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Dogma wackelt: mtDNA doch nicht "nur Frauensache"?  
  Die DNA in den "Kraftwerken" der Zelle, den so genannten Mitochondrien, wird gerne zur Untersuchung von Verwandtschaftsverhältnissen herangezogen: Denn nach gängiger Theorie wird mtDNA beim Menschen nur über die Mütter vererbt. Daher lassen sich aus den Unterschieden vergleichsweise unkompliziert umfangreiche Stammbäume rekonstruieren - bis zurück zur "Ur-Eva". Ein internationales Forscherteam hat das Dogma der rein mütterlichen Vererbung nun erschüttert: Aus den Muskelzellen eines Mannes konnten sie mitochondriales Erbgut isolieren, das auch Sequenzen des Vaters enthielt.  
Die Ergebnisse sind nun im Wissenschaftsmagazin Science erschienen; sie könnten unser Bild von der menschlichen Evolution nachhaltig verändern.
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Die Studie ist unter dem Titel "Recombination of Human Mitochondrial DNA" in "Science, Bd. 304, Seite 981, Ausgabe vom 14. Mai 2004 erschienen (doi: 10.1126/science.1096342).
->   Der Originalartikel in "Science" (kostenpflichtig)
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Die Energielieferanten des Körpers
Mitochondrien sind die Energielieferanten des Körpers. In jeder Zelle gibt es oft mehrere hundert Exemplare dieser Minikraftwerke, die im Unterschied zu anderen Zellorganellen ein eigenes ringförmiges DNA-Molekül besitzen.

Vor einer Zellteilung vermehren sich auch die Mitochondrien und verteilen sich anschließend auf die Tochterzellen.
Warum nur Mütter mtDNA vererben sollten
Die mtDNA schien sich - so glaubte man zumindest bislang - hervorragend für die Aufstellung von Stammbäumen zu eignen: Nach gängiger Theorie stammen nämlich beim Menschen alle Mitochondrien eines Kindes aus der Eizelle der Mutter.

Die Zellkraftwerke des Spermiums befinden sich in dessen "Hals", und der nimmt nicht an der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle teil. Veränderungen in der mtDNA können nach dieser Hypothese daher nicht durch die Vermischung väterlichen und mütterlichen Erbguts entstehen, sondern sind einzig und allein auf zufällige Mutationsereignisse zurückzuführen.
Mutationen mit hohem und konstantem Tempo
Ohne derartige Mutationen hätten heutige Menschen in ihren Mitochondrien noch genau die selbe DNA wie die "Ur-Eva" vor Hunderttausenden von Jahren. Nun mutiert mtDNA aber mit relativ hoher und sehr konstanter Geschwindigkeit.

Wenn man die mtDNA zweier Ethnien miteinander vergleicht, kann man daher anhand der Anzahl von Unterschieden relativ genau sagen, wann sich diese Volksstämme voneinander trennten.
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Amerikanische Urbevölkerung mit Japanern eng verwandt
So folgerten Evolutionsbiologen beispielsweise aus genetischen Daten, dass die amerikanische Urbevölkerung am engsten mit den ersten Bewohnern Japans verwandt ist.
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Muskelzellen zeigen väterliche mtDNA
Der Bonner Forscher Wolfram S. Kunz konnte nun jedoch zusammen mit Kollegen aus den USA und Dänemark entgegen der gängigen Auffassung in den Muskelzellen eines 28-jährigen Mannes mit einer mitochondrialen Erkrankung auch mtDNA des Vaters nachweisen.
Rekombination als mögliche Ursache
Durch Rekombination, das heißt den Austausch ähnlicher Erbgutsequenzen, war in einigen Mitochondrien augenscheinlich eine Art "Patchwork-DNA-Molekül" entstanden, das neben mütterlichen auch väterliche mtDNA-Sequenzen enthielt.

Bislang war strittig, ob menschliche mtDNA überhaupt rekombinieren kann. Derartige Rekombinationsereignisse können natürlich sehr schnell zu drastischen Änderungen in der mitochondrialen DNA führen.

"Wir wissen noch nicht, wie häufig solche Ereignisse wirklich sind", erklärt Professor Kunz in einer Aussendung der Universität Bonn, "dennoch habe unsere Ergebnisse für die genetische Stammbaumanalyse höchste Relevanz."
->   Klinik für Epileptologie der Universität Bonn
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01.01.2010