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Biologischer Landbau auf dem Prüfstand  
  "Bio" ist stark im Kommen: Aktuellen Studien zufolge verzeichnet der weltweite Markt für biologische Lebensmittel Wachstumsquoten von jährlich 20 Prozent. Die Zahl der Anbauflächen ist ebenfalls stark im Steigen begriffen. Wie die Wissenschaftszeitschrift "Nature" im Rahmen eines Themenschwerpunktes berichtet, lassen sich die intuitiven Erwartungen, die man der "grünen Revolution" entgegenbringt, nur zum Teil durch wissenschaftliche Studien belegen. Ein österreichischer Experte teilt diese skeptische Einschätzung jedoch nicht.  
Österreich gilt im internationalen Vergleich als Vorreiter der alternativen Landwirtschaft. Mit Ausnahme von Liechtenstein ist der Anteil an biologischen Anbaugebieten in der Alpenrepublik weltweit am höchsten. Das Konsumenteninteresse liegt hier zu Lande allerdings nicht über dem europäischen Durchschnitt.
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Zum Thema "Organic Farming" erschienen in "Nature" (Band 428, S. 792-8, Ausgabe vom 22. April 2004) eine Reihe von Artikeln, die online frei zugänglich sind. Der "Web Focus" beinhaltet auch eine Reihe von Links sowie ältere Artikel zum Thema.
->   Zum Web Focus Organic Farming (Nature)
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Bodenständiges Kernmotiv
Bild: Nature
Der Begriff "Biologischer Landbau" weckt eine Vielzahl von Assoziationen: Natürliche Anbaumethoden, Schonung der Umwelt, gesündere Lebensmittel - aber auch höhere Verteilungsgerechtigkeit und artgerechte Tierhaltung.

Wie Colin Macilwain in der aktuellen Ausgabe von "Nature" schreibt, hatten die Pioniere der "zweiten grünen Revolution", wie die Bio-Bewegung auch gerne genannt wird, in den 1940er-Jahren rein angewandte agrarische Überlegungen im Sinn.

Ihnen ging es zunächst vor allem um die Frage, wie man auf natürliche Weise Struktur und Nährstoffreichtum des Bodens erhalten könne. Erst später gesellten sich zu diesem Kernmotiv Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit, Biodiversität und Tierschutz.
GM-Food: Unterschiedliche Regelungen
International gesehen existieren durchaus unterschiedliche Regelungen - so können Bioprodukte aus den USA aus genetisch modifizierten (GM) Organismen gewonnen sein, während in der EU höchstens ein GM-Anteil von 0,9 Prozent zulässig ist.
EU regelt Bio-Standards
Gleichwohl gilt nach Meinung von Bruce Pierce vom Elm Farm Research Centre in Berkshire: Wer in der Bio-Branche etwas auf sich hält, erfüllt die Standards, die von der in Bonn ansässigen International Federation of Organic Agriculture Movements (IFOAM) festgelegt wurden.

Rechtlich bindend sei in Europa allerdings nur die entsprechende EU-Verordnung 2092, betont Ludwig Maurer vom Ludwig-Boltzmann-Institut für ökologischen Landbau im Gespräch mit science.ORF.at. Der österreichische Lebensmittelcodex biete überdies die Möglichkeit, noch strengere Standards einzuführen.
->   IFOAM
Grundsatz: Verzicht auf synthetische Dünger und Biozide
Wesentliche Bestandteile der Bio-Philosophie sind seit jeher der Verzicht auf synthetische Düngemittel sowie auf Herbi-, Fungi- und Pestizide.

Offensichtlich gewinnt diese Überzeugung immer mehr Anhänger: Die Branche verzeichnete in den letzten fünf Jahren satte Wachstumsraten von jeweils 20 Prozent. Handel und Produktion sind allerdings nicht gleichmäßig verteilt:

Während die USA und Europa 97 Prozent der Bio-Umsätze machen, liegt mehr als die Hälfte der biologischen Anbauflächen in Asien, Australien und Lateinamerika.
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Ein bisschen Bio ist gar nicht Bio
Wie Colin Macilwain in seinem Artikel zeigt, sind in der Landwirtschaft auch so genannte pfluglose Kulturen ("low tillage methods") stark im Kommen. Diese erhalten zwar ebenfalls die Bodenstruktur, haben aber mit "Bio" nichts zu tun, da für diese Anbaustrategie keinerlei bindende Richtlinien existieren. Im Gegenteil: "Gerade der Verzicht auf den Pflug bewirkt ein starkes Unkrautwachstum, dem nur mit massivem Herbizideinsatz Herr zu werden ist", betont Ludwig Maurer.
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Alpine Spitzenreiter

Laut "Nature" ist Österreich "Bioweltmeister"
Nach einer Statistik der IFOAM weist Österreichs Landwirtschaft mit 12 Prozent den weltweit höchsten Anteil biologischer Betriebe auf: "High in the Alps, the organic movement is on top of the world", kommentiert man im Fachblatt "Nature" die Vorreiterrolle der Alpenrepublik.

