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Wurde das Higgs-Teilchen entdeckt?  
  Was den Objekten im Universum ihre Masse verleiht, ist eine der spannendsten Fragen der modernen Physik. Die wahrscheinlichste Antwort lautet, dass gewisse Materieteilchen, so genannte Higgs-Bosonen, dafür verantwortlich sind. Bisher konnte man der mysteriösen Teilchen jedoch im Experiment nicht habhaft werden. Wie ein britischer Physiker in einem aktuellen Artikel berichtet, könnte das nun doch gelungen sein.  
Peter Renton von der University of Oxford betont, dass die an Teilchenbeschleunigern gewonnenen Daten zwar stark für die Existenz der Higgs-Teilchen sprechen, allerdings - noch - mit einem Fragezeichen versehen. Die Messwerte liegen jedenfalls im Bereich der theoretischen Voraussagen.
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Der Artikel "Has the Higgs boson been discovered?" von Peter Rento erschien im Fachmagazin "Nature", Band 428, Seiten 141-144, Ausgabe vom 11. März 2004 (doi:10.1038/nature02324).
->   Abstract des Artikels in "Nature"
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Was verleiht den Teilchen Masse?
Wer des morgens auf die Waage steigt und auf deren Skala blickt, weiß, was man dort ablesen kann: Das Körpergewicht, das physikalisch betrachtet von zwei Faktoren abhängig ist - nämlich der eigenen Masse sowie der Stärke der Gravitationskraft.

Was aber verleiht unserem Körper - und überhaupt allen Objekten im Universum - so etwas wie Masse? So simpel die Frage klingen mag, die Suche nach einer endgültigen Antwort gehört zu den schwierigsten der gesamten Physik.
Die vier Grundkräfte der Natur
Über die Grundkräfte der Natur - Elektromagnetismus, starke und schwache Kernkraft sowie Gravitation - weiß man mittlerweile eine ganze Menge. Die Theorie, die das Auftreten der ersten drei dieser Kräfte zusammenfasst, wird als das Standardmodell der Elementarteilchen bezeichnet.

Sie gehört zu den erfolgreichsten Theorien der Naturwissenschaft, denn bis dato wurde sie, trotz unzähliger Überprüfungen, noch von jedem Experiment bestätigt.
Das Standardmodell der Elementarteilchen
Laut dem Standardmodell gliedert sich die Welt der Elementarteilchen in zwei Hauptgruppen: Erstens Fermionen, i.e. Teilchen mit halbzahligem Spin, zu denen etwa das Elektron oder die Quarks gehören.

Die zweite Gruppe bilden die Bosonen, Teilchen mit ganzzahligem Spin. Mit Hilfe dieser Einteilung lässt sich zeigen, dass die Grundkräfte der Natur aus der Wechselwirkung verschiedener Teilchentypen entstehen:

Der Elektromagnetismus beschreibt etwa, wie Partikel mit Elektronen interagieren. Die so genannten W- und Z-Teilchen, beide Bosonen, sind wiederum an der schwachen Kernkraft beteiligt.
->   Mehr zum Standardmodell (VetMed Wien)
Die Lücke im Modell: Der Ursprung der Masse
Eines vermag das Standardmodell mit den bisher entdeckten Teilchentypen jedoch nicht: Es kann nicht erklären, warum die Objekte im Universum eine Masse aufweisen.

"Ohne zusätzliche Ingredienzien wären laut dem Standardmodell all die bekannten Teilchen massenlos", betont Peter Renton in seinem aktuellen "Nature"-Artikel. Und das widerspricht eindeutig der Erfahrung, wie etwa der allmorgendliche Blick auf die Personenwaage zeigt.
Lösung: Higgs-Feld und Higgs-Bosonen
Die Lösung dieses Problems geht auf das Jahr 1964 zurück. Damals postulierte der britische Physiker Peter Ware Higgs, dass das Universum von einem besonderen Feld durchdrungen sei, das man heute als Higgs-Feld bezeichnet.

