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Österreichische Kriegsfotografie 1914-1918  
  Wie entstehen Kriegsbilder? Wie verändern sie sich? Seit dem letzten Golfkrieg ist diese Frage aktueller denn je. Aber die gegenwärtigen Debatten lassen leicht vergessen, dass Medienkriege nicht erst in jüngerer Zeit, sondern bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts geführt wurden. Der Erste Weltkrieg gilt als jener Krieg, in dem die modernen Medien - v.a. Fotografie und Film - erstmals systematisch als Mittel der Kriegsführung eingesetzt wurden. Der Politologe Anton Holzer stellt in einem Gastbeitrag die Hauptthesen einer Tagung in Wien vor, die sich diesem "Ersten Foto-Krieg" widmete.  
Foto-Krieg: Wahrnehmung, Erinnerung, Politik
Bild: Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
Zerstörter Friedhof in Görz,
vermutlich Ende Oktober 1917
Von Anton Holzer

Vor rund 90 Jahren begann der Erste Weltkrieg. Die Bilder, die er hinterließ, glauben wir zu kennen. Sie gleichen einander: Soldaten verschanzt in Schützengräben, ungeheuere Materialschlachten, verwüstete Schlachtfelder. Es sind Bilder von der Westfront.

Österreichisch-ungarische Soldaten kämpften aber v.a. in Ost- und Südosteuropa, an den serbischen, montenegrinischen, rumänischen, bulgarischen, italienischen, galizischen und russischen Kriegsschauplätzen.

Die Soldaten und Kriegsfotografen brachten eine ungeheure Menge an bildlichen Beutestücken mit. Das Gros dieser Bilder ist bis heute wenig bekannt.
Fotobestand der Österreichischen Nationalbibliothek
 
Bild: Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek

Anonym: Italienisches Flugzeug, das am 17. April 1917 bei Maria Gail, Kärnten, zur Landung gezwungen wurde

Im Schnittpunkt der Tagung im Mai 2004 stand die Auseinandersetzung mit dem international sehr bedeutenden Fotobestand im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek. Die Sammlung von über 33.000 Fotografien wird im Rahmen eines FWF-Forschungsprojektes aus fotohistorischem Blickwinkel untersucht.
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Tagung in Wien
Die Tagung "Foto-Krieg. Österreichische Kriegsfotografie 1914-1918: Wahrnehmung, Erinnerung, Politik", die Anton Holzer konzipiert hat, fand am 14. und 15. Mai 2004 am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Wien, statt.
->   Das Programm (IFK)
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Porträtaufnahmen der Zivilbevölkerung

Der erste Teil der Tagung beschäftigte sich mit der fotografischen Praxis des Krieges und ihrem medialen Niederschlag. Anton Holzer stellte den Bilderfundus des österreichischen k.u.k. Kriegspressequartiers, das für die propagandistische Verwertung der Fotografien verantwortlich war, vor. Er griff in seinem Vortrag eine Aufnahmeserie heraus, die zwischen Dezember 1917 und März 1918 in der heute westukrainischen Stadt Wladimir Wolinsky entstand.

Die Motive dieser Serie heben sich deutlich ab von herkömmlichen Kriegsfotos. Es sind Porträtaufnahmen der Zivilbevölkerung. Was hat den Kriegsfotografen dazu bewogen, sich den Körpern und Gesichtern der Einheimischen zuzuwenden?
Mediale Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs
Ulrich Keller (Univ. Santa Barbara) rekonstruierte in seinem Beitrag die mediale Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs. Am Beispiel des Spanisch-Amerikanischen Kriegs von 1898 untersuchte er die Wechselwirkung zwischen der Herstellung des "Rohmaterials" Kriegsfotografie vor Ort und der publizistischen Ausschlachtung der Bilder in der illustrierten Sensationspresse der großen amerikanischen Städte.

Er zeigte, wie die Tages- und Wochenzeitungen das emotionale Potential des Bildes nutzten, um die gewohnte sachlich-argumentative Berichterstattung in eine Art Wunschkino zu verwandeln.
Bisher wenig beachtet: Illustrierte Bildpostkarte
Christine Brocks (Bochum/York) griff in ihrem Vortrag ein bisher wenig beachtetes Medium der visuellen Kriegsführung heraus: die illustrierte Bildpostkarte. Sie befragte die kleinen Ansichten danach, welche Botschaften und Argumentationen sie den SchreiberInnen, EmpfängerInnen und BetrachterInnen anboten.

Die Bildpostkarte wird unter diesem Blickwinkel zur interessanten mentalitätsgeschichtlichen Quelle, die Aufschluss über die Verarbeitung des Krieges in einer breiten Öffentlichkeit geben kann.
Aufnahmen abseits der Fronten sind selten
Bild: Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
Gasschutzkasten für Brieftauben,
Trient, 3. Dezember 1917
Im zweiten Teil der Tagung stand die Kriegserinnerung in Bildern im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Timm Starl (Wien) betonte in seinem Beitrag, dass die zeitgeschichtliche und fotohistorische Rezeption der Bilder vom Krieg jene Ansichten bevorzugt, die möglichst nahe am Kampfgeschehen entstanden sind.

