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Licht ins Dunkel: Wie man Dunkle Materie nachweisen kann  
  Um zu erklären, wie die Galaxienhaufen im Universum entstanden sind, postulieren die Astronomen eine unsichtbare Materieform, die so genannte Dunkle Materie. Allerdings blieb es bislang beim Postulat, denn die exotischen Teilchen wurden noch nicht nachgewiesen. US-amerikanische Physiker zeigen nun, wie das gelingen könnte. Ihrer Ansicht nach regnet im Sommer ein besonders massiver Schauer solch Dunkler Materie auf die Erde nieder, der im Nachweisbereich irdischer Detektoren liegt.  
Wie ein Team um Heidi Jo Newberg vom Rensselaer Polytechnic Institute im Staat New York berichtet, stammt der Materieschauer von der Zwerggalaxie Sagittarius, die im Zentrum der Milchstraße liegt.
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Der Artikel "Effects of the Sagittarius Dwarf Tidal Stream on Dark Matter Detectors" von H.J. Newberg et al. erschien in der Fachzeitschrift "Physical Review Letters" (Band 92, 111301, Ausgabe vom 19.3.04). Der Artikel ist am Preprintserver arXiv.org kostenfrei zugänglich.
->   Zum Originalartikel (arXiv.org)
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Universum: Ballungsräume und gähnende Leere
Die Materie im Universum ist keineswegs gleichförmig verteilt, sondern vielmehr auf relativ wenige Ballungsräume konzentriert, zwischen denen die sprichwörtliche gähnende Leer herrscht.

Dementsprechend hat man in der Astronomie ein hierarchisches Begriffssystem gebildet, das der eigentümlichen Clusterbildung Rechnung tragen soll.

Die größten Strukturbausteine des Universums sind die so genannten Superhaufen, die sich über unglaubliche Distanzen von bis zu 100 Megaparsec erstrecken.
->   Definition der Längeneinheit Parsec bei Wikipedia
Das Problem: Zum wenig Zeit, zu wenig Materie
Die Superhaufen bestehen wiederum aus Galaxienhaufen, die sich ihrerseits aus Dutzenden bis Tausenden Galaxien zusammensetzen.

Wie solche Strukturen entstanden sind, ist allerdings ziemlich schwierig zu erklären: Geht man nämlich davon aus, dass das Universum einst ein mehr oder weniger homogener Urnebel gewesen ist, dann waren die rund 13,7 Mrd. Jahre seit dem Urknall eine zu kurze Zeitspanne, um solche Haufenbildungen zu ermöglichen.

Anders formuliert: Die mit gängigen Methoden im Universum aufzuspürende Materie weist schlichtweg zu wenig Masse auf, als dass sich solche Verdichtungen gebildet haben dürften.
Dunkle Materie als Ausweg
Aber es gibt sie trotzdem, Galaxienhaufen sind keine astronomischen Hirngespinste. Einen möglichen Ausweg aus diesem - als "missing mass problem" bekannten - Dilemma hat bereits in den 1930er-Jahren der Physiker Fritz Zwicky formuliert.

Er vermutete, dass es im Universum noch eine weitere, bis dato unentdeckte Form der Materie geben müsse - die so genannte Dunkle Materie. Diese zunächst abenteuerlich klingende These hat sich heute allgemein durchgesetzt. Man nimmt an, dass etwa 90 Prozent der Galaxien aus unsichtbarer Materie bestehen.
Nachweisprinzip für Dunkle Materie veröffentlicht
Mit diesem Kunstgriff wurden also die abtrünnigen Galaxienhaufen in das um Widerspruchsfreiheit bemühte wissenschaftliche Weltbild zurückgeholt. Aber um welchen Preis?

Wenn etwas wie die Dunkle Materie definitionsgemäß unsichtbar ist, darf man dann so eine Hypothese noch als wissenschaftlich ansehen? Man darf, sofern die Physiker angeben, wie die exotische Materieform im Prinzip nachweisbar sein könnte.

Genau das hat jetzt Heidi Jo Newberg mit ihren Kollegen in einer aktuellen Publikation getan. Sie postulierte, dass die Zwerggalaxie "Sagittarius" zum Nachweis der exotischen Materie dienen könnte.
Zwerggalaxie Sagittarius wird von Milchstraße "verspeist"
Dass die Milchstraße in ihrem Zentrum die Zwerggalaxie Sagittarius beherbergt, wusste man schon seit Mitte der 1990er Jahre. Da sich diese aber bislang erfolgreich hinter interstellaren Gas- und Staubwolken versteckt hatte, wurden erst kürzlich Details über ihren Aufbau bekannt.

