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Placebo-Chirurgie zur Kontrolle einer Parkinson-Therapie  
  Die Behandlung mit so genannten Placebos - Scheinmedikamenten - ist aus medizinischen Studien wohlbekannt. Weniger häufig - und zudem umstritten - ist dagegen der Einsatz solcher Scheinbehandlungen in der Chirurgie. Nun haben US-Forscher die Ergebnisse einer Studie an Parkinson-Patienten veröffentlicht: Bei der Hälfte der Betroffenen wurde eine Operation, bei der embryonale Nervenzellen ins Gehirn implantiert werden sollten, nur vorgetäuscht. Die Ergebnisse sind erstaunlich.  
Der so genannte Placebo-Effekt - eine Wirkung also, ohne wirkliche Behandlung - sei sehr stark gewesen, berichten die Mediziner im Fachmagazin "Archives of General Psychiatry". Zumindest was die Einschätzung der Patienten zur eigenen Lebensqualität anging.
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Der Artikel "Effects of Perceived Treatment on Quality of Life and Medical Outcomes in a Double-blind Placebo Surgery Trial" ist erschienen in den "Archives of General Psychiatry", Bd. 61, Seiten 412-420 (April 2004).
->   Abstract des Artikels ("Arch Gen Psychiatry")
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Parkinson: Verlust Dopamin produzierender Zellen
Ursache des so genannten Morbis Parkinson ist der fortschreitende Verlust von bestimmten Nervenzellen im Gehirn. Diese speziellen Neuronen produzieren Dopamin, einen der wichtigsten Botenstoffe für einen geregelten Bewegungsablauf des Körpers.

Der Mangel an Dopamin, vor allem aber die aus dem Gleichgewicht geratene Balance der verschiedenen Botenstoffe im Gehirn führt schließlich zu den typischen Symptomen der Krankheit: Zittern, Muskelsteifheit und Verlangsamung aller Bewegungen. Die Krankheit gilt bislang als nicht heilbar.
->   Mehr zu Morbus Parkinson (www.medicine-worldwide.de)
Placebo-Chirurgie und dopaminerge Neuronen
Die Wissenschaftler um Cynthia McRae von der University of Denver haben nun untersucht, wie effektiv eine Behandlung mit embryonalen so genannten dopaminergen Neuronen bei Patienten mit fortgeschrittenem Morbus Parkinson ist.

Doch nur 20 der insgesamt 40 Testpersonen aus den USA und Kanada erhielten tatsächlich die Zellen implantiert, bei den Übrigen wurde eine Operation - Placebo-Chirurgie also - nur vorgetäuscht.
Zweite Studie zur Lebensqualität
In einer zweiten Studie wurde zudem bei 30 dieser Patienten (12 davon erhielten tatsächlich ein Transplantat, 18 dagegen wurden nur scheinbar behandelt) die Lebensqualität nach der Therapie untersucht.

Die Ergebnisse der beiden Studien zeigen den Medizinern zufolge einen starken Placebo-Effekt und "demonstrieren den Wert von Placebo-kontrollierten chirurgischen Studien", heißt es in dem Artikel.
War an die OP glaubt, dem geht es besser
Demnach berichteten jene Personen, die glaubten, die Operation erhalten zu haben, 12 Monate später von einer deutlichen Verbesserung ihrer Lebensqualität - im Gegensatz zu jenen Patienten, die davon ausgingen, nur in der Placebo-Kontrollgruppe gewesen zu sein.

Und zwar unabhängig davon, ob die Befragten tatsächlich der jeweiligen Patientengruppe zugehörig waren.

