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Morbus Sudeck: Schmerzen nach Knochenbruch  
  Eine banale Handverletzung oder ein Bruch im Unterarmbereich kann, obwohl Verletzung und Bruch gut heilen, zu chronischen Schmerzen bis hin zur Lähmung des ganzen Armes führen. Seit mehr als 100 Jahren suchten weltweit Forscher erfolglos nach den Ursachen dieser heimtückischen Erkrankung - dem Morbus Sudeck, für den es bisher keine Heilung gab. Wiener Wissenschaftler haben das Rätsel um die Sudecksche Erkrankung nun gelöst: Der Zellstoffwechsel im Bindegewebe ist ihnen zufolge durch die Verletzungen gestört, freigesetzte Sauerstoffradikale spielen eine Schlüsselrolle.  
Durch diese Erkenntnis eröffnen sich nun auch echte Chancen, die Krankheit in den Griff zu bekommen.
Kleine Ursache, große Wirkung
Nicht selten ist eine Bagatellverletzung der Auslöser für Morbus Sudeck, häufiger Knochenbrüche aber auch Operationen an Arm und Beingelenken. Beschrieben wurde diese Komplikationen bereits vom Hamburger Arzt Paul Sudeck um 1900.

Sudeck nannte die Krankheit eine "entgleiste Heilentzündung" und beschrieb die Ähnlichkeit der Symptome zwischen einer Entzündungsreaktion und dem Sudeck-Syndrom. Vom Morbus Sudeck ist immer ein Gelenk, meistens Hand oder Fuß, seltener Knie oder Schulter und noch seltener Hüfte betroffen.
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Individueller Krankheitsverlauf
Der Morbus Sudeck ist eine sehr individuelle Krankheit, die bei jedem Patienten wieder etwas anders erscheint und abläuft. Die beste Chance auf Heilung haben Patienten, die bereits in den ersten Wochen fachgerecht behandelt werden, trotzdem dauert die Krankheit meistens monatelang, leider teilweise auch jahrelang. Sie kann schwere Dauerschäden wie Schmerzen, Versteifungen und Gewebeschwund zurücklassen. Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer; auch Kinder können unter dieser Krankheit leiden.
->   Mehr über die Krankheit (morbus-sudeck.ch)
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Teils widersprüchliche Alarmzeichen
Die Krankheit beginnt in der Regel ein bis sieben Wochen nach dem ursächlichen Ereignis mit starken Schmerzen in der betroffenen Extremität. Der Körperteil ist stark geschwollen und oft gerötet und sieht aus wie bei einer Entzündung.

Trotzdem kann im Blut keine Entzündung nachgewiesen werden, die Patienten haben kein Fieber. Das Gelenk beginnt sich schmerzhaft zu versteifen. Die eingeschränkte Beweglichkeit und der Schmerz sind aber nicht die einzigen Anzeichen von Morbus Sudeck.

Bei manchen Patienten werden die betroffenen Gliedmaßen gefühllos, dazu kommt eine auffällige Temperaturänderung: Die betroffene Hand kann sich kälter oder wärmer anfühlen als die gesunde. Diese Vielzahl an, nicht selten widersprüchlichen, Symptomen macht es nicht leicht, die Krankheit zu erkennen. Vor allem weil nur selten alle Symptome in gleicher Intensität auftreten und es zu ganz unterschiedlichen Kombinationen kommen kann.
Neues Diagnosemodell
In der ersten Phase der Erkrankung gibt es die besten Heilungschancen. Vorausgesetzt die Krankheit wird erkannt. Dabei tun sich viele Ärzte schwer, weil sie nur selten damit konfrontiert sind.

Die Forscher am "Ludwig Boltzmann Institut für klinische und experimentelle Traumatologie" haben deshalb für ihre Kollegen in der Praxis, ein Diagnosemodell entwickelt, das alle nur denkbaren Begleiterscheinungen des Morbus Sudeck auflistet.

