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Gewerkschafts-Zukunft: Netzwerke und Wissensmanagement  
  Mit der Krise der New Economy scheinen Interessensvertretungen der Old Economy erneut am Ball zu sein. Bemühungen, zu bestimmenden Playern in Sachen Interessenpolitik zu werden, machen die Neubestimmung etwa der Gewerkschaften unausweichlich, meinen die Autoren eines aktuellen Sammelbandes. Sie raten ihnen zu neuen organisatorischen Werkzeugen - darunter verstärkte Netzwerkbildung und ein verbessertes Wissensmanagement.  
Im Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) ist ein Sammelband erschienen, der Unternehmensreorganisation und Arbeitnehmerinteressen nach den Managementskandalen der jüngsten Zeit in den Blickpunkt rückt.
Arbeitnehmervertretung heute
Die Herausgeber Günther Sandner und Ulrich Schönbauer haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Disziplinen zur Analyse der aktuellen Situation gebeten.

Perspektiven einer Interessensvertretung in Zeiten der Auflösung traditioneller Strukturen und Organisationen sind dabei heraus gekommen.

Ungeachtet des sperrigen Titels "Unternehmensorganisation und Arbeitnehmerinteressensvertretung - Analysen und Strategien nach den Managementskandalen" bietet der Sammelband einen umfassenden Einblick in die aktuelle Diskussion um Arbeitnehmervertretung und Mitbestimmung.
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Sandner, Günther/Schönbauer, Ulrich: Unternehmensreorganisation und Arbeitnehmer-Interessensvertretung.Analysen und Strategien nach den Managementskandalen. 2003, 232 Seiten
->   ÖGB-Verlag
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Gewerkschaften herausgefordert
Einig sind sich Autoren wie Herausgeber jedenfalls, dass in der Old Economy bewährte Maßnahmen auch nach dem Ende der euphorisch gefeierten New Economy nur mehr bedingt tauglich scheinen.

So bleibt den Gewerkschaften vor dem Hintergrund eines erbitterten globalisierten Standortwettbewerbs und der daraus folgenden sukzessiven Aufkündigung von Schutzbestimmungen für Arbeit nichts anders übrig, als nach neuen Einflussmöglichkeiten zu suchen.

Druck der Straße allein scheint nicht mehr ausreichend, sollen alle möglichen Verhandlungsspielräume erschöpft werden.
Schlüsselfaktoren Wissen und Netzwerkbildung
Die Dominanz von Information und Dienstleistung befördert Wissen und Netzwerkbildung zu Schlüsselfaktoren, deren sich neue soziale Bewegungen längst zu bedienen wissen. Spätestens die pressewirksamen Auseinandersetzungen im Zuge des Weltwirtschaftsgipfels in Seattle 1999 haben das nachdrücklich gezeigt.
Zuviel Wissen schadet Mitbestimmung ...
Mitbestimmung ist ohne Wissen nicht zu haben. Doch gerade dieses ist mit Vorsicht zu genießen:

Eine Praxis der Überversorgung mit Wissensinhalten insbesondere vor wichtigen Entscheidungen komme nur allzu häufig vor, warnen Ursula Schneider, Leiterin des Instituts für Internationales Management in Graz und Ekkehard Kappler vom Institut für Organisation und Lernen, Universität Innsbruck, in dem Buch.

Entsprechend ungünstig können Entscheidungen ausfallen, denn eines ist längst bekannt: Zu viele Informationen in zu kurzer Zeit wirken sich ungünstig auf Entscheidungen aus. Ein vernünftiges Wissensmanagement ist daher ein Muss für jeden Betriebsrat.
... eine Herausforderung für Wissensmanagement
Kappler und Schneider entwerfen in ihrem Beitrag konkrete Maßnahmen, wie Mitbestimmung auf die Herausforderungen durch Wissensmanagement reagieren könnte.

Möglichkeiten gibt es viele, wie etwa die Idee einer strategischen Abstimmung oder eines grenzüberschreitenden Informationsaustausches durch "Europabetriebsrat" oder "Weltbetriebsrat". Ähnlich wie das Management sollte auch die Interessensvertretung eigene Datenquellen und Informationsaufbereitung etablieren.
Lokale und globale Netzwerkbildung
Neue Kooperationsformen und kurzfristiger Aufbau von Netzwerken zwischen Gewerkschaften und NGOs scheinen ebenso unumgänglich wie das Wissensmanagement.

Denn nicht länger ist der souveräne, hierarchisch agierende Nationalstaat der maßgebliche Verhandlungspartner, sondern eine Vielzahl an Akteuren, wie Hans-Lieudger Dienel und Heike Walk vom Zentrum Technik und Gesellschaft in Berlin aufzeigen.

Es ist der Raum zwischen Markt und Staat, der an Bedeutung gewonnen hat: Unterschiedliche Organisationen, Institutionen und Akteursgruppen aus unterschiedlichen Politikfeldern und gesellschaftlichen Teilbereichen wirken hier bestimmend.
Vernetzte Gewerkschaften
Mit Netzwerkbildung und -aufbau beschäftigt sich auch Harald Katzmair, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter der FAS-Research. Der Sozialwissenschaftler fragt nach konkreten Möglichkeiten von Netzwerken im gewerkschaftlichen Kontext. Die Effizienz und Effektivität gewerkschaftlicher Kommunikation stehen dabei im Zentrum.

Katzmairs Antwort ist einfach wie komplex: Identifiziere in Netzwerken jene Schlüsselspieler mit den größten Multiplikatorwirkungen und kommuniziere mit diesen Schlüsselspielern direkt. Die Methode der so genannten "Sozialen Netzwerkanalyse" soll dabei helfen.
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Soziale Netzwerkanalyse
Soziale Netzwerkanalyse ist ein spezielles wissenschaftliches Instrument zur Erfassung und grafischen Darstellung informeller Kommunikations-, Informations- und Wissensströme in Organisationen (organizational mapping). Eine Methode, die zeigt, wie Netzwerke analysiert, gesteuert und evaluiert werden können.
->   Mehr zu Sozialen Netzwerkanalyse (www.fas.at)
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Geist "New-Economy"
Der vorliegende Band spart auch nicht mit Kritik an der Hartnäckigkeit des Mythos New Economy und seinen falschen Versprechen, die immer noch enormen Einfluss haben, so Günther Chaloupek, Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien. Wirtschaftswachstum wird trotz gegenteiliger Studien nach wie vor in einem positiven Zusammenhang mit Aktienmärkten betrachtet.

Kritisiert wird in diesem Zusammenhang das Fehlen jeglicher Verantwortungs- und Haftpflicht, das damit die berühmtberüchtigt gewordene kreative Billanzierungspraxis nach wie vor ermöglicht.

Agnieszka Dzierzbicka
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Franz Seifert: Demokratie in der Wissensgesellschaft (2.2.04)
->   Die lernende Organisation: Überpüfung eines Leitbildes (24.10.02)
->   Die Zukunft des Kapitalismus (21.5.02)
->   Jörg Flecker: Erfahrung in der Wissensgesellschaft - ein Paradoxon? (17.7.01)
 
 
 
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01.01.2010