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Wie das Gehirn Objekte als Gesichter erkennt  
  Wie schafft es der Mensch, Objekte - beispielsweise ein Gesicht - auch dann richtig zu erkennen, wenn ihre spezifischen Eigenschaften - wie etwa Mund, Nase oder Augen - fehlen? Die Antwort scheint relativ simpel: Im Zweifelsfall liefert der Kontext die nötige Information. Für das Gehirn ist diese Frage allerdings nicht ganz so einfach zu beantworten, gelten doch ganz bestimmte hochspezialisierte Areale als abhängig von den erwähnten spezifischen Informationen eines Objekts. Dass der Kontext dabei aber doch eine große Rolle spielt, haben nun US-Forscher herausgefunden.  
Die Ergebnisse der Forscher um Pawan Sinha vom Department of Brain and Cognitive Sciences des Massachusetts Institute of Technology (MIT) sind im Fachmagazin "Science" erschienen.
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Die Studie ist unter dem Titel "Contextually Evoked Object-Specific Responses in Human Visual Cortex" in "Science", Bd. 304, Seiten 115 - 117, Ausgabe vom 2. April 2004 erschienen.
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"Konstruktion" des Gesichts im Gehirn
Bild: Science
"There's no art to find the mind's construction in the face" heißt es in Shakespeares Macbeth. Die MIT-Wissenschaftler haben sich nun immerhin aufgemacht, die "Konstruktion" des Gesichts im Gehirn zu klären.

"Die Prozesse der menschlichen visuellen Wahrnehmung sind erstaunlich robust und können unter stark verminderten Sehbedingungen funktionieren", schreiben die Neurobiologen in "Science".

Ein Beispiel dafür: die auf dem Bild rechts dargestellte Szenerie. Die Gesichter der Athleten seien leicht zu erkennen, heißt es in der Studie. Doch die Leichtigkeit, mit der man diese Aufgabe bewältige, täusche über deren Komplexität hinweg.
Gesichter erkennbar, auch ohne Augen oder Mund
Tatsächlich sind einige der Gesichter dank ihrer spezifischen Information (etwa die Anordnung von Augen, Nase und Mund) erkennbar. Bei vielen anderen fehlen diese Signale allerdings fast völlig.

Letztere werden dennoch problemlos richtig gedeutet - über kontextuelle Signale wie den dazugehörigen Körper.
Objekterkennung via Kontext-Information
Die Rolle solcher Informationen aus dem Zusammenhang erscheint logisch - und wurde darüber hinaus bereits in einer ganzen Reihe von Studien untersucht. Sowohl kontextuelle als auch "wesenhafte" Signale können demnach der Objekterkennung dienen.
Offene Frage: Verarbeitung im Gehirn
Wie aber sieht es diesbezüglich mit der Verarbeitung im Gehirn aus? Die menschliche Schaltzentrale ist bekanntlich ein äußerst komplexes Organ - und im visuellen System finden sich tatsächlich Bereiche, die eine sehr hohe Objektspezifität für ganz bestimmte Formen aufweisen.

Man kennt etwa das so genannte fusiforme Gesichtsareal, kurz FFA (fusiform face area). Diese Region, angesiedelt im Gyrus fusiformis, ist auf die Wahrnehmung menschlicher Gesichter spezialisiert.

Bislang galt die Annahme, dass das FFA - so wie andere solche Areale - nur auf ganz spezifische, dem jeweiligen Objekt innwohnende Informationen (wie eben beispielsweise Augen, Mund und Nase im Fall des Gesichts) reagiert.
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Hochspezialisierte Objekterkennung
Das visuelle System im menschlichen Gehirn zeigt tatsächlich zum Teil überraschende Spezialisierungen - etwa von ganzen Hirnregionen oder sogar einzelnen Nervenzellen. Angesiedelt ist die Objekterkennung im so genannten Schläfenlappen.

Untersuchungen mit bildgebenden Methoden konnten etwa zeigen, dass diese Region auf verschiedene Objekte (etwa Gesichter, ein Stuhl oder auch eine Plastikflasche) ganz unterschiedlich reagiert. So können Verletzungen zu ganz unterschiedlichen Störungen führen. Bei den Betroffenen ist beispielsweise die Wahrnehmung von Gesichtern beeinträchtigt, nicht aber die anderer Objekte.
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Testreihe mit unterschiedlichen Bildern
Die Forscher legten nun einer Reihe von Probanden eine Serie von Bildern vor - und beobachteten währenddessen ihre Gehirnaktivität im Bereich des erwähnten fusiformen Gesichtsareals.

Die Hypothese: Wenn kontextuelle Information bei der Gesichterdarstellung im Gehirn eine Rolle spielt, dann könnte sich dies auch dann im FFA ablesen lassen, wenn die jeweiligen Bilder ein Objekt nur über seine Umgebung als Gesicht erkennbar machten - wenn also die "wesenhaften" Signale fehlen.
Sechs verschiedene "Stimulus-Kategorien"
 
Bild: Science

Die Forscher erstellten für die Studie sechs "Stimulus-Kategorien": A) Körperbilder mit nicht erkennbarem Gesicht, B) Körper und nicht erkennbares Gesicht in falscher räumlicher Anordnung zueinander, C) das verschwommene Gesicht ohne Körper, D) Körper ohne Gesicht, E) deutlich erkennbares Bild eines Gesichts sowie F) Szenen völlig ohne Körper oder Gesicht.
FFA auch über Kontext aktivierbar
Das Ergebnis der Forscher: Gesichter, die sich nur über ihre Umgebung auch als solche erkennen ließen, aktivierten den FFA mindestens genauso gut wie jene, die durch Augen, Nase, Mund und Co deutlich als solche erkennbar waren.

Mit anderen Worten: Auch wenn unser Gehirn hochspezifische Reaktionen zeigt, kann es dafür auf aus dem Kontext gelieferte Informationen und Signale zurück greifen.

Die genaue Art und Weise, wie dies geschieht, müssen allerdings weitere Studien klären. Die MIT-Wissenschaftler glauben jedoch, dass kontextuelle Informationen sehr viel stärker in die Objekterkennung eingebunden sind, als man bislang geglaubt hatte.
->   Department of Brain and Cognitive Sciences (MIT)
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01.01.2010