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Mafia: Trotz Strukturkrise vor Konsolidierung  
  Die Mafia ist ein relativ junges Forschungsobjekt, erst seit den 1960er Jahren beschäftigen sich Soziologen oder Historiker mit der "ehrenwerten Gesellschaft". Eine italienische Kriminologin räumt nun mit Mythen über die kriminelle Organisation auf. Diese steckt zwar in der schwersten Strukturkrise seit ihrem Bestehen, dennoch warnt die Wissenschaftlerin vor den bedenklichen Verflechtungen mit der amtierenden italienischen Regierung und einer daraus resultierenden möglichen Konsolidierung.  
Letizia Paoli vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht stellt ihre Überlegungen in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift "MaxPlanckForschung" dar.
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Der Artikel ist in der Zeitschrift "MaxPlanckForschung" (1/2004) erschienen.
->   "MaxPlanckForschung"
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Erste Vorläufer Mitte des 19. Jahrhunderts
Ein genauer Zeitpunkt für die Entstehung der Mafia lässt sich nicht festlegen, doch sind schon Mitte des 19. Jahrhunderts nach Gründung des italienischen Nationalstaats Vorläufer zu finden. Heute gelten als eigentliche, klassische Mafia die sizilianische Cosa Nostra ("Unsere Sache") und die kalabresische 'Ndrangheta ("Gesellschaft der Ehrenmänner").

Diese beiden Großorganisationen sind de facto jedoch Mafia-Vereinigungen, da sie sich aus jeweils mehr als 90 Clans oder "Familien" zusammensetzen. Die meisten und mächtigsten Clans der Cosa Nostra mit ihren insgesamt rund 3.200 Mitgliedern konzentrieren sich auf West-Sizilien. Die eigentliche Macht liegt heute bei den Corleonesi aus der gleichnamigen Kleinstadt im Landesinneren.
Drei Säulen: Organisation, Rituale, Werte

Laut Letizia Paoli vom Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafecht ruht die Mafia auf drei Säulen: eine komplexe Organisation mit hierarchischem Aufbau, Rituale jeglicher Art und gemeinsame Werte, allen voran "Onore e Omerta" (Ehre und Schweigen).

Gerade die beiden letzten Faktoren weisen stark auf den Charakter der italienischen Mafia als exklusive Bruderschaft hin. Ohne Zweifel jedoch befindet sie sich seit einigen Jahren in einer Krise - der schwersten seit den Unterdrückungsmaßnahmen durch die faschistische Regierung. Wirklich besiegt ist sie jedoch nicht.
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Mit dem Buch "Mafia Brotheroods - organized crime, italian style" (2003) hat Letizia Paoli ein Standardwerk über die organisierte Kriminalität geschrieben.
->   Mehr über das Buch (Oxford Press)
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"Unternehmerische Transformation"
In den vergangenen 30 Jahren durchlief die Organisation eine "unternehmerische Transformation", wie Paoli es nennt. Der Einstieg in den internationalen Drogenhandel wie auch die Veruntreuung staatlicher Gelder führten zu einem immensen Reichtum. Zu Beginn der 1990-er Jahre war mit dem Geldregen dann Schluss.

Rom - den Staatsbankrott vor Augen - unterband den Strom der offensichtlich missbrauchten Investitionen in den Süden, und das Drogengeschäft wurde mittlerweile von kriminellen Banden aus Albanien gesteuert. Verteilungs- und Machtkämpfe innerhalb der "Familien" führten zu den blutigsten Auseinandersetzungen in der Geschichte der Mafia.
Harter Kampf seit den 1980er Jahren
Bild: Letizia Poli, Mafia Brotherhoods
Nach dem Bombenanschlag auf Giovanni Falcone
Auch ging der Staat, nach enormen Protesten aus der Bevölkerung und unter starkem Druck der Medien, zunehmend mit rechtlichen Mitteln gegen den "Kraken" aus dem Süden vor. Mit dem von der Regierung nach dem Anschlag auf den obersten Mafiaermittler Dalla Chiesa verabschiedeten "La Torre-Gesetz" im Jahr 1982 führte die Justiz nun schon die Mitgliedschaft in der Mafia als Straftatbestand ein.

Fast 15.000 Personen wurden in den folgenden vier Jahren angeklagt. Nach den spektakulären Morden an den Ermittlern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino 1992 kehrten selbst hochkarätige Bosse nach ihrer Verhaftung der Mafia den Rücken und wurden Kronzeugen.
Heute Konsolidierung der Mafia
Dennoch zeigt sich ein Wiedererstarken mafioser Strukturen - speziell im Wahlverhalten Süditaliens wird dies deutlich. Heute wie früher schanzen mafiose Politiker ihrer Klientel Arbeitsplätze und Posten zu - meist unter der Fahne der rechts-konservativen Berlusconi-Partei. Bezeichnenderweise gewann die Regierungskoalition bei den letzten nationalen Wahlen alle 60 Direktmandate auf Sizilien.

Berlusconis Politik ermöglicht eine nachhaltige Konsolidierung der Mafia - und verführt zu der Frage, inwieweit beim italienischen Ministerpräsidenten eine Bringschuld im Spiel ist.
Spezialfall Süditalien
 
Grafik: Max-Planck-Gesellschaft

Die Struktur der 'Ndangheta erinnert an das Organigramm einer großen Firma, aber die Hierarchie-Ebenen sind zumeist mit Blutsverwandten besetzt.

Letizia Paoli warnt - gerade wegen ihrer intimen Kenntnis der internen Strukturen - davor, bestimmte Charakteristika der italienischen Mafia auf andere Formen der organisierten Kriminalität zu übertragen: Sie sei ein Spezialfall, ein Produkt aus historischen, kulturellen, sozialen und politischen Konditionen, die es so nirgendwo sonst auf der Welt gibt.
->   Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht
 
 
 
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01.01.2010