Wie ein Team von US-Astronomen anhand von Infrarotmessungen des "Two-Micron All Sky Survey" herausfand, bewegt sich Sagittarius gewissermaßen in einem kosmischen Todestanz. Denn die vergleichsweise riesige Milchstraße ist gerade im Begriff, sich den kleinen Satelliten durch ihre Gravitationskraft einzuverleiben und ihn dabei förmlich zu zerreißen.

Ergebnis dieses kannibalischen Aktes sind unter anderem zwei Arme eines Materiestroms, die unter den Namen "leading tidal tail" bzw. "trailing tidal tail" bekannt sind.
->   Two-Micron All Sky Survey
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Der Artikel "A 2MASS All-Sky View of the Sagittarius Dwarf Galaxy: I. Morphology of the Sagittarius Core and Tidal Arms" erschien im Fachblatt "The Astrophysical Journal" und ist am Preprintserver arXiv.org kostenfrei zugänglich.
->   Zum Originalartikel (arXiv.org)
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Kosmisches Spaghetti
 
Bild: David Law / University of Virginia

Das Bild zeigt die Milchstraße als blaue spiralige Scheibe in deren Zentrum die (rot eingezeichnete) Zwerggalaxie Saggitarius auszumachen ist. Der kreisförmig Materiestrom (ebenfalls rot markiert) windet sich gleichsam wie ein gigantisches Spaghetti um unsere Galaxie. Ein Teil davon berührt auch jenen Bereich, in dem unsere Sonne liegt (gelber Punkt).
Dunkler Materiestrom passiert Sonnesystem
Wie Heidi Newberg und ihre Mitarbeiter ausführen, ist es einer der beiden Materieströme, der "trailing tidal tail", mit dessen Hilfe man nun der Dunklen Materie habhaft werden könnte.

Die Milchstraße entreißt der Zwerggalaxie nämlich nicht nur handelsübliche Materie, sondern auch eine Menge des gesuchten, unsichtbaren Stoffes.

Und dieser dunkle Materieschauer regnet ihrer Ansicht nach auch auf unser Sonnensystem und die Erde nieder. Grundsätzlich nimmt man an, dass die Dunkle Materie aus schwach wechselwirkende Teilchen aufgebaut ist, die "WIMPs" genannt werden.
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WIMPs
Das Akronym "WIMP" steht für "Weakly Interacting Massive Particles". Amüsanterweise bedeutet "wimp" im Englischen so etwas ähnliches wie "Weichei", was recht gut zur kümmerlichen physikalischen Wechselwirkung der postulierten Teilchen passt. Unabhängig davon, ob das vom Namensgeber so intendiert war, muss die Wechselwirkung mit "normaler" Materie so gering sein, dass sie von den Elementarteilchen-Detektoren auf der Erde bisher nicht registriert wurde. Kandidaten für WIMPs sind etwa das Axion, magnetische Monopole oder das leichteste supersymmetrische Teilchen (LPS).
->   WIMPs bei Wikipedia
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Wechselwirkung kann nachgewiesen werden
Newberg und Kollegen berechneten in ihrer Arbeit, wie groß die Rückstoßenergie ist, die ein WIMP auslöst, wenn es mit Kernen eines Teilchendetektors in Wechselwirkung tritt. Diese ist zyklischen Schwankungen unterworfen, die von der Relativbewegung der Erde zur Sonne abhängen.

Das Maximum des Signals wird von den Physikern für den 28. Juni vorausgesagt, am 27. Dezember soll der Wert dann auf ein Minimum herabsinken. Entscheidend ist folgender Punkt: Die Energiedifferenz dieser Werte ist groß genug, sodass sie mit dem DAMA-Detektor einer italienischen Forschergruppe aufzuspüren sein müsste.

Alle Hoffnung ist daher nun auf die Experimentatoren der unterirdischen Gran-Sasso-Laboratorien gerichtet, die tief im Inneren der italienischen Abruzzen nach den letzten Geheimnissen der Elementarteilchen-Physik suchen.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Rensselaer Polytechnic Institute
->   Laboratori Nazionali del GranSasso
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01.01.2010