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NS-Deserteure: Kritik an Verzögerung der Rehabilitierung  
  Mehr als ein Jahr nach Vorliegen seiner Forschungen über die Opfer der NS-Militärjustiz sieht der Politologe Walter Manoschek die Zweite Republik weiter säumig, was die Rehabilitierung der Opfer betrifft. "Eine Rehabilitierung ist weiter nicht in Sicht", so Manoschek am Montag bei einer Pressekonferenz in Wien. Er stellte vier konkrete Forderungen an die Republik.  
Prominente ehemalige Deserteure
Manoschek hatte dazu eine Reihe prominenter ehemaliger Deserteure aus der Wehrmacht eingeladen. Zwei von ihnen, der ehemalige Generaldirektor der CA, Heinrich Treichl und der Verleger Fritz Molden, kritisierten zwar, dass die Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärrichter verzögert werde. Beide bestanden aber darauf, dass Österreich ohne Einschränkung als erstes Opfer des Nationalsozialismus bezeichnet werde. Nach ihrer Stellungnahme verließen sie die Pressekonferenz.
Skandalöses Verhalten gegenüber Juden und Deserteuren
Treichl stellte das Verhalten der Zweiten Republik gegenüber den Wehrmachtsdeserteuren in eine Reihe mit dem Verhalten gegenüber den jüdischen Vertriebenen. "Ich glaube, dass sich die Republik nicht nur gegenüber den hier vertretenen Opfern skandalös benommen hat, sondern auch gegenüber den jüdischen Enteigneten." Es sei darum gegangen, die Wiedergutmachung "in die Länge zu ziehen".
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Heinrich Treichl
Treichl war im August 1944 als Wehrmachtsoffizier in Paris zu den Amerikanern desertiert, um auf der Seite der Alliierten gegen den Nationalsozialismus zu kämpfen. Die US-Armee brachte ihn jedoch als Kriegsgefangenen in die USA. Sein Bruder Wolfgang desertierte ebenfalls und fiel auf der Seite der Briten bei einem Sondereinsatz in Norditalien.
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Vier konkrete Forderungen an die Republik
Manoschek, der im Auftrag des Wissenschaftsministeriums die Geschichte der NS-Militärjustizopfer erforscht hat, verlangt vom Nationalrat eine unmissverständliche kollektive Rehabilitierung auf Initiative der Republik. Das Justizministerium müsse die Betroffenen und die Hinterbliebenen in der Folge davon in Kenntnis setzen. Weiters müssten die Betroffenen im Opferfürsorgegesetz anerkannt werden. Und schließlich sollten die verbüßten Haftzeiten für die Pensionsversicherung angerechnet werden.
Sozialministerium dagegen
Die Opferfürsorgekommission im Sozialministerium sprach sich zuletzt gegen eine pauschale Anerkennung der Militärjustiz-Opfer aus. Grund: Auch Nationalsozialisten würden dadurch begünstigt werden. Dies wies Manoschek auf Grund seiner Forschungen zurück: "Nur drei Prozent der von der NS-Militärjustiz verfolgten Personen waren Nationalsozialisten".

Der überwiegende Teil der Ansuchen von Deserteuren auf Opferfürsorge sei aber abgewiesen worden - und dies obwohl sie durch Befreiungsamnestie angeblich rehabilitiert worden seien.
Entwurf liegt im Justizausschuss des Nationalrats
Rudolf Sarközi, Vorsitzende des Volksgruppenbeirates und Mitglied in der Opferfürsorgekommission, verlangte ein klares Gesetz, auf dessen Grundlage die Kommission entscheiden könne. Ähnlich argumentierte Alfred Ströer vom Bund Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer: "Wir wollen ein Gesetz, das die Urteile gegen die Deserteure ein für alle Mal aufhebt."

Derzeit liegt ein Entwurf der Grünen für eine Vier-Parteien-Entschließung im Justizausschuss des Nationalrates. Er soll nach zahlreichen Vertagungen am 18. Mai behandelt werden.
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Literaturtipp:
Walter Manoschek (Hg.): Opfer der NS-Militärjustiz, Juni 2003, Verlag Mandelbaum
->   Mehr zu dem Buch
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Österreich - das erste Opfer des Nationalsozialismus?
Fritz Molden kritisierte das Verhalten der Republik bei der Rehabilitierung der Opfern der NS-Militärjustiz: "Es ist eine empörende Sache, dass es so lange hinausgezögert wird." Er wünsche den Bemühungen für die Rehabilitierung "alles, alles Gute". Seine Grundauffassung sei aber, dass Österreich zu "100 Prozent" das erste Opfer NS-Deutschlands gewesen sei.

Manoschek hatte gegenüber Treichl zuvor diese Position vom staatsrechtlichen Standpunkt aus zwar geteilt, aber auf die Beteiligung vieler Österreicher am NS-Regime und den NS-Verbrechen verwiesen. Treichl zeigte sich damit nicht einverstanden und verließ die Pressekonferenz, Molden folgte ihm etwas später.
Uneingeschränkte Unterstützung
Uneingeschränkte Unterstützung kam hingegen vom Komponisten Friedrich Cerha und dem Schriftsteller Michael Guttenbrunner. "Ich unterstütze alle Bemühungen, den Opfern der NS-Militärjustiz Gerechtigkeit widerfahren zu lassen", heißt es in seiner schriftlichen Stellungnahme Cerhas. Guttenbrunner, der dreimal vor dem Kriegsgericht stand und zum Tode verurteilt wurde, zeigte sich mit der Forderung nach rechtlicher Rehabilitierung einverstanden.
Bereits 1946 rehabilitiert?
Richard Wadani, Sprecher des Personenkomitees "Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz" zitierte aus einem Brief des Justizministeriums, wonach die Verurteilten bereits seit 1946 amnestiert seien. "Davon haben wir nichts gemerkt und wir konnten uns deshalb auch nie darauf berufen."
->   science.ORF.at-Archiv zum Thema Nationalsozialismus
 
 
 
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01.01.2010