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Glaubenskrieg um die Existenz von Nanobakterien  
  Manche meinen, sie existieren wirklich, und sprechen von einer neuen Form des Lebens. Andere tun es als Hirngespinst in akademischem Gewand ab: Die Rede ist von Nanobakterien, mikroskopischen Lebewesen, die so klein sind, dass sie von Rechts wegen gar nicht lebendig sein dürften. Viele Forscher bleiben allerdings skeptisch, empfinden sie doch die bisherigen Hinweise auf deren Existenz als nicht stichhaltig. Eine aktuelle Untersuchung US-amerikanischer Mediziner könnte nun der Pro-Fraktion neuen Aufwind geben. Ihren Angaben zufolge wurden Nanobakterien soeben erstmals in menschlichen Geweben nachgewiesen.  
Wie eine Arbeitsgruppe um John C. Lieske von der Mayo Clinic in Rochester berichtet, fanden sich die Nano-Organismen in menschlichen Arterien. Dieses Ergebnis hat indes auch medizinische Relevanz: Die bakteriellen Winzlinge werden nämlich als Auslöser diverser Krankheiten - wie etwa der Arterienverkalkung - vermutet.
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Die Studie "Evidence of Nanobacterial-like Structures in Human Calcified Arteries and Cardiac Valves" von Virginia M. Miller et al. erschien im Fachmagazin "American Journal of Physiology: Heart and Circulatory Physiology" (Ausgabe vom 13.Mai 2004, doi:10.1152/ajpheart.00075.2004).
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Erste Hinweise aus der Geologie
Die umstrittene These von winzigen und völlig neuartigen Lebensformen geht auf Untersuchungen zurück, die der Geologe Robert F. Folk von der University of Texas in Kalkgesteinen im italienischen Viterbo, 50 Kilometer nordwestlich von Rom durchgeführt hat.

In den frühen 1990er Jahren fielen ihm bei elektronenmikroskopischen Bildern der Gesteinsproben kleine Beulen und Kugeln auf, die er zunächst als Verunreinigungen deutete.

Nach einem Jahr intensiver Forschung kam er jedoch zu der Überzeugung: Die winzigen Strukturen sind Teil des Gesteins - und außerdem Stoffwechselprodukte von Lebewesen.
->   Mehr zu Robert Folks Entdeckungen bei naturalscience.com
Kleiner als viele Viren
Später gelangen ihm ähnliche Entdeckungen bei Kalkstein- und Dolomitformationen, die ein Alter von bis zu zwei Milliarden Jahren aufwiesen. Diese Mikrostrukturen werden in der geologischen Literatur meist als "Nanobakterien" bezeichnet (Mikrobiologen sprechen auch von "Ultra-Mikrobakterien").

"Nano-" deshalb, weil sie mit einem Größenbereich von 0,05 bis 0,2 Mikrometern außergewöhnlich klein sind. Zum Vergleich: Damit weisen sie einen geringeren Durchmesser als viele Viren auf.
->   Nanobacteria: Are They or Aren't They Alive? (sciencecases.org)
Winzlinge am Mars?
Der NASA-Forscher Chris Romanek fühlte sich aufgrund von Folks Berichten inspiriert, auch in Meteoritengestein nach den Winzlingen Ausschau zu halten - und siehe da, er wurde auch bei dem Marsmeteoriten "ALH84001" fündig, wie er 1996 im angesehenen Fachmagazin "Science" berichtete.
->   Zum Originalabstract in "Science" (kostenpflichtig)
Zu klein: These widerspricht mikrobiologischem Dogma
Kritiker wenden solchen Berichten gegenüber ein, dass es keine Lebwesen dieser Größe geben könne. Die gefundenen Strukturen seien vielleicht real, aber sicherlich nicht lebendig. Der Einwand basiert auf der Überzeugung, dass überlebensnotwendige Moleküle (wie z.B. die DNA) nicht in beliebig kleine Zellen gepackt werden können.

Dieses in der Molekularbiologie verbreitete Dogma ist nicht nur von theoretischem Interesse, es hat auch praktische Konsequenzen: In mikrobiologischen Labors verwendet man nämlich regelmäßig Filter mit einem Porendurchmesser von 0,2 Mikrometern, wenn man Reagenzien keimfrei machen will.

