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Die Suche nach den berühmtesten Gleichungen aller Zeiten  
  In den Naturwissenschaften - insbesondere der Physik - drückt man Naturgesetze oft mit mathematischen Gleichungen aus. Wie die Wissenschaftsgeschichte zeigt, war die quantifizierte Beschreibung der Natur auch zweifelsohne erfolgreich. Was aber unterscheidet "normale" Gleichungen von solchen, denen man das Prädikat "groß" oder sogar "ewig" zuschreibt? Zur Beantwortung dieser Frage ruft die Zeitschrift "Physics World" ihre Leser zur Wahl der größten Gleichungen aller Zeiten auf.  
Kandidaten dafür gibt es zuhauf: Nicht fehlen darf in dieser Liste etwa Einsteins berühmte Verknüpfung von Energie und Masse sowie Erwin Schrödingers nicht minder berüchtigte Psi-Funktion, die in der wundersamen Welt der Quanten zur Anwendung kommt. Ebenfalls im Favoritenkreis: Das Ohmsche Gesetz, die Heisenbergsche Unschärferelation und Newtons zweites Bewegungsgesetz.
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Der Artikel "The greatest equations ever" von Robert P Crease erschien in der Zeitschrift "Physics World" (Ausgabe vom Mai 2004).
->   Zum Artikel
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Die Natur als Buch, die Mathematik als dessen Sprache
"Das Buch der Natur ist mit mathematischen Symbolen geschrieben", lautet ein berühmtes Zitat von Galileo Galilei. In Wirklichkeit dürfte sich der Urvater der modernen Naturwissenschaft nicht dieser knackigen Formulierung bedient haben.

In seinem Werk Il saggiatore von 1623 findet sich jedenfalls folgende Textstelle: "Die Philosophie steht in jenem großen Buch geschrieben, das uns ständig offen vor Augen liegt (ich spreche vom Universum). Aber dieses Buch ist nicht zu verstehen, ehe man nicht gelernt hat, die Sprache zu verstehen, und die Buchstaben kennt, in denen es geschrieben ist. Es ist in der Sprache der Mathematik geschrieben ..."
Das Begreifen begreifen
Und, so Galilei weiter: "Ohne diese Mittel ist es dem Menschen unmöglich, ein einziges Wort davon zu verstehen; ohne sie ist es ein vergebliches Umherirren in einem dunklen Labyrinth."

Der Aussage, dass die Geschichte der modernen Physik mehr war, als nur Umherirren in einem dunklen Labyrinth, wird man gerne beipflichten.

Verwunderung stellt sich eher aufgrund der Tatsache ein, dass es dem Menschen prinzipiell möglich ist, die Vorgänge in der Natur bis zu einem gewissen Grad zu durchschauen: "Das ewig Unbegreifliche an der Welt ist ihre Begreiflichkeit", meinte etwa Albert Einstein zu diesem Problem.
Der Klassiker: Einsteins berühmte Formel
Diese Sätze kommen aus berufenem Munde, denn bei der Suche nach den größten Gleichungen aller Zeiten wird gerne jene Formel an erster Stelle genannt, die Einstein noch in seiner Zeit als "technischer Experte zweiter Klasse" am Berner Patentamt entwickelte.

Das berühmte E = mc^2 findet sich in der Schrift mit dem unspektakulären Titel "Zur Elektrodynamik bewegter Körper" von 1905 - allerdings nicht so, wie wir es heute kennen: die verbindlichen Symbole E, m und c für Energie, Masse und Lichtgeschwindigkeit wurden erst später eingeführt.
->   Einstein im Originalton zu seiner legendären Formel (aip.org)
->   Zur Elektrodynamik bewegter Körper - kommentiert und erläutert (Wikibooks.org)
Pop-Symbol für Wissenschaft schlechthin
Neben der überraschenden Verbindung von zuvor isolierten Fundamentalgrößen der Physik trägt vermutlich auch ein anderer Umstand zur Popularität dieser Gleichung bei:

Sie ist kurz, prägnant und enthält zudem keinerlei exotische mathematische Symbole. Ideale Voraussetzungen für eine Pop-Ikone, die mathematisierte Wissenschaft als den Schlüssel zu ewigen Wahrheiten darstellt.

