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Hugo von Hofmannsthal und die Medienkultur der Moderne  
  Hugo von Hofmannsthal wird als junges literarisches Genie und Vorzeige-Dichter der Wiener Moderne zum Zeitzeugen eines einzigartigen Medienwandels: Telephon, Grammophon, Stummfilm, Hörfunk und Tonfilm werden zu seinen Lebzeiten erfunden. In einem Gastbeitrag für science.ORF.at zeigt der Grazer Literatur- und Medienwissenschaftler Heinz Hiebler den Autor im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schrift als Vorläufer heutiger Medienmacher.  
Literaturwissenschaft als Medienkulturwissenschaft
Von Heinz Hiebler

Die medienwissenschaftliche Öffnung der Literaturwissenschaften hat der Disziplin seit den 1960er Jahren neue Anwendungsbereiche wie Film, Hörfunk, Fernsehen oder neuerdings Computer erschlossen.

Integrative Positionen, die Literatur als variable Größe innerhalb eines sich ständig verändernden Gesamtmediensystems verstehen, sind jedoch die Ausnahme.

Welche Konsequenzen die Profilierung einer Literaturwissenschaft hat, die sich als historisch gewachsene Medienwissenschaft versteht, wird in dieser exemplarischen Fallstudie bewusst an einem anerkannten Autor wie Hugo von Hofmannsthal demonstriert.
->   Zur Profilierung des Ansatzes (pdf-Dokument)
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Das zu diesem Thema erschienen Buch von Heinz Hiebler
Heinz Hiebler: Hugo von Hofmannsthal und die Medienkultur der Moderne. Würzburg: Königshausen & Neumann 2003. (= Epistemata Literaturwissenschaft. 416.) ISBN 3-8260-2340-4.
->   Weitere Informationen zum Buch beim Verlag
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Der Schriftsteller als Medienprofi
Bild: Königshausen & Neumann
Hofmannsthals literale Weltentwürfe sind mit der kulturellen Eigenheit der österreichisch-ungarischen Monarchie und der zeitgenössischen Medienentwicklung aufs engste verflochten. Ausgangspunkt für die medienästhetische Positionierung Hofmannsthals ist die Schrift- und Buchkultur der literarischen Moderne.

Neue Schreib- und Drucktechniken sowie neue Publikationsformen und Vertriebsstrukturen für Bücher und Zeitschriften provozieren nicht nur Gegenbewegungen a la Stefan George - sie ermöglichen es Autoren auch, neue Bereiche der Öffentlichkeit literarisch zu erschließen.

Hofmannsthal entwickelt aus seiner äußerst intimen Ästhetik der Handschrift eine typographische Spielart, die er während des Ersten Weltkriegs propagandistisch und in den 1920er Jahren kulturpolitisch zu funktionalisieren vermag.
Zeitzeuge eines einzigartigen Medienwandels
Als junges literarisches Genie und Vorzeige-Dichter der Wiener Moderne wird Hofmannsthal (1874-1929) zum Zeitzeugen eines einzigartigen Medienwandels: Das Telephon (1876), der Phonograph (1877), das Grammophon (1887), der Stummfilm (1895/96), der Hörfunk (1920-24) und der Tonfilm (1926-31) werden zu seinen Lebzeiten erfunden.

Der Blick auf das erhaltene Material zu Hofmannsthals kreativem Umgang mit den Medien zeigt erstmals ganz konkret, welche Spuren dieser Umbruch in der Kultur der Moderne hinterlassen hat.
Im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schrift
Da sich die Literatur als Buchstabenkunst eines alpha-numerischen Mediums mit digitalem Codierungspotential bedient, um analoge Sachverhalte umschreiben zu können, stehen Literaten immer schon vor der paradoxen Aufgabe, im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, analogen und digitalen Kommunikationsformen zu operieren.

Die rasante Verbreitung neuer analoger Medien um 1900 initiiert einen medialen Ausdifferenzierungsprozess, der durch die notwendige Neupositionierung der Schrift im Mediengefüge den Nerv der Literatur trifft.
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Das Leben transponieren
Hofmannsthals symbolistisches Verständnis von Lektüre erstreckt sich dementsprechend auch auf die scheinbar mühelos wahrnehmbaren Sinnlichkeiten analoger Konkurrenzmedien. Schon seine Stellungnahmen zur Photographie überprüfen immer auch die Lesbarkeit der Bilder vor dem Hintergrund der Schrift. Maßstab für jedes gelungene Kunstwerk (unabhängig davon, mit welchem Medium es realisiert wird) ist die Forderung nach einer Transponierung des Lebens, die im Zentrum seiner "symbolistischen Technik" steht.
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Die Zauberwelten des Oralen
Sowohl das Telephon als auch der Phonograph regen Hofmannsthal schon in den 1890er Jahren zu phantastischen Experimenten an. In einer bislang unveröffentlichten Pantomime entwickelt er die Zukunftsvision eines "zauberhaften Telephons", mit dem sich Berührungen und Küsse ebenso spielerisch übertragen lassen wie bloße Worte.

Die akustischen Medien der Moderne werden zum Motor einer neuen Auffassung literarischen Sprechens. Erstmals wird es mit ihrer Hilfe auch möglich, die historische Entwicklung zeitgenössischer Sprechweisen sinnlich zu dokumentieren.

Hofmannsthals Tonaufnahme des Gedichts Manche freilich ... aus dem Jahr 1907 ist das akustische Zeugnis seiner konservativ-revolutionären Ästhetik. An die ganzheitlichen Dimensionen primärer Oralität knüpft Hofmannsthals "Hörfunkkonzept" der "mythologischen Oper" an, das als rückwärtsgewandte Medienutopie die Tradition des lyrischen Dramas fortsetzt und vollendet.
Film und Hörfunk zwischen Kunst und Geschäft

Die meisten konkreten Berührungspunkte zwischen den analogen Medien der Moderne und Hofmannsthals Werk ergeben sich beim Film. Trotz ernüchternder Erfahrungen mit den Verfilmungen des Fremden Mädchens (1913) und des Rosenkavaliers (1925) startet er immer wieder den ambitionierten Versuch, sich mit der Darstellungsweise des Films und den arbeitsteiligen Produktionsprozessen der Filmindustrie zu arrangieren.

Sowohl seine Kinotheorie Der Ersatz für die Träume (1921) als auch seine Filmprojekte in den 1920er Jahren kalkulieren die Rezeptionshaltung eines Massenpublikums ein.

Zum großen Filmerfolg jedoch reicht es nicht. Im Hörfunk, wo sich Hofmannsthals lyrische Dramen anfangs großer Beliebtheit erfreuen, fällt er weniger durch ästhetische als finanzielle Ambitionen auf: Gemeinsam mit Gerhart Hauptmann erstreitet er 1925/26 das Copyright für Wortbeiträge im Hörfunk.
Hofmannsthal und Co als Vorläufer heutiger Medienmacher
Als professioneller Schriftsteller und Publizist stellt sich Hofmannsthal trotz poetischer Ambitionen den ökonomischen, kulturpolitischen und medienästhetischen Herausforderungen seiner Zeit.

Die unterschiedlichen Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen von Literatur im Kontext des modernen Medienwandels machen ihn und seine Zeitgenossen zu Vorläufern heutiger Medienmacher.
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Heinz Hiebler ist Wissenschaftsautor und Lehrbeauftragter für Literatur- und Medienwissenschaft an den Universitäten Graz und Hamburg.
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01.01.2010