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Mäuseweibchen Kaguya: Erstes Säugetier ohne Vater  
  Fortpflanzung ohne Männer: Bei Säugetieren galt dies bisher als unmöglich. Japanischen Molekularbiologen ist nun die "Jungfernzeugung" einer Maus gelungen - das "Kaguya" getaufte Mäuseweibchen besitzt ausschließlich mütterliches Erbgut. Es ging aus einer zusammengesetzten Eizelle hervor, die das Erbgut von zwei weiblichen Mäusen in sich trug.  
Gesund und fortpflanzungsfähig
Bild: Nature
Kaguya: Gesund und fortpflanzungsfähig
Kaguya sei zu einer gesunden erwachsenen Maus herangewachsen, die sich bereits ganz normal fortgepflanzt habe, schreibt das Team um Tomohiro Kono von der Tokyo University of Agriculture in "Nature". Die japanischen Forscher kombinierten die Erbgutträger der Eizellen von einer neugeborenen und einer erwachsenen Maus.

Sie schalteten ein Schlüsselgen in der Spender-Eizelle aus und veränderten dadurch das so genannte Imprinting, jenen Prozess, durch den eine der beiden Kopien eines Gens abgeschalten wird. Die Studie zeigt, dass diese genomische "Prägung" die Entwicklung von Embryonen entscheidend beeinflusst.
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Die Studie ist unter dem Titel "Birth of parthenogenetic mice that can develop to adulthood" (Bd. 428, S. 860, Ausgabe vom 22. April 2004) in "Nature" erschienen.
->   Original-Abstract in "Nature"
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Parthenogenese weit verbreitet
Die sexuelle Reproduktion sorgt gemeinhin dafür, dass jedes Individuum einen Satz Gene von beiden Eltern erbt. Parthenogenese - die "Jungfernzeugung" - ist in der Natur aber ebenfalls weit verbreitet: so bei vielen Pflanzen und Tiergruppen, darunter einige Insekten und Reptilien. Dabei enthält das unbefruchtete Ei zwei Sets der Erbgutträger (Chromosomen) und beginnt sich zu entwickeln, als wäre es befruchtet worden.

Als große Ausnahme galten die Säugetiere, bei denen Väter eine Notwendigkeit schienen. Bei ihnen konnten bisher zwar unbefruchteten Eizellen zum Leben verholfen werden, doch entwickelten sich die daraus entstandenen Embryonen nicht weiter.
->   Mehr dazu: Embryonale Stammzellen durch Jungfernzeugung (24.4.03)
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Parthenogenese
Die natürliche Parthenogenese ist im Tierreich eine Form der eingeschlechtlichen Fortpflanzung, bei der die Nachkommen aus unbefruchteten Eiern entstehen. Sie sind Klone der Mutter. Bei vielen Tiergruppen - Beispiele sind etwa Insekten wie die Honigbiene oder auch Wasserflöhe - wechseln Parthenogenese und sexuelle Fortpflanzung einander in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen ab (konstante bzw. zyklische Parthenogenese). Chemische, mechanische oder auch thermische Reize können Parthenogenese künstlich auslösen oder beenden.
->   Mehr über Parthenogenese (www.faunistik.net)
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Imprints: Epigenetische Modifikationen
Das Team um Tomohiro Kono hat mit Kaguya nun erstmals ein gesundes und fortpflanzungsfähiges Exemplar herstellen können - und dabei das "genomic imprinting" - die genomische Prägung - als entscheidenden Faktor identifiziert.

Weibliches bzw. männliches Genom sind demzufolge nicht exakt gleich, sondern mit unterschiedlichen "imprints", epigenetischen Modifikationen, ausgestattet: chemische Änderungen der DNA oder der chromosomalen Proteine, die sich durch die Zellteilung vererben, aber keine Änderungen der DNA-Sequenzen darstellen.
Geschlechtsspezifische Prägungen
Sie können dazu führen, dass gewisse Gene permanent ausgeschaltet werden. Rund 30 derartiger geschlechtsspezifischer "imprinted genes" sind bisher bekannt. Werden nun etwa zwei weibliche Chromosomen-Sets kombiniert, kann es sein, dass für die Embryonalentwicklung wesentliche Gene an- oder abgeschalten bleiben, was zur entsprechenden Nicht- oder Überproduktion von Proteinen führt. Für den Fall zweier männlicher Sets gilt das gleiche.
Trick: Weibliche Eizelle mit männlichem Imprint
Der Trick der japanischen Forscher bestand nun darin, die weibliche Eizelle mit den Eigenschaften eines männlich geprägten Erbguts zu versehen. Im Mittelpunkt standen dabei das Schlüsselgen H19 und der Wachstumsfaktor IGF-2, die normalerweise geschlechterspezifisch exprimiert sind.

