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Immer mehr Krankheiten bei den Bewohnern der Meere  
  Wird das Leben in den Ozeanen der Welt immer stärker durch Krankheiten bedroht? Diese Vermutung hegen Meeresbiologen seit langem, doch ein Nachweis für die These fehlte bislang. US-Forscher haben nun die wissenschaftliche Literatur zum Thema "gezählt" - und stellen in ihrer Studie für einen Großteil der untersuchten Arten tatsächlich eine Zunahme an Erkrankungen fest.  
Jessica Ward von der Cornell University im US-Bundesstaat New York hat sich gemeinsam mit einem Kollegen auf neun Gruppen von Meereslebewesen konzentriert - und für ihre Studie die wissenschaftliche Literatur seit 1970 unter die Lupe genommen.
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Der Artikel ist unter dem Titel "The Elusive Baseline of Marine Disease: Are Diseases in Ocean Ecosystems Increasing?" im Open-Access-Journal "Public Library of Science (PloS) Biology", Bd. 2, Ausgabe vom 13. April 2004 erschienen (doi: DOI: 10.1371/journal.pbio.0020120).
->   Der Artikel im Volltext
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Neue Erreger bei Walen, Pilzinfektionen bei Korallen ...
Im Jahr 1998 hat laut dem Wissenschaftsmagazin "New Scientist" eine Gruppe führender Meeresbiologen zum Thema Erkrankungen mariner Lebewesen davor gewarnt, dass die Bewohner der Meere häufiger krank würden und zudem mehr Krankheiten hätten.

Demnach waren etwa neue Erreger bei Walen und Robben festgestellt worden, Korallen starben an Pilz- und Algeninfektionen, Sardinen erlagen Viren und ein aggressiver Parasit begann sich bei kommerziell gezüchtete Austern und Muscheln auszudehnen.

In der Karibik beispielsweise löschte ein unbekanntes Bakterium die vorherrschende Seeigel-Art aus.
Echter oder scheinbarer Anstieg?
Das Problem für die Meeresbiologen: Es ließ sich nicht sicher feststellen, ob der scheinbare Anstieg an Erkrankungen nicht einfach darauf zurückzuführen war, dass mehr Wissenschaftler dem Thema mehr Aufmerksamkeit schenkten.

Es gab keinerlei Basisdaten, da bislang niemand - über einen gewissen Zeitraum hinweg - die Erkrankungshäufigkeit bei einer dieser Arten untersucht hatte.
Anzahl der Studien zum Thema als Maßstab
Jessica Ward und ihr Kollege Kevin Lafferty vom Marine Science Institute der University of California in Santa Barbara haben sich nun die Anzahl an wissenschaftlichen Berichten und Studien zu diesem Thema angesehen und untersucht, wie diese sich - bezogen auf neun verschiedene Gruppen von Meereslebewesen - seit 1970 verändert hat.

Nach ihren Angaben zeigte sich ein deutlicher Trend, der auf häufigere Erkrankungen sowie mehr Krankheiten bei den diversen Bewohnern der Ozeane hinweist.
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Zunächst Test anhand von Tollwut-Berichten
Die beiden Forscher wollten zunächst herausfinden, ob man anhand der (veränderten) Anzahl wissenschaftlicher Berichte tatsächlich auf die Häufigkeit der betreffenden Themen bzw. Erkrankungen rückschließen könne. Die Erkrankung ihrer Wahl: Tollwut. Die Biologen untersuchten konkret, wie Tollwutfälle bei Waschbären in den USA mit der Anzahl der Studien zu diesem Thema korrelierten. Die Zahlen passten zueinander, wie es im "New Scientist" heißt. Mit anderen Worten: Das Ergebnis legt nahe, dass mehr Studien zu einer Erkrankung auch ein Mehr an Erkrankungen bedeuten.
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Strategien für möglichst genaue Ergebnisse
Um auszuschließen, dass etwa ein beim Eintreiben von Forschungsgeldern besonders erfolgreiches Institut ihre Ergebnisse verfälschen könnte, entfernten Ward und Lafferty zunächst alle Veröffentlichungen der produktivsten Forschergruppen aus den neun Untersuchungsbereichen.

Dies änderte nichts am allgemeinen Trend - genauso wenig, wie das Entfernen einer ganzen Reihe von Studien zu sehr gut dokumentierten Krankheitsereignissen (beispielsweise des erwähnten Seeigel-Sterbens) die Ergebnisse wesentlich beeinflusste.
Zunahme bei Korallen, Säugern und Co
Mit den wissenschaftlichen Berichten als Maßstab kamen die Forscher zu dem Schluss, dass Krankheiten in Meeresschildkröten, Korallen, Meeressäugetieren, Seeigeln und verschiedenen Mollusken wie Austern zugenommen haben.
Überraschende Abnahme bei Fischen
Bei Haien, Seegräsern sowie Krabben hat sich die Situation laut Studie nicht verändert, bei Fischen wiederum stellten die Biologen - überraschenderweise - eine Abnahme an Berichten zu Erkrankungen fest.
Erwärmung der Meere als eine mögliche Ursache
Es gibt allerdings zahlreiche mögliche Ursachen für den Anstieg an Erkrankungen. Ein Grund könnte laut Jessica Ward in den zunehmenden Oberflächentemperaturen der Meere im Gefolge der globalen Erderwärmung liegen.

Die Erwärmung hat demnach etwa dazu geführt, dass sich ein Austernparasit weiter nach Norden ausgebreitet hat. Und der Temperaturanstieg wird etwa auch mit der Beschleunigung des Tumorwachstums bei Schildkröten (ausgelöst durch ein Herpes-Virus) in Verbindung gebracht.
Direkter Einfluss des Menschen: Überfischung
Ein weiterer möglicher Faktor: Der direkte Einfluss des Menschen durch Überfischung der Meere. Dies könnte die marinen Ökosystem destabilisiert haben.

Und wieder wird das Beispiel der karibischen Seeigel zitiert: Diese nämlich ernährten sich hauptsächlich von Algen - als sie zunehmend verschwanden, wurden die Algen jedoch zum Problem für die Korallen. "Normalerweise hätten Fische die Algen gefressen - doch die waren nicht da", so Jessica Ward.
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Weitere mögliche Ursachen
- Neue Pathogene von Haustieren (beispielsweise Hundestaupe-Viren).
- Bioakkumulation von Toxinen, die das Immunsystem der Meeressäugetieren schwächen.
- Neue Arten von Erregern und Co könnten durch die Schifffahrt in neue Lebensräume gelangen und dort zuvor unbekannte Erkrankungen einführen.
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Warum Fische - zumindest scheinbar - so gesund sind
Angesichts der Studienergebnisse ist vor allem die scheinbare Gesundheit der Fische äußerst überraschend.

Wie Jessica Ward meint, könnte dies an der geringeren Anzahl der Tiere liegen. Viele Pathogene würden von selbst verschwinden, wenn die davon betroffenen Tieren nicht dicht genug lebten, um die Infektionen weiterzugeben.

Es sei aber auch möglich, meint die Biologin, dass Fische genauso häufig - oder gar noch öfter - erkranken. Doch weniger Fische bedeute weniger Beobachtungen - und damit auch weniger Berichte.
->   Department of Ecology and Evolutionary Biology (Cornell)
->   Department of Ecology, Evolution and Marine Biology (Santa Barbara)
->   Public Library of Science (PloS)
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01.01.2010