Alles was diese Filter passiert, kann nach dieser gängigen Ansicht nicht lebendig sein. Dass die Nanobakterien-These in diesem Zusammenhang als Häresie empfunden wird, überrascht daher kaum.
Ursache von Krankheiten?
Einen neuen - medizinischen - Dreh haben der Debatte finnische Wissenschaftler im Jahr 1998 verliehen, als sie in einer US-amerikanischen Zeitschrift erneut vom Nachweis von Nanobakterien berichteten.

Diesmal allerdings fanden sich die mysteriösen Mikroorganismen im Blut von Menschen bzw. Kühen und ließen sich zudem kultivieren. Dabei bauten die Bakterien die mineralische Substanz Apatit auf - ein untrügliches Zeichen für metabolische Aktivität.

Dies sei, so die Forscher der Universität Kuopio, wiederum eine mögliche Ursache für Krankheiten, die mit Kalkeinlagerungen zu tun hätten, wie etwa die Bildung von Nierensteinen.
Kritiker sind nicht überzeugt
Die Antwort darauf folgte auf dem Fuße: In der selben Zeitschrift veröffentlichte John Cisar von den National Institutes of Health eine Arbeit, die seinen finnischen Kollegen ein vernichtendes Zeugnis ausstellte.

Die Mineralbildung sei auch durch anorganische Prozesse erklärbar, publizierte genetische Spuren stammen außerdem von einem Allerweltsbakterium, das häufig biochemische Proben verunreinigt.

Kurzum, Nanobakterien sind in den Augen der Kritiker "die kalte Fusion der Mikrobiologie", wie Hjacvk Maniloff von der University of Rochester gegenüber der Zeitschrift "New Scientist" erklärt. Soll heißen: Alle reden davon, endgültige Beweise dafür gibt es aber nicht.
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Die Studie "Nanobacteria: an alternative mechanism for pathogenic intra- and extracellular calcification and stone formation" von E.O. Kajander et al erschien in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (Band 95, S. 8274-9.) Die Antwort darauf, "An alternative interpretation of nanobacteria-induced biomineralization" vopn J.O. Cisar et al. erschien im selben Magazin (Band 97, S.11511-5).
->   PNAS
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Aufwind für die Pro-Fraktion
Die Kette von Unterstützungen und Widerlegungen der umstrittenen These wurde nun durch eine neue Publikation erweitert, diesmal kommt wieder einmal die Pro-Fraktion auf ihre Kosten:

Ein Team um John C. Lieske von der Mayo Clinic in Rochester wies nach eigenen Angaben Nanobakterien in sklerotischen Adern von menschlichen Patienten nach. Diese vermehrten sich unter Kulturbedingungen und ließen sich außerdem mit einem DNA-spezifischen Farbstoff markieren.

Schluss der Forscher: Das, was hier nachgewiesen wurde, ist mit Sicherheit lebendig - und steht zudem im Verdacht, an der Verkalkung von Arterien beteiligt zu sein.
Für und Wider, nächste Runde
Oberskeptiker John Cisar überzeugt das alles nicht: "Es wird immer Leute geben, die diese Sache am Leben erhalten", bemerkt er gegenüber "New Scientist".

Allerdings steht auch er im Schussfeld: Der Däne Jorgen Christofferson, Spezialist für Biomineralisation, bezeichnet wiederum seine im Jahr 2000 geäußerten Argumente als "wissenschaftlichen Unsinn". So scheint der Streit um die Existenz von Nanobakterien auch durch die jüngste Studie nicht entschieden worden zu sein.

Denn: Um zu wissen, was - objektiv gesehen - als Beweis bzw. als Widerlegung zu gelten hat, muss man sich zunächst über die Geltung des Begriff "objektiv" einigen. Und das ist bis zu einem gewissen Grad auch Glaubenssache.

Robert Czepel, science.ORF.at
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Literatur-Tipp
Zu diesem Thema erschien der Artikel "Are nanobacteria alive or just strange crystals?" von Jenny Hogan im Wissenschaftsmagazin "New Scientist" (Ausgabe vom 22.5.04, S. 6-7).
->   New Scientist
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->   Website von John C. Lieske (Mayo Clinic Rochester)
->   Website von John O. Cisar (NIH)
Mehr dazu in science.ORF.at
->   U-Boote und Co: Nanotechnik im Dienst der Medizin (20.2.04)
->   "Dressierte" Bakterien als Nanotech-Werkzeuge (14.7.03)
->   Alles zum Stichwort "Nano" im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010