Mit einfachem Gerät wird die Beweglichkeit der Gelenke, Verdickungen, Schwellungen gemessen und nach einem Punktesystem bewertet. Mit der Punktezahl steigt die Wahrscheinlichkeit einer Sudeckschen Erkrankung. Für den Arzt bedeutet das: Ein Spezialist muss eingeschaltet werden.
Schwierige Behandlung
Die Behandlung war bisher darauf beschränkt den Schmerz zu lindern, die Entzündung zu stoppen und die Lähmung mit physiotherapeutischen Maßnahmen aufzuhalten. Experimentiert wurde auch mit Akupunktur und anderen alternativen Heilmethoden - der durchschlagende Erfolg ist aber ausgeblieben.

Es gibt auch kein Patentrezept, weil die Krankheit in so gut wie jedem Fall mit einer anderen, individuellen Symptomatik auftritt.
Rätselhafte Ursachen
Weil sich keine andere Erklärung fand, haben Ärzte die Ursache der Erkrankung nicht selten im psychischen Bereich angesiedelt. Aus Patientenberichten ist herauszulesen: Sie wurden in ihrem Leiden nicht immer Ernst genommen und waren nicht selten damit konfrontiert, dass der Arzt von eingebildeten Schmerzen sprach.

Tatsächlich ist die Ursache nicht wirklich abgeklärt. Die Verletzung ist der Auslöser, was dann geschieht lag im Dunkeln. Die Forscher am "Ludwig Boltzmann Institut für klinische und experimentelle Traumatologie" haben nun eine vielversprechende Spur aufgenommen.

Mit aufwendigen Analysemethoden und in Tiermodellen konnte der Nachweis erbracht werden, dass beim Morbus Sudeck freigesetzte Sauerstoffradikale eine Schlüsselrolle spielen.
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Gefährliche Radikale
Bei Stoffwechselprozessen kommt es zur Bildung von molekularen Bruchstücken, den "freien Radikalen". Während die Bildung dieser Moleküle oder Atome für bestimmte Reaktionen geradezu notwendig ist, kann die Freisetzung dieser Radikale in die Zell- oder Körperflüssigkeit gefährlich werden. Sie reagieren und verbinden sich mit allem, was ihnen begegnet, zum Beispiel mit Gewebe- und Muskelzellen, der Erbsubstanz, mit den Blutzellen u.a.

Problematisch für den Körper ist nicht nur die unmittelbare hohe Reaktivität der freien Radikale, sondern die Tatsache, dass sie Kettenreaktionen auslösen können: Hierbei greift ein Radikal ein anderes Molekül an, zerstört es und setzt dabei weitere Radikale frei. Unter ungünstigen Umständen kann so ein einziges freies Radikal Tausende von Molekülen zerstören. Da nun im Körper ständig Radikale freigesetzt werden, wird auch ständig erheblicher Schaden durch diese Moleküle angerichtet.
->   Freie Radikale doch nicht Ursache von Zellschäden? (26.2.04)
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Radikalenfänger gegen Morbus Sudeck
Mit dem Nachweis von vermehrten, freien Sauerstoffradikalen bei einer Sudeckschen Erkrankung, scheint das Rätsel nahezu gelöst. Durch die vorangehende Verletzung könnte es zur Membranschädigung der Zellen in der betroffenen Körperregion gekommen sein. Radikale werden freigesetzt, eine fatale Kettenreaktion nimmt ihren Anfang.

Jetzt geht es für die Wissenschaftler darum, geeignete Radikalenfänger zu entwickeln, die bei Morbus Sudeck eingesetzt werden können. Bis es soweit ist gilt: Je früher die Diagnose, umso größer die Heilungschancen.

Gerhard Roth, Modern Times Gesundheit
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Mehr dazu in Modern Times Gesundheit am 21. Mai 2004 um 22.35 Uhr in ORF 2.
->   Modern Times Gesundheit
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->   Ludwig Boltzmann Institut für Klinische und Experimentelle Traumatologie
->   Selbsthilfegruppe zu Morbus Sudeck
 
 
 
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01.01.2010