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"Verneshots": Explosionen in der Erdkruste als Ursache von Massensterben?  
  Seit mehr als zwei Jahrzehnten streiten Wissenschaftler um die Ursache von Massensterben im Laufe der Evolution: Eine Gruppe favorisiert Meteoriteneinschläge, eine andere vermutet Vulkanismus als Auslöser dieser Ereignisse. Beides falsch, meint ein internationales Geologenteam - und bietet eine Aufsehen erregende Alternative an: Gewaltige Explosionen in der Erdkruste sind ihrer Meinung nach für das abrupte Verschwinden von Dinosauriern und anderer Tiergruppen in der Naturgeschichte verantwortlich.  
Die von Jason Phipps Morgan und seinen Mitarbeitern von der Universität Kiel ersonnene Hypothese hat einen entscheidenden Vorteil: Sie kann begründen, warum in geologischen Schichten mit Spuren von Massensterben und "large impacts" auch immer Hinweise auf großflächige Lavaströme zu finden sind. Eine mysteriöse Koinzidenz, an deren Erklärung sich die Forscher bisher die Zähne ausgebissen haben.

Die Forscher ließen sich bei der Namensgebung dieser neuartigen Katastrophe von einem Roman Jules Vernes inspirieren: Sie sprechen in diesem Zusammenhang von "Verneshots".
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Der Artikel "Contemporaneous mass extinctions, continental flood basalts, and 'impact signals': are mantle plume-induced lithospheric gas explosions the causal link?" von J. Phipps Morgan, T. J. Reston und C. R. Ranero erschien in der Fachzeitschrift "Earth and Planetary Science Letters" (Band 217, S. 263-284, Ausgabe vom 15.1.04; doi:10.1016/S0012-821X(03)00602-2).
->   Zum Original-Abstract
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Diskussion um Ursache von Massensterben
Dass es in der Naturgeschichte Massensterben von globalem Ausmaß gegeben hat, gilt in der Forschergemeinde als unbestrittene Tatsache. Uneinigkeit herrscht hingegen über die konkreten Ursachen dieser Ereignisse.

Hier stehen einander zwei Gruppen von Wissenschaftlern mehr oder weniger unversöhnlich gegenüber: Zum einen die Anhänger des Meteoriten-Szenarios (nach dem Pionier dieser Idee spricht man auch gerne von der Alvarez-Hypothese).

Auf der anderen Seite jene Gruppe, die Mega-Vulkane als Auslöser für das abrupte Verschwinden vieler Tier- und Pflanzenarten favorisiert.
->   Infos und Literatur zur Alvarez-Hypothese (Wikipedia)
Geologisches Rätsel macht Kopfzerbrechen
In diesen mittlerweile etwas unbeweglich gewordenen Grabenkampf zweier konkurrierenden Hypothesen bringen nun J. Phipps Morgan und seine Kollegen frischen Wind:

Sie betonen in ihrer aktuellen Publikation, dass es ein mysteriöses Zusammentreffen geologischer Ereignisse gibt, an deren Erklärung bislang beide Theorien scheitern.

Konkret geht es um die Tatsache, dass Reste von großflächigen Lavaströmen (so genannte Flutbasalte) just in jenen Gesteinsschichten auftreten, in denen auch Spuren von "impacts" und rapiden Wechseln des Artenspektrums zu finden sind.
->   Continental flood basalts (geokem.com)
Auffälliges Zusammentreffen: Nur Zufall?
Auffällig daran ist Folgendes: Alle Ereignisse sind äußerst selten. Massensterben treten etwa alle 100 Millionen Jahre auf, Flutbasalte lassen sich alle 30 bis 50 Millionen Jahre nachweisen.

Morgan und sein Team berechneten in ihrer Arbeit, dass ein einmaliges Zusammentreffen mit der Wahrscheinlichkeit von eins zu acht auftreten sollte.

Allerdings gab es in den letzten 400 Millionen Jahren gleich vier solcher Koinzidenzen - viel zu unwahrscheinlich, um den reinen Zufall zu bemühen, meint Morgan.
Suche nach Ursache und Wirkung
Die einfachste Erklärung wäre freilich, dass Meteoriteneinschläge für das Auftreten von Flutbasalten (kurz CFB, von "continental flood basalt") verantwortlich sind.