Weniger Aufmerksamkeit erhalten die Aufnahmen abseits der Fronten, vom Leben in der Heimat, die gleichwohl von den Ereignissen betroffen ist. Stellt man, so Starl, die Fotografien, die während des Krieges hervorgebracht wurden, jenen aus Friedenszeiten gegenüber, zeigt sich eine überraschende Konstellation: Es sind keine auffälligen Differenzen hinsichtlich Inhalt, Umfang und Gestaltung auszumachen.
Frauen- und Männerbilder
Katharina Menzel (Univ. Leipzig) fragte in ihrem Beitrag nach den Frauen- und Männerbildern des Krieges. Sie griff dabei auf die Fotobände des Ersten und Zweiten Weltkriegs zurück. In beiden Kriegen entstanden Fotografien, welche die "kriegswichtig" eingestufte Frauenarbeit (z.B. in Landwirtschaft oder Industrie) in aufwändig gestalteter Bildpropaganda in Büchern und Zeitschriften inszenierten.
Ikonisierung des Krieges
Cornelia Brink (Univ. Freiburg) beschäftigte sich mit der Langzeitwirkung von Fotografien. Sie verwies darauf, dass der Krieg häufig in immer wiederkehrenden Bildmustern, in Ikonen, erinnert wird. Der Begriff der "Ikone" liefert einen Schlüssel, um die komplexen Zusammenhänge im öffentlichen Gebrauch von Kriegsfotografien anschaulich zu machen, da er mit Authentizität, Symbolisierungskraft, Kanonisierung und dem Zusammenspiel von Zeigen und Verhüllen verschiedene Aspekte der Fotografie erfasst.
Krieg im Westen technologisch, im Osten schmutzig
Der abschließende Teil der Tagung thematisierte die Rolle von Kriegsbildern aus dem Osten Europas in der Erinnerungskultur des Westens. Bernd Hüppauf (New York Univ.) arbeitete die Unterschiede zwischen westlichen und östlichen Kriegsbildern heraus. Das Bild vom Krieg als technologisches Schlachtfeld hat seinen Ursprung an der Westfront.

Im Osten hat es keinen Platz. Im Unterschied zum Bild vom Krieg im Westen war das Bild vom Krieg im Osten das eines primitiven, schmutzigen Kriegs, und daher von geringerem öffentlichen Interesse.
Beispiel Lemberg
 
Bild: Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek

Anonym: Vereidigung der Truppe durch Kommandant FML Peter Hofmann in Narajov, Ostgalizien, November 1916

Christoph Mick (Univ. Tübingen) beschäftigte sich mit dem Krieg im Osten in Form einer Fallstudie zu Lemberg. Am Beispiel dieser galizischen Stadt brachte er die Kriegsgeschichte und die Erinnerungsbilder zu Galizien miteinander in Verbindung. Vor dem Hintergrund späterer katastrophaler Erfahrungen verklärte sich der Blick auf Galizien zur Zeit des Habsburger Reiches. Der Erste Weltkrieg bedeutete einen weitreichenden Einschnitt. Krieg und Besatzung brutalisierten auch die Konfliktaustragung in der autochthonen Bevölkerung.
Galizien verschwindet nach 1918 aus dem Blickfeld
Auch Martin Pollack (Wien) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit dem Mythos Galizien und zeigt dass sich das Bild des Ostens im Westen aus einem komplexen Gefüge von Fremd- und Selbstbildern zusammensetzt.

Besonders sichtbar wird das in der regionalen Postkartenproduktion. Viele der lokalen galizischen Postkartenhersteller waren noch während des Krieges tätig und stellten ihre Produktion entsprechend um, andere verlagerten ihren Sitz nach Wien. Mit Ausbruch des Krieges rückte der Osten der Monarchie plötzlich ins Zentrum der Wahrnehmung.

Galizien wurde zu einer Metapher für den Wahnsinn des Krieges, der sich auch in der Fotografie niederschlug. Nach 1918 verschwand Galizien von den Landkarten - und damit auch wieder aus unserem Blickfeld.
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Über den Autor
Anton Holzer studierte Politikwissenschaft und Philosophie in Innsbruck, ist Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie" und arbeitet zur Zeit am Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek an einem FWF-Forschungsprojekt zur österreichischen Kriegsfotografie im Ersten Weltkrieg.
Zu seinen wichtigsten Publikationen gehören:
(Hg.): Mit der Kamera bewaffnet. Krieg und Fotografie, Marburg 2003.
Mit der Kamera bewaffnet. Kriegsfotografien aus dem Ersten Weltkrieg, in: Uwe Schögl (Hg.): Im Blickpunkt. Die Fotosammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Innsbruck 2002.
Augenzeugen. Der Krieg gegen Zivilisten. Fotografien aus dem Ersten Weltkrieg, in: Fotogeschichte, Heft 85/86, 2002.
Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie
->   "Fotogeschichte"
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->   IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften
->   Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
->   IFK-Gastbeiträge in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010