hundert Englisch-Varianten" -, sie bieten auch Rückzugsgebiete für die Sprachen migrierender, ethnischer Minderheiten.

Soziale Identitäten und Netzwerke, die durch Sprache reflektiert werden, würden immer seltener geographisch lokalisierbar werden - Massenkultur und -kommunikation tun das Übrige, um zu einer Vermischung verschiedener Ausdrucksweisen beizutragen - und zum "Ende der modernen Sprache", wie es Gradoll nennt.
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Ende der Nationalsprachen
Die alten Nationalsprachen würden ihre - ökonomische, politische und kulturelle - Bedeutung verlieren, die kleineren europäischen sich als "lokale Sprachen der Solidarität" positionieren.
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Englisch für multilinguale Generationen
Ein besonderes Anliegen ist dem Fachmann von der English Company die Zukunft des Englischen, zu der er bereits 1997 eine gleichnamige Studie veröffentlichte.

Die - für manche Furcht erregende - Idee, dass eines Tages die ganze Welt nur mehr Englisch spricht, stamme aus dem 19. Jahrhundert - und war damals so falsch wie heute. Dagegen sprechen nicht nur die nackten Zahlen (s.o.), sondern auch die Rolle, die das Englisch in der Welt des 21. Jahrhunderts spiele.

Diese liege in der Schaffung "neuer Generationen von bi- und multilingualen Generationen in aller Welt".
->   The Future of English? (The English Company)
Wachsende Bilingualität in USA und Europa
 
Grafik: Science

Das Anwachsen der Spanischsprechenden in den USA sei dafür ebenso ein Zeichen, wie die Situation in Europa, wo sich die Zweisprachigkeit von Norden nach Süden ausgebreitet hat.

So behaupten knapp 80 Prozent der Holländer, Schweden und Dänen, flüssig Englisch zu sprechen, in Österreich sind es rund 50 Prozent und selbst in Ländern wie Spanien oder Portugal gibt es entsprechende Tendenzen (siehe Grafik).
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"Science"-Schwerpunkt
Die aktuelle Ausgabe von "Science" liefert einen Schwerpunkt zum Thema Sprache. Neben den Fragen der Zukunft wird auch Sprachevolution, der "Ursprung der ersten menschlichen Sprache" und eine neue Klassifikation alter Sprachen behandelt. Weiters geht es um die Verbreitung des Indogermanischen in Europa und um Veränderungsprozesse von Sprachgebrauch und -grammatik.
->   Der Schwerpunkt in "Science"
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Alles in Frage: Grammatik, Text, Autor
Aber nicht nur die Sprachenvielfalt steht im nächsten Jahrhundert vor Veränderungen: Auch die Grammatik und der Text als solcher stehen zur Disposition. Nach Ansicht Gradolls werden sich die Linguisten mit immer kürzeren, fragmentarischeren und multimodaleren Texten auseinander setzen müssen.

Schließlich würden die neuen Textkulturen auch die traditionellen Rollen von Autoren- und Leserschaft, von Produzenten und Konsumenten erschüttern, so Gradoll in seinem Überblicksartikel abschließend.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Open University
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Risiken und Nebenwirkungen von Englisch (2.12.03)
->   Europas "Ursprache" entstand in Anatolien (26.11.03)
->   Sprunghafte Entstehung der Sprache? (24.1.03)
->   Studie zum Zweitspracherwerb: Je früher desto besser (5.11.02)
->   Englisch ist in EU die vorherrschende Zweitsprache (3.1.02)
 
 
 
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01.01.2010