Wie die Quantenmechanik lehrt, gibt es zu jedem Feld auch entsprechende Teichen. In diesem Fall die Higgs-Bosonen, die mit den anderen Teilchen in Wechselwirkung treten und ihnen auf diese Weise die Masse übermitteln.
->   Mehr zum Higgs-Boson (Uni Erlangen)
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Der Higgs-Mechanismus, eine Party-Analogie
Den Mechanismus dieses Vorgangs umschreiben Physiker gerne anhand folgender Analogie: Man stelle sich eine Cocktailparty in L.A. vor, bei der plötzlich ein bekannter Filmstar den Raum betritt. Dieser wird, während er den Raum durchquert, sofort von einer Gruppe von Leuten umringt. Für einen Außenstehenden wäre es nun ziemlich schwierig, den Star aufzuhalten. Denn mit der Traube an Menschen repräsentiert er eine Menge an Bewegungsenergie - ein untrügliches Zeichen für Masse.

Stünde der Filmstar aber still, wäre er angesichts der vielen Leute auch kaum in Bewegung zu setzen. Genau so, wie bei einem massereichen Körper. Wie leicht zu erraten ist, steht die Menschentraube in diesem Bild für die Higgs-Bosonen, der Filmstar ist wiederum das Teilchen, das Masse übermittelt bekommt.
->   Mehr zu dieser Analogie (University of Cape Town)
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Nachweis bis jetzt nicht gelungen
Der einzige Schönheitsfehler an der Theorie: Man hat die gesuchten Teilchen bis heute nicht nachweisen können.

Um der gesuchten Higgs-Bosonen habhaft zu werden, lässt man Partikel bei extrem hohen Geschwindigkeiten aufeinanderprallen und versucht dann, die daraus entstehenden Higgs-Teilchen nachzuweisen.
Higgs-Bosonen zerfallen sofort in Teilchen-Paare
Unglücklicherweise sind diese aber sehr instabil und zerfallen sogleich in ein Fermion sowie ein Anti-Fermion oder ein Bosonen-Paar. Aus Gründen der Energieerhaltung muss daher die Masse der Higgs-Bosonen mindestens so hoch sein, wie jene der erzeugten Teilchenpaare.

Wie Peter Renton nun in seinem Artikel ausführt, lässt sich dafür eine Unter- sowie eine Obergrenze kalkulieren. Diese liegt bei 114,4 bzw. rund 1.000 GeV/c2 (Gigaelektronenvolt pro Quadrat der Lichtgeschwindigkeit).
Erste Hinweise wurden gefunden
Versuche, die man am Teilchenbeschleuniger LEP ("Large Electron-Positron Collider") in Genf durchgeführt hat, weisen jedenfalls daraufhin hin, dass man den gesuchten Teilchen bereits auf der Spur ist. Man fand Signale, die bei 115 GeV liegen und möglicherweise als Higgs-Signal interpretierbar sind.

Allerdings, die Betonung liegt noch auf "möglicherweise". Denn: "Die Daten zeigen, dass es entweder ein Higgs-Boson in diesem Massenbereich gibt - oder neue unbekannte Phänomene, die diesen Effekt auslösen", so der britische Physiker.
Hoffen auf neue Teilchenbeschleuniger
Das klingt für eine exakte Experimentalwissenschaft wie die Physik ziemlich unverbindlich. Der Grund dafür liegt in den begrenzten Energiemengen, die man gegenwärtig mit dem LEP erreichen kann.

Präzisere Daten lassen sich mit dem "Large Hadron Collider" in Genf gewinnen, der im Jahr 2007 seine Pforten öffnet. Mit diesem Teilchenbeschleuniger "sollte dann die Frage, ob das Higgs-Boson existiert, endgültig beantwortet werden", so Peter Renton.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   University of Oxford
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01.01.2010