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Von Buben, Jungen und Co: Deutsch im Sprachgebrauch  
  Wenn der Borsch mit der Nani einen Tschik raucht, dann hat der Chronist wohl die Regionen durcheinandergebracht: Das Wort "Borsch" kommt im Frankfurter Raum vor und heißt "Junge", "Nanis" = Großmütter gibt es vereinzelt in der Schweiz, und als "Tschik" bezeichnet man hier zu Lande eine Zigarette. Die Verbreitung dieser und anderer Begriffe im deutschen Sprachraum kann man nun auf insgesamt 20 Karten studieren, die allesamt im Internet einzusehen sind.  
Zwei Wissenschaftler der Universitäten Bonn und Münster haben in einer Internet-Umfrage für 20 Beispiele untersucht, wie sich der jeweils "normale" örtliche Sprachgebrauch im deutschsprachigen Raum regional unterscheidet.

Von Juni 2003 bis Januar 2004 gingen insgesamt 1.814 Antworten aus 441 Orten bei ihnen ein - die Ergebnisse sind nun im Internet zu sehen.
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Detaills zu den Ergebnissen und Verbreitungs-Karten
Die detaillierten Ergebnisse der Studie mit farbig entsprechend markierten Verbreitungs-"Kaaten" (oder "Kachten" für die "Spochtsfreunde" aus dem westlichen Rheinland) und interessanten Hintergrund-Informationen gibt es im Internet. Unter derselben Adresse soll die Umfrage demnächst auch mit einem weiteren Fragebogen fortgesetzt werden.
->   Ergebnisse der Umfrage zum regionalen Sprachgebrauch
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Traditionelle Dialekte verschwinden
Die große Vielfalt der deutschen Dialekte sei allgemein bekannt, schreiben die beiden Sprachwissenschaftler Robert Möller und Stephan Elspaß einleitend zu den Ergebnissen der Umfrage.

In vielen Gebieten würden die traditionellen Dialekte allerdings nur noch von älteren Sprechern verwendet, in anderen Regionen seien sie fast vollständig aus dem Sprachgebrauch verschwunden.

Andernorts seien die Dialekte noch lebendiger, so die Wissenschaftler, aber auch dort finde die Alltagskommunikation häufig in einem "Zwischenbereich" zwischen Dialekt und Hochdeutsch statt.
Vom Großvater bis zum Spinnennetz
Bild: Moeller/Elspass
Die Landkarte zu "Pommes frites"
Dennoch: Insgesamt betrachtet zeigen sich immer noch große Unterschiede im Sprachgebrauch der verschiedenen Regionen - ablesbar auch anhand der in den Karten dargestellten Beispiele.

Die Forscher haben etwa erhoben, wie in den unterschiedlichen Regionen der Fernseher bezeichnet wird, mit welchem Begriff man den Großvater ruft, ob man "Pommfritt", "Pommes" oder "Fritten" bestellt - und wie gebräuchlich die Verwendung des Wortes "lecker" ist (in Österreich etwa laut Karte so gut wie gar nicht).

Auf diese Weise erfährt man auch, dass sich immerhin neun verschiedene Bezeichnungen für das Spinnennetz finden - darunter recht seltsam anmutende (wenn auch wenig gebräuchliche) Termini wie "Kankerl", "Spemuggle", "Spinnhuddle", "Spinnpuppe" oder auch "Spinnewette".
Regionale Unterschiede bei Aussprache, Grammatik ...
Ein Fazit der Sprachwissenschaftler lautet denn auch: Zwar ist der lupenreine Dialekt auf dem Rückzug, dennoch gibt es regional erhebliche Unterschiede im Alltagsdeutsch:

"Das betrifft besonders die Aussprache, aber auch den Wortschatz und sogar grammatische Konstruktionen", erklärt Robert Möller vom Institut für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande in einer Aussendung.
Von Jungen, Buben - und Giu
Bild: Moeller/Elspass
Möller hat die regionalen Unterschiede im Sprachgebrauch zusammen mit seinem Kollegen Stephan Elspaß vom Institut für Deutsche Philologie der Universität Münster untersucht. So spricht man etwa im Süden jenseits einer Linie Hunsrück - Thüringer Wald vom "Buben", nördlich davon sagt man hingegen fast ausschließlich "Jung(e)". Die Grenze entspreche der Verteilung in den Mundarten, heißt es zu Junge kontra Bub.

Aus dem Rhein-Main-Raum wird zudem vereinzelt der "Borsch" gemeldet (die mundartliche Form von Bursche), aus Kärnten und der Steiermark auch "Bersch". Letzterer ist allerdings nach Angaben der beiden Sprachwissenschaftler (die wiederum auf das "Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich" verweisen) nicht mit "Bursche" verwandt, sondern durch eine so genannte Bedeutungsübertragung aus "Barsch" entstanden.

Wobei die Schweizer aus dem Großraum Bern den Jungen auch "Giu" nennen - "eine Bezeichnung, die ursprünglich aus dem Mattenenglischen, einer Berndeutschen Geheimsprache, stammt", so Elspaß.
Von "etwas" zu "was", "Kippe" und "dadavon"
Weitere Ergebnisse der Umfrage: Der (nördliche) Rheinländer löscht seinen Durst eher wortkarg mit "was Saft", steht damit aber allein auf weiter Flur: In allen anderen deutschsprachigen Regionen ist in diesem Zusammenhang die Verkürzung von "etwas" zu "was" nicht üblich.

Interessant auch die Unterschiede, wenn es um den "Zigarettenstummel" geht: In der Schweiz heißt er schlicht "Stummel", in Deutschland "Kippe" - ein Wort, das mit dem süddeutschen "Kipf" oder "Kipferl" verwandt ist. Hier zu Lande dominiert der "Tschik", wenn sich auch ein "Stumpel" findet.

Dazu mag ein Norddeutscher anmerken: "Da weiß ich nichts von!". Im Süden dagegen hält man es mit dem Motto "doppelt genäht hält besser": Hier würde man eher hören "Dadavon weiß ich nichts!" oder "Da weiß ich nichts davon!"
->   Institut für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande (Uni Bonn)
->   Institut für Deutsche Philologie der Universität Münster
->   Die Österreichischen Dialektgebiete (ÖAW)
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Die Zukunft der Sprachen (26.2.04)
->   Germanische Wochentagsnamen in der Steiermark (12.2.03)
->   Das "Wörterbuch der Wiener Mundart" (20.9.02)
->   Kein "Zwutschkerl": Bairische Mundarten in Österreich (28.3.02)
 
 
 
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01.01.2010