Diese Einschätzung gilt allerdings nur, wenn man das Fürstentum Liechtenstein mit einem Anteil von 26 Prozent außer Acht lässt.

Was das biologische Produktionsvolumen - und damit den Marktanteil - betrifft, steht Österreich nach Auskunft von Ludwig Maurer keineswegs an der Spitze und wird etwa von Italien klar überboten.

Aus dem einfachen Grund, weil in unserem südlichen Nachbarland ungleich mehr landwirtschaftliche Nutzflächen vorhanden sind.
->   Zum weltweiten Vergleich biologischer Nutzflächen (Nature)
Wie gesund ist "Bio"?
Bleiben zwei Fragen offen, die Konsumenten vermutlich mehr berühren, als trockene Wirtschafts-Statistiken: Wie gesund ist "Bio"? Und was bringt die grüne Revolution für die Umwelt?

Ökologische Studien erbrachten klare Hinweise, dass biologischer Landbau die Artendiversität fördert und weniger Energie verbraucht. In punkto Ernährung sind die Ergebnisse nicht so eindeutig.

Zwar ist bei Bioprodukten etwa das Risiko einer Verunreinigung mit Bioziden geringer, bei den natürlichen Inhaltsstoffen gehen jedoch die Meinungen auseinander. Erhöhte Vitamin C- und Eisen-Anteile seien, wie Kirsten Brandt von der University of Newcastle argumentiert, nicht von Belang, weil wir mit diesen Stoffen ohnehin ausreichend versorgt seien.

Eher gesundheitsrelevant sind vermutlich die sekundären Pflanzenstoffe, von denen man über 10.000 verschiedene Typen kennt. Allerdings gibt es widersprüchliche Befunde über Vor- und Nachteile dieser Moleküle, etwa im Zusammenhang mit Krebserkrankungen.
Anbaumethode ersetzt keine vernünftige Ernährung
Für Ludwig Mauer befindet man sich hier grundsätzlich auf der falschen Argumentationsebene: Konsumenten verwechselten oft die Anbaumethode mit der richtigen Ernährungsform.

Soll heißen: Man könne täglich Schweinsschnitzel und Pommes aus biologischer Landwirtschaft konsumieren. Gesünder als Haferflocken und Gemüse aus konventioneller Landwirtschaft sei dies vermutlich nicht.
Schädlingsbekämpfung: Ersatzstoffe ebenfalls schädlich?
Bleibt noch ein Vorwurf, den Anthony Trewavas von der University of Edinburgh in seinem - ebenfalls in "Nature" erschienenen - Artikel "Urban myths of organic farming" artikuliert:

Als Ersatz für die chemisch-synthetischen Biozide kämen im Biolandbau organische Substanzen zum Einsatz, die ebenfalls gesundheitsschädlich seien.

So etwa Kupfersulfat, das im Weinbau gegen Pilzbefall eingesetzt wird und Sporen von Bacillus thuringiensis, die dem Kartoffelkäfer den Gar aus machen sollen.
Strategie: Vorbeugen statt Bekämpfen
Ludwig Maurer gesteht zu, dass Kupfersulfat nicht der Weisheit letzter Schluss sei, betont allerdings, dass man mit widerstandsfähigen Mischsorten die Notwendigkeit zur Pilzbekämpfung umgehen könne.

Leider verhindere das österreichische Weingesetz bisher, dass solchen Sorten der Status "Qualitätswein" zuerkannt wird. Grundsätzlich sei aber die Philosophie im biologischen Landbau ganz anders als im konventionellen:

Bei letzterem verwende man Biozide nach Spritzplan, bei der biologischen Strategie suche man zunächst immer nach schonenden Alternativen, wie etwa die Verwendung von lokal angepassten Sorten und die Ansiedelung von Nützlingen.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Ludwig-Boltzmann-Institut für ökologischen Landbau
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Die Qualität von Bio-Produkten (25.2.03)
->   Öko-Landbau weit effektiver als herkömmlicher (30.5.02)
->   Mehr zum Stichwort Landbau im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010