Die Forscher schalteten das mütterlich-geprägte H19 aus und beeinflussten so das weitere Ablesen zahlreicher Gene. H19 legt normalerweise fest, ob beim Kind bestimmte Gene des Vaters oder der Mutter aktiviert werden.
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Parthogenetisch oder homoparental?
Ob es sich bei Forschungsergebnissen nun tatsächlich um Parthogenese handelt oder nicht, ist indes noch umstritten. Der Embryologe Davor Solter vom Max Planck-Institut für Immunbiologie hegt im "New Scientist" seine Zweifel. Die gebräuchlichste Definition von Parthogenese gehe von einer einzigenunbefruchteten Einzelle aus - was auf Kaguya nicht zutrifft. Sie wurde durch die Kombination zweier Zellkerne von zwei verschiedenen Weibchen erzeugt. Kono verteidigt aber seine Wortwahl, da das verwendete Erbgut ausschließlich müttlerlich war und es "keine geeignete andere Bezeichnung" gebe. Kompromissvorschlag des "New Scientist": die Technik soll "homoparental" statt "parthogenetisch" heißen.

Der Artikel "Dawn of a new parenthood" ist im "New Scientist" (Ausgabe vom 24. April 2004, S.8) erschienen.
->   "New Scientist"
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Phantasie ist angeregt - Welt ohne Männer?
Die Phantasie wird durch die Ergebnisse der japanischen Forscher beflügelt: Ob die "männerlose Fortpflanzung" beim Menschen, wie sie etwa als Sujet im feministischen Science-Fiction sehr beliebt ist, je Wirklichkeit wird? Tomohiro Kono hält derartige Fragen für "sinnlos", wie er im "New Scientist" verlautbarte. Seinem Team sei es einzig um das Phänomen der Parthenogenese gegangen.
->   Parthenogenese im Science-Fiction
Ausgewogenheit des Wachstumsfaktors
Vor allen ethischen Fragen gibt es jedenfalls eine Reihe praktischer biologischer, die alles andere als gelöst sind. So seien noch weit mehr Eizellen nötig als beim Vorgang des Klonens - und die sind beim Menschen nicht gerade "im Überschuss" vorhanden.

Das Hauptproblem bestünde aber in der Ausschaltung des H19-Gens bzw. der Aktivierung von IGF-2. Der Aktivierungsgrad dieses Wachstumsfaktors, so warnt der Molekularbiologe Azim Surani von der Universität Cambridge im "New Scientist", müsse exakt eingehalten werden: zu wenig verhindere das Wachstum der Embryonen, zu viel führe zu abnormem Wuchs.
Aus 371 Embryonen wurden zwei gesunde Tiere
Abnormalitäten sind schon beim Versuch von Kono und seinem Team in der Mehrheit gewesen: Von den 371 Embryonen, die in 26 verschiedene Mäuseweibchen implantiert wurden, entwickelten sich 28 Jungtiere - 18 davon waren tot, acht wiesen Abnormalitäten auf, nur zwei wurden gesund geboren. Während das erste aus Studiengründen getötet wurde, geht Kaguya nun wohl in die Geschichte der Reproduktionsforschung ein.
Schicksal einer Mondprinzessin
Ob das Schicksal der Parthogenese bei Säugetieren bereits in der Namensgebung seiner ersten Vertreterin liegt? War das erste Klon-Schaf noch nach der Country-Sängerin Dolly Parton benannt, so stammt Kaguya aus einem bekannten japanischen Märchen.

Dort ist sie eine Mondprinzessin, die ihre kinderlosen Eltern auf der Erde glücklich macht, sie am Ende aber doch verlässt und zum Trabanten zurückzieht.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Tokyo University of Agriculture
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Mädchen und Buben: Gleich wichtig (25.9.03)
->   Forscher kreiert zweigeschlechtliche Embryonen (3.7.03)
->   Ausblick in die Zukunft der Reproduktion (1.7.03)
->   Eizellen statt embryonale Stammzellen (31.1.02)
 
 
 
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01.01.2010