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Gentechnik-Kennzeichnung: Vereinfachende Debatte  
  Seit dem 18. April 2004 ist die neue EU-Richtlinie zur Kennzeichnung von Lebens- und Futtermitteln, die gentechnisch veränderte Organismen (GVO) enthalten, auch in Österreich in Kraft. Für den Lebensmittel- und Biotechnologen Albert Karsai sind die Gesetze nicht perfekt, aber ein Fortschritt für die Konsumenten. Die Art und Weise, wie die Diskussion rund um die legislativen Neuerungen geführt wird, bezeichnet er in einem Gastbeitrag als wenig differenziert und "irritierend".  
Aufregung um Kennzeichnungs-Pflicht
Von Albert Karsai, dialog<>gentechnik

"Genfood auf dem Speisezettel?" fragt die "Wiener Zeitung" in der Wochenendausgabe vom 16./17. April 2004. Für eine ablehnende Haltung gegenüber gentechnisch veränderten Organismen kann man gute Argumente anführen. Doch dieser Beitrag ist einseitig, die Argumentation nicht schlüssig.

Die Einseitigkeit zeigt sich bereits in der Illustration. Sie erinnert frappierend an die Kinowerbung der "Kronenzeitung", in der Wissenschaftler in ihrem Labor mittels Injektion einen Superparadeiser heranzüchten. Eine Aktion, die bekanntlich im Fiasko endet.
Einseitige Recherche
Einseitige Recherche zeigt sich weiterhin im Text: "... Weiters belegt eine Studie der DEFRA, dass der Einsatz herbizidresistenter GVO zum Rückgang der Kräutervielfalt auf einem Acker führt ... Diese Kräuter stellen aber die Nahrungsgrundlage für Insekten, Schmetterlinge und Vögel dar, die dann ebenfalls dezimiert werden. Auf diese Weise wird ein ganzes Ökosystem aus den Angeln gehoben ... ."

Was hier speziell den GVO zugeschrieben wird, gilt längst auch für konventionelle Sorten. Denn auch bei ihrem Anbau muss der Landwirt die "Kräutervielfalt" reduzieren, die er schlicht als "Unkraut" bezeichnet. Dabei gelangen Herbizide in rauen Mengen zum Einsatz - mit unbestrittenen Auswirkungen auf die Artenvielfalt. Auch der Bio-Landwirt muss übrigens darauf achten, dass ihm der Acker nicht von anderen Kräutern überwuchert wird.
Sind GVO schädlich?
Eine - berechtigte - Sorge ist jene, dass Lebensmittel mit Zutaten von GVO schädlich sein könnten. Diese Sorge müsste jedoch konsequenterweise auf alle unsere Lebensmittel ausgeweitet werden, speziell die aus industrieller Produktion. Diese zielt auf große Mengen zu günstigen Preisen ab. Dabei leidet die Qualität der Nahrungsmittel selbst bis hin zur Lebensqualität von Mensch und Tier.
Veränderungen auch bei konventioneller Züchtung
GVO werden durch einen (mehr oder weniger) gezielten Eingriff ihres Erbguts verändert. Doch wie stellt die moderne Pflanzenzüchtung konventionelle Sorten her? Wem ist schon bewusst, dass hier aggressive Reagenzien und Strahlen zum Einsatz kommen, die das Erbgut der Pflanzen völlig (!) ungezielt verändern? Als Konsument wäre man gut beraten, auf eine umfassende Sicherheitsbewertung auch der gängigen Züchtungsmethoden zu drängen!
Unrealistische Forderungen an Risikoabschätzung
Die derzeitige Praxis der Sicherheitsbewertung von GVO ist uneinheitlich und lückenhaft. Aber die Forderung nach "klinischen Studien zur Risikoabschätzung von Genfood" scheint unrealistisch, wenn man weiß, wie solche Studien ablaufen und welche Geldsummen dabei im Spiel sind.
Der Ton macht die Musik
Im "Standard" vom 19. April 2004 inseriert "Greenpeace" auf einer Doppelseite mit dem Titel "Gentechnik-Info". Die mit roter Farbe hervorgehobene Silbe "Gen" assoziiert man mit "Gefahr", ebenso wie das Logo mit dem Text "Augen auf! Gentech raus!". Der hier abgebildete Teller, mit Messer und Gabel überkreuz ähnelt wohl nicht zufällig einem Totenkopf.