Dementsprechend hat etwa der französische Kulturtheoretiker Roland Barthes der berühmten Einsteinschen Formel einen regelrecht gnostischen Charakter attestiert. Sie ist nicht nur Wissenschaft, sie steht auch für das Idealbild, das von ihr gezeichnet wird.
Erweiterter Favoritenkreis: Newton, Planck et al.
Auch eine Reihe anderer physikalischer Gleichungen haben als überschaubare Drei-Buchtaben-Kombinationen gute Chancen, sich an vorderster Stelle zu platzieren.

So beispielsweise Newtons zweites Bewegungsgesetz (F = ma), die Plancksche Strahlungsformel (E = hv) und das Ohmsche Gesetz (RI = U bzw. engl. V).

Letzteres hat zwar keinen so fundamentalen Aussagebereich wie andere Kandidaten, kann dafür auf eine äußerst wirksame Eselsbrücke verweisen. Englischsprachigen Schülern wird es nämlich mit der eingängigen Formulierung "Rhode Island equals Vermont" in das Langzeitgedächtnis geschmuggelt.
Enttäuschte Hoffnung: Schrödingers Psi
Heiße Tipps für vordere Plätze sind auch zwei Beiträge zur frühen Quantentheorie:

Erwin Schrödinger gelangte mit seiner Psi-Funktion der von ihm entwickelten Wellenmechanik u.a. deswegen zu Weltruhm, weil mit ihr zunächst die Hoffnung verbunden wurde, die hoffnungslos unanschauliche Energiequantelung doch noch mit der Sprache der klassischen Physik beschreiben zu können.

Die Schrödinger-Gleichung wurde von den Physikern mit Freude aufgenommen, allerdings blieb die ursprüngliche Interpretation ihres Erfinders auf der Strecke. Durchgesetzt hat sich vielmehr eine auf Max Born zurückgehende Deutung, die für die klassische Physik keinen Raum mehr lässt.

Ein schönes Beispiel für ein Zitat von Heinrich Hertz, das Robert P. Crease in seinem Artikel anführt: Hertz meinte nämlich, dass manche Formeln in gewisser Weise klüger als ihre Entdecker seien, weil man mehr aus ihnen herausbekommen könne, als ursprünglich in sie hineingelegt wurde.
->   Die Schrödinger-Gleichung als Java-Applet (Uni Karlsruhe)
Heisenbergs Bescheidenheits-Formel
Mit Werner Heisenbergs berühmter Unschärferelation verbindet man wiederum eine Art Bescheidenheitsgelübde: Sie zeigt, dass gewisse physikalischen Größen nicht beliebig genau bestimmbar sind - womit auch der Berechenbarkeit von Naturvorgängen ein prinzipieller Riegl vorgeschoben ist.
->   Heisenbergsche Unschärferelation bei Wikipedia
Wahl der Lieblings-Gleichung
Eines ist klar: Berühmte Formeln sollten insofern wahr sein, als sie von der Geschichte nicht als Fehltritt entlarvt werden dürfen. Positiv bewertet werden auch Eigenschaften wie Eleganz, Einfachheit und möglichst umfassende Gültigkeit.

Was eine Formel zu einem unvergänglichen Klassiker macht, kann freilich niemand definieren: Robert P. Crease bedient sich daher des demokratischen Prinzips der Abstimmung und ruft die Leser der Zeitschrift "Physics World" zur Wahl der größten Gleichungen aller Zeiten auf.

Robert Czepel, science.ORF.at
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Literaturtipp
Zu diesem Thema erschien das von Graham Farmelo herausgegebene Buch "It Must be Beautiful: Great Equations of Modern Science", erschienen bei Granta Books 2002.
->   Review bei "Physics World"
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Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Das schönste physikalische Experiment aller Zeiten (25.9.02)
->   Die letzten elf Fragen zum Universum (7.5.02)
 
 
 
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01.01.2010