Doch das scheint aus physikalischen Gründen ausgeschlossen: Man kann sich keinen Mechanismus vorstellen, mittels dessen ein Meteorit einen Tausende Kilometer entfernten Lavastrom auslösen soll.

Beispielsweise befindet sich der berühmte Chicxulub-Krater vom Ende der Kreidezeit nahe der Halbinsel Yucatan im Golf von Mexiko, während die korrespondierenden CFB im indischen Dekan-Hochland ("Deccan Traps") zu finden sind.
Unterirdische Explosionen sind für alles verantwortlich
Die Kieler Wissenschaftler stellen die Logik der bisherigen Erklärungsversuche gleichsam auf den Kopf. Sie meinen, dass Lavaströme sowohl für die nachgewiesenen Kraterbildungen als auch für die Massensterben verantwortlich sind.

Morgans Theorie lautet - kurz gefasst - folgendermaßen: Wenn CFB-Strömungen an einer verdickten Regionen der Erdkruste, so genannte Kratone, auftreten, dann staut sich der entstehende Druck. Dieser könnte sich unter bestimmten geologischen Bedingungen mit einer gewaltigen Eruption entladen.

Ergebnis dieses Vorgangs wäre eine Explosion mit der Sprengkraft von ca. 120 Milliarden Tonnen TNT - etwa das siebenmillionenfache der historischen Bombenexplosion in Hiroshima, so die Berechnung des Forscherteams. Doch dem nicht genug: Dabei könnten bis zu 20 Gigatonnen and Gesteinsmaterial in die Stratosphäre - und damit rund um die Welt geschleudert werden.
Jules Verne als Namensgeber für Explosionen
Morgan fühlte sich bei diesem Szenario an Jules Vernes Roman "Von der Erde zum Mond" erinnert, in dem Objekte mittels einer gigantischen Kanone in den Himmelsraum befördert werden. Dementsprechend lautet auch die offizielle Namensgebung der Forscher für die CFB-Explosionen: Sie sprechen in ihrer Arbeit von "Verneshots".
->   Mehr zu Jules Verne in Wikipedia
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Erklärungen sprechen für die neue Hypothese
Grundsätzlich ließe sich mit diesem Szenario das auffällige Zusammentreffen geologischer und biologischer Ereignisse begründen. Wie Kate Ravilious in einem "New Scientist"-Artikel über Morgans Hypothese schreibt, könnte darüber hinaus auch die erhöhte Iridium-Konzentration in Gesteinsschichten dieses Alters erklärt werden - ein Umstand, der bisher als Beweis für die Meteoriten-These ins Treffen geführt wurde.

Der Artikel "Four days that shook the world" von Kate Ravilious erschien im Wissenschaftsmagazin "New Scientist" (Ausgabe vom 8.5.04, S.32-5).
->   New Scientist
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Entstehung der Krater experimentell rekonstruierbar
Zuspruch erhält die Theorie bisher von Paul Hoffmann von der Harvard University, der sie als "seriösen Ansatz" bezeichnet. Kritisch äußern sich bislang vor allem Anhänger der Meteoriten-Hypothese, wie etwa Jan Smit von der Freien Universität Amsterdam.

Eine Entscheidung, ob die vorgefundenen Krater nun von Himmelskörpern stammen oder doch irdischen Ursprungs sind, könnte eventuell anhand so genannter Schmetterkegel ("shattercones") getroffen werden.

In Gesteinen von Impaktstrukturen finden sich nämlich regelmäßig durch Schockwellen erzeugte kegelförmige Brüche. Phipps Morgan meint, dass anhand der Feinstruktur dieser Bruchstücke Rückschlüsse auf die Flugbahn der Flugobjekte möglich sind. Und letztere sollte sich bei den zur Diskussion stehenden Szenarien durchaus unterscheiden.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Forschungszentrum für marine Geowissenschaften, Uni Kiel
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01.01.2010