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Neue Visionen nach dem "Ende der Utopien"  
  Als nach dem Scheitern des real existierenden Sozialismus im "Revolutionsjahr" 1989 der Publizist Joachim Fest das Ende des Zeitalters politischer Utopien konstatierte, fanden sich nur wenige Gegenstimmen. Hatte doch der Zusammenbruch des Kommunismus die Katastrophen des 20. Jahrhunderts mit seinen beiden Weltkriegen, den Gulags und den Konzentrationslagern noch einmal als verheerende Folge politischer Ideologien in Erinnerung gerufen. Neuerdings wagen aber wieder einige Autoren, Utopien ins Gespräch zu bringen.  
Neue Formen der Utopie
Diese Entwicklung spiegelt sich dem Literaturkritiker Helmut Böttiger zufolge auch in der deutschen Gegenwartsliteratur: Nach dem Ende der DDR war es im Osten klar, dass der Begriff Utopie erst einmal ausgedient hatte, im Westen, unter anderen Vorzeichen, ebenso. Es sei aber, so Böttiger weiter, hier wie dort ein Neuansatz festzustellen, wobei unter der Hand neue Formen dessen entstehen könnten, was man bisher "Utopie" genannt habe.
Entstehen von "anarchischer Subjektivität"
Wie diese neuen Formen beschaffen sind, führt Böttiger in seinem im März erschienenen Band "Nach den Utopien" aus, in dem er zeitgenössische deutschsprachige Autoren von Günter Grass bis Judith Hermann porträtiert. Die Auflösung des bürgerlichen Ichs würde, schreibt Böttiger dort, von den Schriftstellern unterschiedlich reflektiert: Das Zentrum ist leer, und an den Rändern finden ungeordnete, lustvolle und spannungsgeladene Bewegungen statt.

Im Wissen um die Leere findet sich das Ich auf unvorhergesehene Weise wieder. Dieses neu entstehende Ich nennt der Autor eine anarchische Subjektivität.
->   Helmut Böttiger: Nach den Utopien (Paul Zsolnay Verlag)
Verwirklichung alter Menschheitsträume
Mit der Auflösung unseres traditionellen Menschenbildes vor allem infolge des rasanten technischen Fortschrittes beschäftigt sich der Sammelband "Renaissance der Utopien". An dem Buch fällt auf, dass die neuen Techniken von der Mehrzahl der vierzehn Autoren als ein Mittel betrachtet werden, lang gehegte Menschheitsträume zu verwirklichen. Dass dabei der Mensch fast nur noch als Störfaktor betrachtet wird, stört beispielsweise einen bekennenden Transhumanisten wie den Autor Hubert Mania nicht.
Auswanderung ins All?
Einen Kontrapunkt hierzu setzt allerdings Guillaume Paoli, ein Mitbegründer der "Glücklichen Arbeitslosen". Er malt in seinem Beitrag aus, dass es um die Menschen auf der Erde dann gar nicht so schlecht bestellt sein wird, wenn die wissenschaftlich-technische Elite eines Tages endgültig ins All auswandert.
Doch kein Ende der Geschichte
Dem Mitherausgeber des Bandes, Rudolf Maresch, zufolge liegt die Absicht des Buches darin, der schwarzseherischen Diskussion über das Ende der Geschichte, wie sie insbesondere in Zentraleuropa geführt wird, etwas Positives entgegenzusetzen. Dabei diene vor allem Amerika mit seinem ausgeprägten Optimismus als Vorbild.

Maresch räumt allerdings ein, dass einige Artikel des Bandes zu stark auf das technisch Machbare ausgerichtet seien. Es war aber schwierig, so Maresch, Autoren und Autorinnen zu finden, die Utopisches zu zwischenmenschlichen und existenziellen Fragen beigetragen hätten.
->   Rudolf Maresch, Florian Rötzer (Hg.): Renaissance der Utopie (Suhrkamp Verlag)
"Manifest für eine neue Weltordnung" ...
Um einiges konkreter und mit einer politischen Utopie verbunden sind dagegen zwei Bücher, die aus dem Umkreis der Globalisierungskritiker kommen. In dem Band "United People" entwirft George Monbiot ein - wie es im Untertitel heißt - "Manifest für eine neue Weltordnung".

Der streitbare englische Journalist und Wissenschaftler erteilt dabei allen kommunistischen und anarchistischen Ideologien eine deutliche Absage. Stattdessen setzt er auf die demokratische Karte.
... mit Weltparlament und ausgeglichenen Handelsbilanzen
Er glaubt, dass die wirtschaftliche Globalisierung nur dann wirksam kontrolliert und zum Nutzen von allen gestaltet werden kann, wenn ihr eine ebenso globale Demokratie korrespondiert. Anstelle der nationalstaatlich strukturierten UNO solle ein Weltparlament treten, dessen Abgeordneten direkt gewählt werden. Des Weiteren fordert Monbiot eine Verrechnungsstelle, die für eine ausgeglichene Handelsbilanz zwischen den Staaten sorgen soll, und eine Organisation für fairen Handel.
->   George Monbiot : United People (Riemann Verlag)
Lokale Demokratien gegen globale Konzernherrschaft
Einen anderen Akzent setzen dagegen Jerry Mander und John Cavanough in ihrem Buch "Eine andere Welt ist möglich". Sie plädieren zwar auch dafür, dass demokratische Institutionen auf globaler Ebene geschaffen werden und so der fatalen Herrschaft der Konzerne ein Ende gemacht wird.

Anders als Monbiot treten sie aber zugleich für größere lokale Selbstbestimmung und für die Selbstständigkeit der Nationalstaaten ein. Global solle nur geregelt werden, was von zwingender internationaler Bedeutung ist wie beispielsweise der Klimaschutz.

Thomas Oser, dpa
->   Jerry Mander, John Cavanough: Eine andere Welt ist möglich (Riemann Verlag)
 
 
 
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01.01.2010