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Forscher weisen "Sprach-Gen" bei Singvögeln nach  
  Der als "Sprach-Gen" bekannt gewordene Erbfaktor FOXP2 besitzt - zumindest beim Menschen - eine zentrale Funktion bei der Entwicklung der Sprachfähigkeit. Nun haben deutsche und amerikanische Neurobiologen das Gen beim Zebrafinken gesucht - und wurden fündig: Die Vögel besitzen eine nahezu identische Version. Zudem konnten die Forscher das entsprechende Protein in genau jenen Hirnregionen der Tiere nachweisen, die maßgeblich am Gesangslernen beteiligt sind.  
Die Wissenschaftler schließen daraus, dass FOXP2 auch beim Gesangslernen von Vögeln eine Schlüsselrolle spielt. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin "Journal of Neuroscience" veröffentlicht.
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Der Artikel "FOXP2 Expression in Avian Vocal Learners and Non-Learners" ist erschienen im "Journal of Neuroscience", Bd. 24, Seiten 3164-3175, Ausgabe vom 31. März 2004.
->   "Journal of Neuroscience"
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FOXP2: Mutationen führen zu Sprachproblemen
Mutationen im so genannten FOXP2-Gen führen bei Menschen zu einem spezifischen Sprachproblem, insbesondere bei Artikulation und Sprachverständnis. Offensichtlich besitzt dieses Gen also eine zentrale Funktion bei der Entwicklung der Sprach- bzw. Sprechfähigkeit.
Vergleiche bei Mensch, Affe und Maus
Bereits 2002 hatte eine Arbeitsgruppe um Svante Päaboo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig die DNA-Sequenz des intakten FOXP2-Gens beim Menschen mit jener von Menschenaffen sowie Mäusen verglichen.

Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass das menschliche FOXP2-Gen eine ganz spezifische Sequenzvariation aufweist, die sie bei den anderen Spezies nicht nachweisen konnten.
Winzige Unterschiede für Sprechfähigkeit
Diese geringfügige Änderung könnte im Zuge der Evolution eine ganze Kette von weiteren Änderungen nach sich gezogen haben. Denn das FOXP2-Gen stellt die Bauanleitung für einen Transkriptionsfaktor bereit - ein Protein, dass die Aktivität zahlreicher anderer Gene steuert.

Die Leipziger fanden Hinweise dafür, dass die menschliche Form von FOXP2 für seinen Träger vorteilhaft gewesen sein muss und daher vermutlich maßgeblich mit der Entwicklung der menschlichen Sprache verknüpft ist.
->   Die molekulare Evolution des "Sprach-Gens" (14.8.02)
Vögel: Lernen von Gesang wie Spracherwerb
Im Gegensatz zu Mäusen und Menschenaffen lernen zahlreiche Vogelarten ihre Gesangsmuster ähnlich wie Menschen das Sprechen.

Constance Scharff, Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin, wollte daher herausfinden, ob die beim Menschen gefundene Sequenzvariation in FOXP2 auch bei Gesang lernenden Vögeln existiert.
Expression im Gehirn von Vögeln
Zusammen mit Sebastian Haesler sowie Kollegen von der amerikanischen Duke University, Erich Jarvis und Kazuhiro Wada, verglich sie die Expression von FOXP2 im Gehirn Gesang lernender Vögel, wie Zebrafinken, Kanarienvögeln, Sittichen, Spatzen, Meisen und Kolibris sowie nicht Gesang lernender Vögel, wie zum Beispiel Ringeltauben.

Darüber hinaus studierten die Forscher das Gen bei den nächsten Verwandten der Vögel, den Krokodilen.
Wo ist das Gen im Vogelhirn aktiv?
Die Ausgangsfrage: Wann und wo wird das Gen im Vogelhirn exprimiert. Sind es Regionen, die für die Gesangsproduktion verantwortlich sind oder für das Gesangslernen - und wird das Gen in erster Linie während der Lern- oder Produktionsphase exprimiert?

Darüber hinaus analysierten die Forscher die Struktur des Singvogel-Gens und verglichen sie mit der menschlichen Form von FOXP2.
Sequenzähnlickkeit, aber keine Variationen
Das Ergebnis: Das Zebrafinken-Gen ähnelt dem des Menschen sehr, weist allerdings nicht die beim Menschen gefundenen charakteristischen Sequenzvariationen auf.

"Offensichtlich ist diese Veränderung nicht zwingend erforderlich für das Gesangslernen, zumindest nicht bei Vögeln", erklärt Constance Scharff, "oder es gibt eine andere Variation im Singvogel-Gen, die dazu geführt hat, dass diese Fähigkeit entwickelt wurde."
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Gibt es auch Unterschiede bei Vögeln?
In Zusammenarbeit mit den Leipziger Max-Planck-Wissenschaftlern will Scharff daher herausfinden, ob ein Sequenzvergleich zwischen dem FOXP2-Gen von Gesang lernenden und nicht lernenden Arten Unterschiede zu Tage fördert, analog zu denen zwischen Mensch und Schimpanse.
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Immer dann aktiv, wenn Vögel Gesang lernen
Ganz sicher sind sich die Forscher bei der Identifizierung der relevanten Hirnregionen - FOXP2 wird tatsächlich bei Vögeln wie bei Säugetieren, einschließlich des Menschen, in den Basalganglien exprimiert, und zwar zu einem Zeitpunkt, wenn die Vögel Gesangsmuster erlernen.

Im Fall von Zebrafinken ist das während der frühen Entwicklung, bei Kanarienvögel dagegen saisonal.

"Wir konnten feststellen, das der FOXP2-Level in einem Basalganglien-Kern, der für das Gesangslernen spezialisiert ist, genau zu jenem Zeitpunkt anstieg, wenn die Vögel ihren Gesang änderten", erklärt Scharff. "Vergleichbare Änderungen konnten wir bei den nicht Gesang lernenden Arten nicht nachweisen."
"Entdeckung stellt lediglich einen Anfang dar"
Auf der Basis dieser Befunde erhoffen sich die Forscher nun weitere Erkenntnisse über den Beitrag der Gene zur Architektur und Funktion jener Schaltkreise im Gehirn, die den Vogelgesang steuern.

Die Entdeckung von FOXP2 bei Vögeln stellt lediglich einen Anfang dar, noch ist nicht direkt gezeigt, warnt Scharff, dass das Gen notwendig ist für das Gesangslernen.

Versuche, FOXP2 gentechnisch zu verändern und die möglichen Auswirkungen auf den Vogelgesang zu studieren, stehen daher ganz oben auf ihrem Arbeitsprogramm.
->   Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik
->   Erich Jarvis Lab (Duke University)
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Komplex: Wie Singvögel singen und zugleich tanzen (23.1.04)
->   Wie Vogelgesang die Fortpflanzung beeinflusst (18.11.03)
->   Vogelgesang angepasst an die Umgebung (18.12.01)
 
 
 
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01.01.2010