News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Albtraum-Operation: BIS-Monitor gegen Wachzustand  
  Immer wieder kommt es zu diesen Vorfällen: Patienten berichten nach einer Operation von mehr oder minder starken Wahrnehmungen während der Prozedur. Selten aber doch kommt es gar dazu, dass Betroffene die Schmerzen des chirurgischen Eingriffs spüren, sich jedoch nicht bewegen oder reagieren können. Ein Albtraum für die Patienten - die Häufigkeit solcher Vorfälle soll nun jedoch ein so genannter BIS-Monitor drastisch reduzieren können. Die Geräte werden auch am AKH Wien getestet.  
Dem Phänomen des Wachzustandes während einer Operation widmet sich ein Artikel in der aktuellen Ausgabe des britischen Wissenschaftsmagazins "New Scientist".
...
Unter dem Titel "Ending the nightmare" berichtet Rachel Nowak unter anderem über eine Studie von australischen Forscher, die die routinemäßige Verwendung des BIS-Monitoring während einer Operation propagieren. Erschienen im "New Scientist", Ausgabe vom 17. April 2004.
->   Der Artikel von Rachel Nowak im "New Scientist"
...
"Es war wie eine Folter"
Die Beschreibungen der ehemaligen Patienten klingen wahrlich albtraumhaft: "Es war wie eine Folter", berichtet etwa Karen Rowan im "New Scientist". Die Medizinerin unterzog sich vor vier Jahren einer Gallenblasenoperation - und verspürte dabei die Schmerzen, konnte sich jedoch nicht bewegen.

Am schlimmsten sei die Furcht gewesen, erzählt Karen Rowan weiter. Sie habe nicht gewusst, ob man einen chirurgischen Eingriff überhaupt überleben könne, wenn man dabei all die Schmerzen verspüre.
Wie häufig sind die Fälle tatsächlich?
Dem Bericht des Magazins zufolge kommt es bei etwa einem von 1.000 Patienten zu gewissen Wahrnehmungen während einer Operation, die unter Allgemeinanästhesie durchgeführt wird.

Diese Zahlen hält allerdings der Anästhesist und Intensivmediziner Michael Zimpfer, Vorstand der Universitätsklinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin am AKH Wien, für zu hoch gegriffen.

"Der Patient muss relativ wach sein, um aus dem Operationssaal abtransportiert zu werden", erläutert der Experte gegenüber science.ORF.at. Mit anderen Worten: Zwar ist der Eingriff bereits abgeschlossen, doch der Betroffene nimmt Gesprächsfetzen wahr - und glaubt hinterher, einen Teil der Operation miterlebt zu haben.
Dennoch Schmerz während der Operation
Doch auch Michael Zimpfer gibt zu, dass es tatsächlich während eines chirurgischen Eingriffs zu den Phänomenen "Awareness" bzw. "Awakefullness" kommen kann. Im schlimmsten Fall verspürt also der Patient die Schmerzen der Operation.

In der medizinischen Literatur variieren die Angaben zur Häufigkeit solcher Vorkommnisse zwischen 1:2.000 und 1:5.000.
...
"Awareness" und "Awakefullness" im Operationssaal
Mit dem Terminus "Awareness" beschreibt man laut Michael Zimpfer gewisse Wahrnehmungen des Patienten während einer Operation. "Es heißt im Wesentlichen, dass der Patient etwas mitbekommt", erklärt der Experte. Also etwa Gespräche der Chirurgen, die der Betroffene in einer Art schmerzlosem Dämmerzustand wahrnimmt. Der Begriff "Awakefullness" hingegen bezieht sich demnach auf Vorkommnisse, bei denen der Patient tatsächlich Operationsinhalte mitbekommt. Er kann also auch die Schmerzen des Eingriffs verspüren.
...
Studie: BIS-Monitoring als Lösung
Im "New Scientist" wird nun von einer großen Studie berichtet, die unter der Leitung zweier australischer Mediziner in Melbourne durchgeführt wurde. Die Ergebnisse sollen demnächst im Fachmagazin "The Lancet" erscheinen.

Demnach lässt sich mithilfe eines relativ simplen Gerätes die Häufigkeit solcher Vorfälle um rund 80 Prozent reduzieren.