Auch mit dem folgenden Satz werden in fragwürdiger Weise Ängste geschürt: "Ein Schwein, das gentechnisch veränderten Mais frisst, kann sehr wohl Überträger dieser veränderten Erbsubstanz sein."
Keine Gefahr von Fremd-DNA per se
Doch von Genen per se geht keine Gefahr aus. Jeder Mensch nimmt mit seiner Nahrung pro Tag ungefähr ein Gramm Fremd-DNA auf, wobei unser Körper im Zuge der Verdauung nicht zwischen Genen aus Tieren, Pflanzen, Pilzen oder Mikroorganismen unterscheidet.

All diese Fremdgene beeinflussen unsere körpereigene DNA nicht. Bakterien, die den menschlichen Darm oder die Mundhöhle natürlicherweise besiedeln, scheinen zwar Bruchstücke von Genen aus der Nahrung aufnehmen zu können, diese Fragmente sind jedoch funktionsunfähig.
De facto - Kriminalisierung
"Greenpeace" und "Global 2000" veröffentlichen Listen, welche Handelsketten, Hersteller und Produkte gentechnikfrei sind und welche nicht - ein Dienst am Konsumenten, der sicherlich gerne in Anspruch genommen wird. Wenn allerdings Druck auf jene ausgeübt wird, welche die Gentechnikfreiheit ihrer Produkte nicht garantieren wollen oder können, verbunden mit der Ankündigung "...auch diese schwarzen Schafe noch mit bewährten Methoden überzeugen zu wollen...", klingt das eher nach Drohgebärde denn nach sachlicher Argumentation.
Sachzwänge
Denn es herrschen Sachzwänge, die "Die Presse" sachlich beschreibt: "Ein kaum zu lösendes Problem haben ... die Hersteller von Tierfutter. Praktisch die gesamte weltweite Sojaproduktion enthält GVO ...". Aufgrund der Verflechtung internationaler Märkte und Warenströme ist eine 100-prozentige Gentechnikfreiheit oft nicht mehr realisierbar. Deshalb werden Grenz- und Schwellenwerte festgesetzt, die sich eben auch am Machbaren orientieren.
Resumee: Zuviel Schwarz-Weiß-Malerei ...
Die Grüne Gentechnik bleibt nach wie vor eines der strittigsten Sachthemen dieser Tage. Sie polarisiert die Gesellschaft und ist Stoff hitziger Debatten. Schade nur, dass die vielschichtigen Aspekte dieser Problematik meist unberührt bleiben.

Schwarz-Weiß-Malerei geht jedenfalls an der Realität vorbei. Was bleibt, ist eine tiefe Verunsicherung in der Bevölkerung, verbunden mit einem ernstzunehmenden Vertrauensverlust in Politik, Wirtschaft und auch Wissenschaft.
... differenzierende Sichtweise würde weiterhelfen
Allerdings sollte auch klar sein, dass die Annahme oder Ablehnung der Gentechnik nicht allein davon abhängt, ob GVO eine Gefährdung von Umwelt und Gesundheit darstellen oder nicht. Die Forderung nach biologischer und/oder gentechnikfreier Landwirtschaft ist nicht zuletzt auch verbunden mit einem verständlichen Unbehagen gegenüber den Praktiken moderner industrieller Pflanzen- und Tierproduktion und der Dominanz mächtiger, bedrohlich wirkender Konzerne.

Sie ist oftmals Ausdruck einer bestimmten Lebensphilosophie, einem Zurück zu einem nachhaltigen und lebensbejahenden Umgang mit der Natur and anderen Lebewesen. Aus diesem Grund ist es natürlich unsinnig, jeden Gentechnik-Gegner als "Fortschrittsverhinderer" oder "Fundamentalisten" darzustellen. Auf der anderen Seite kursieren aber auch Argumente und Darstellungen, die man nur mehr als grotesk bezeichnen kann. Eine differenzierende Sichtweise würde da wesentlich weiterhelfen - raschelt aber nicht so laut im Blätterwald!
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Albert Karsai arbeitet an der Koordinationsstelle für Öffentlichkeitsarbeit von "dialog<>gentechnik".
->   Langfassung des Artikels (dialog<>gentechnik)
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->   Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Organismen (Praktischer Leitfaden, pdf-Datei)
->   "Gentechnisch veränderte Lebensmittel: Kennzeichnung" (Transgen.de)
->   "Vom Feld zum Teller" (Gesundheitsministerium)
->   EU-Memo (Fragen und Antworten)
 
 
 
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01.01.2010