So berichtete etwa eine Patientin, dass sie vor der Operation über Jahre hinweg kaum noch sportlich aktiv gewesen sei. In den Monaten danach jedoch begann sie wieder zu wandern und mit dem Eislaufen. Sie war sehr überrascht, als sie schließlich erfuhr, tatsächlich gar keine "echte" Behandlung erhalten zu haben.
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Placebos wirken im Gehirn - aber anders
Bekannt sind Placebos als Scheinmedikamente, die keine wirksame Substanz enthalten. Das Phänomen, dass sich bei Patienten trotzdem eine Verbesserung einstellen kann - sofern sie glauben, dass sie ein "echtes" Arzneimittel einnehmen - ist in der Medizin als Placebo-Effekt bekannt. Bei manchen Patienten treten gar Nebenwirkungen auf. Eine vergleichende Studie unter Depressiven hat etwa gezeigt, dass sich die Wirkweise eines Placebos stark von derjenigen herkömmlicher Antidepressiva unterscheidet: Beide helfen demnach den Patienten, rufen im Gehirn aber ganz unterschiedliche Reaktionen hervor.
->   Mehr dazu: Artikel vom 2. Jänner 2002
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Selbst medizinisches Personal zeigte Wirkung
Die Untersuchungen wurden zudem als so genannte Doppelblind-Studie durchgeführt: Selbst das behandelnde medizinische Personal in den verschiedenen Kliniken wusste nicht, welcher Gruppe die jeweiligen Patienten tatsächlich angehörten.

Und auch hier zeigten sich ähnliche Ergebnisse: Die Einschätzungen der nicht eingeweihten Mediziner und Pfleger hinsichtlich des neurologischen Zustandes ihrer Patienten spiegelte deren Glaube oder Nicht-Glaube an die Transplantation von Nervenzellen wieder.
Dennoch: Vorteil der Neuronen-Implantation
Die Untersuchung der Parkinson-Symptome - genauer gesagt: der Bewegungsabläufe - erbrachte dagegen sehr wohl einen Vorteil der Behandlung mit den dopaminergen Neuronen:

Laut Studie konnte (bei allen 40 Probanden) festgestellt werden, dass die Implantierung der embryonalen Nervenzellen zu einer Verbesserung der Bewegungsabläufe führte, während sich eine solche positive Wirkung bei der Placebo-Kontrollgruppe nicht zeigte.
Plädoyer für die Placebo-Chirurgie
"Die Studie ist enorm wichtig hinsichtlich des Placebo-Effekts", kommentiert Co-Autor Dan Russel von der Iowa State University die Ergebnisse in einer Aussendung. Keine andere Blindstudie sei bislang über einen so langen Zeitraum durchgeführt worden.

Studienleiterin Cynthia McRae sieht damit die Vorteile der Placebo-Chirurgie nachgewiesen: Zwar sei die Scheinchirurgie kontrovers und habe ethische Bedenken aufgeworfen. Doch die Ergebnisse der Studie zeigten, wie wichtig das Doppelblind-Design sei, um zwischen echten und eingebildeten Wirkungen einer Behandlung bzw. eines Eingriffs zu unterscheiden.
Placebo-Chirurgie zum Test von Operationsmethoden?
Mehr evidenzbasierte Chirurgie, etwa durch "Placebo-Operationen", forderten kürzlich auch deutsche Mediziner. Letztlich müssten neue chirurgische Methoden und selbst ältere Verfahren auf diese Weise überprüft werden.

"Placebo-Chirurgie ist ethisch und klinisch notwendig", erklärten die Mediziner im "Deutschen Ärzteblatt".
Beispiel Kniegelenkschmerzen
Sie führten eine Reihe von Studien als Beweis und Beispiel an, die in den vergangenen Jahren durchgeführt wurden und ebenfalls recht interessante Ergebnisse erbrachten:

Demnach wurde etwa eine chirurgische Blindstudie bei Patienten mit Kniegelenkschmerzen durchgeführt. Was die Schmerzen nach der tatsächlichen oder vermeintlichen Operation anging, ließ sich offenbar kein Unterschied zwischen beiden Gruppen feststellen.
->   Mehr dazu: Artikel vom 9. Februar 2004
->   University of Denver College of Education
->   Alles zum Stichwort Placebo in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010