Dieser so genannte BIS-Monitor (BIS steht für den "Bispektralen Index") überwacht eine komplexe Mischung verschiedenster Gehirnaktivitäten. Im Grunde handelt es sich um eine mathematische Analyse herkömmlicher EEG-Wellen.
->   Ausführliche Informationen zur Studie (www.b-aware-trial.org)
Wahrnehmungsindex als Richtlinie für Mediziner
Als Ergebnis erhält der Anästhesist demnach eine Art Wahrnehmungsindex des narkotisierten Patienten. Der Wert 100 steht für weitgehend wach, zwischen 40 und 60 liegt laut "New Scientist" der empfohlene Wert für eine Anästhesie.
AKH Wien: BIS-Monitor bereits im Test
Tatsächlich wird dieses Gerät auch an der Universitätsklinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin des AKH Wien getestet, wie Michael Zimpfer berichtet. Eine eigene Arbeitsgruppe widmet sich dort dem Thema "Awareness und Awakefullness".

Und auch die Mediziner halten den Bispektralen Index für durchaus vielversprechend. Immerhin ist das Gehirn schließlich das Zielorgan der Narkotika - neurophysiologische Daten zur Messung der Anästhesietiefe scheinen daher logisch.
...
Warum das EEG alleine nicht funktioniert
Die Idee ist natürlich nicht neu. Doch ein unverarbeitetes Elektroenzephalogramm (EEG), das die Gehirnaktivität misst, hatte sich schnell als unzureichend herausgestellt. Nach den Informationen der AKH-Arbeitsgruppe ist es zu kompliziert und zu anfällig, um routinemäßig eingesetzt zu werden. Seither wurden unterschiedliche Modelle der mathematischen Analyse von Gehirnaktivität getestet - bislang ohne Erfolg. Keines der getesteten Modelle habe sich als verlässlicher Indikator der Anästhesietiefe erwiesen. Das neueste mathematische Modell der EEG-Verarbeitung ist nun der Bispektrale Index. Ein Ziel der Arbeitsgruppe ist es herauszufinden, ob das BIS-Monitoring tatsächlich die Lösung sein könnte.
...
Schon jetzt wird der Patient genau beobachtet
Die Anästhesisten jedenfalls wissen um das Problem: Auch jetzt schon wird überall an den Krankenhäusern sehr genau überwacht, ob der Patient während einer Operation möglicherweise zu wenig der Schmerz und Bewusstsein ausschaltenden Medikamente erhält.

Die moderne Anästhesie ist hochkomplex - eine Wissenschaft für sich, wie Micheal Zimpfer ausführt. Es geht schließlich auch darum, die durch die Substanzen ausgelösten Nebenwirkungen für den Patienten möglichst gering zu halten.
Körpermasse, Alter und andere Parameter
Daher muss ein Anästhesist - hat er Zeit genug, sich auf eine Operation vorzubereiten - schon vorher eine Vielzahl von Parametern bedenken und einen detaillierten Plan für den Eingriff ausarbeiten. Wichtige Faktoren sind etwa Körpermasse, Alter, weitere Erkrankungen, die Einnahme anderer Medikamente und vieles mehr, wie der Wiener Experte erläutert.
Bestimmte Fälle sind "Risikopatienten"
In bestimmten Fällen handelt es sich dann tatsächlich um "Risikopatienten", was die Wahrscheinlichkeit von Wahrnehmungen während des Eingriffs betrifft.

Denn wie Zimpfer erläutert: "In bestimmten Fällen setzt man bewusst eine leichtere Anästhesie ein. Etwa bei einem Kaiserschnitt, um dem Kind nicht zu schaden. Und vor allem auch, wenn das Kind nicht ganz in Ordnung ist." Bei Patienten mit einem schwachen Herz ist die Dosierung ebenfalls eher geringer.
Biosignale wie Schwitzen und Herzfrequenz
Sehr wichtig sei, dass der Patient ständig beobachtet werde. Diverse Biosignale kontrolliert der Anästhesist während einer Operation ständig, wie Zimpfer sagt. Dabei achtet man auch auf typische Zeichen einer zu geringen Narkosetiefe wie Schwitzen, tränende Augen oder eine erhöhte Herzfrequenz.

Das Problem ist nur, dass etwa Blutdruckanstieg oder Pulsbeschleunigung bei jeder Operation auftreten. Die Lösung könnte möglicherweise tatsächlich das BIS-Monitoring bieten - doch zuvor müssen weitere Studien die letzten Zweifel an dessen Eignung ausräumen.

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   Universitätsklinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin
->   Mehr zum Thema Anästhesie in science.ORF.at
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010