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Die Wiener Werkstätte und ihre Gegner  
  Im Jahr 2004 wird die Wiener Werkstätte mit großen Ausstellungen und Publikationen gefeiert - aus Anlass ihres 100. Geburtstags. Die amerikanische Kunsthistorikerin Heather Hess erforscht derzeit am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien ihre Kritiker und Gegner und die zeitgenössischen Auseinandersetzungen um die Fragen: Was ist modern? Was ist funktional? Was haben Kunst und Leben miteinander zu tun?  
Der Architekt als Serviettenfalter

Originalbeitrag von Heather Hess

War die Zeit um 1900 eine "kunstgewerbliche Ära"? So nennt sie jedenfalls ein zeitgenössischer Wiener Text am Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Kunsthistoriker am Ende 20. Jahrhunderts würden ihm recht geben - sind doch die besten und wichtigsten Kunstwerke, die das Fin-de-Siecle-Wien hervorbrachte, keine Tafelbilder oder Monumentalskulpturen, sondern alltägliche kleine Gebrauchsgegenstände, Hausgeräte, Raumkunst und Interieurs.
Kunst und "Kunstgewerbe"?
Bild: APA
Stuhl von Koloman Moser
Der Begriff und damit auch die Idee "Kunstgewerbe" war damals noch frisch. Reformer wie John Ruskin, William Morris und die englische "Arts and Crafts"-Bewegung sahen die Industrialisierung und Massenproduktion als Auslöser des Bruchs zwischen "Kunst" und "Handwerk", der zu einem Verfall des Geschmacks geführt habe.

Dieser Ruf nach Reform erreichte um 1900 seinen Höhepunkt. Eine Antwort war im Jahr 1903 die Gründung der Wiener Werkstätte durch Josef Hoffmann und Koloman Moser, finanziell unterstützt von Fritz Wärndorfer.
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Heather Hess spricht am Montag, 10. Mai 2004, um 18 Uhr zum Thema "Modernism's Others: The Wiener Werkstätte, Ornament, and Decoration" am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien.
->   IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften
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Berühmt bzw. berüchtigt
Bild: APA
Teeservice von Josef Hoffmann
aus Silber und Elfenbein
In der Wiener Werkstätte arbeiteten die berühmtesten - oder, wenn es nach ihren Gegnern geht, die berüchtigtsten - Kunstgewerbler ihrer Zeit. In den ersten Jahren ihres Bestehens war sie der bestimmende "Trendsetter" des Geschmacks in Wien und im ganzen Habsburgerreich, und für ausländische Beobachter war sie das Beste und Modernste, das die Monarchie zu bieten hatte.

Diesbezüglich erfüllte sie ganz und gar ihre Gründungsmission, die Handwerkskunst neu zu beleben, auf ein höheres Niveau zu heben und einen modernen Stil zu entwickeln.
"Kunst ins Leben!"
Ein anderer Aspekt des Kunstgewerbes zur Jahrhundertwende war der Ruf nach "Kunst ins Leben". Die Idee, Kunst und Leben zu verbinden, war die Wurzel alles dessen, was "Kunstgewerbe" sein sollte.

Das Kunstgewerbe - in seiner prägnantesten Definition: die Kunst der Gebrauchsgegenstände - sollte nicht nur alle Bereiche des Lebens umfassen, sondern auch erheben und erhöhen. Alltagsgegenstände in Kunst zu verwandeln, bedeutete idealerweise eine Demokratisierung der Kunst, die auf diese Weise auch für die Massen zugänglich werden sollte.
Radikale Neudefinition des Künstlers
Bild: APA
"Purkersdorfer Bank" von Josef Hoffmann
Kunst war nicht länger auf teure Ölbilder beschränkt, sondern steckte in allen Gegenständen eines bürgerlichen - und, noch radikaler: eines Arbeiter-Hauses, von den Möbeln bis zum Tischbesteck.

Zu diesem Programm gehörte auch eine radikale Neudefinition des "Künstlers"; so hieß es im Arbeitsprogramm der Wiener Werkstätte: "Es soll die Arbeit des Kunsthandwerkers mit demselben Maß gemessen werden wie die des Malers und Bildhauers."
Gegenargumente: Flucht vor der Wirklichkeit
Diese Überschreitung und Zerstörung der Grenzen zwischen Kunst und Leben ging nicht ohne Widerstand vor sich. Viel später schrieb Adolf Loos: "Kunst an den Gebrauchsgegenstand zu verschwenden ist Unkultur."

Andere taten das Programm der Wiener Werkstätte ab als "Flucht ins Kunstgewerbliche", als Flucht vor der Wirklichkeit, als Ablehnung oder als Unfähigkeit, sich den wahren kulturellen und politischen Problemen der Zeit zu stellen - dieses Phänomen diagnostizierte Carl E. Schorske in seiner bahnbrechenden Studie.
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Über die Autorin
Heather Hess studierte Kunstgeschichte an Smith College der Rutgers University und an der Universität Hamburg, spezialisierte sich auf die Neuere Europäische Kunst, besonders auf Design und dekorative Kunst Zentraleuropas, und arbeitet derzeit als Fulbright/IFK_Junior Fellow an ihrer Dissertation.
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->   Wiener Werkstätte (AEIOU)
->   www.wiener-werkstaette.at
->   Modernism (Minneapolis Institute of Arts)
->   Mehr IFK-Beiträge in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010