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Die Materialisierungen des Images "Musikstadt Wien"  
  Wien erhebt den Anspruch, "Welthauptstadt der Musik" zu sein. Diesem Topos als zentralem Image der Stadt spürt die Historikerin Martina Nußbaumer derzeit am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien nach. In einem Gastbeitrag beschreibt sie die Materialisierungen der "Musikstadt" Wien und blickt dabei auch zurück auf die Anfänge dieses Selbstbildes.  
Music City under Construction

Originalbeitrag von Martina Nußbaumer

"Wien ist die Welthauptstadt der Musik". Mit diesem Statement begründet das im Jahr 2000 eröffnete Haus der Musik Wien die besondere Bedeutung, die einem "modernen, interaktiven Klangmuseum" "im musikalischen Herzen Wiens", im Dreieck zwischen Stephansdom, Staatsoper und Musikuniversität, zukomme.

Mit dem "einzigartigen Flair der Stadt der Musik" bewirbt auch die 2001 initiierte Musik Meile Wien ihren "Walk of Fame der Klassischen Musik" auf dem Weg vom Theater an der Wien zum Stephansplatz.
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Martina Nußbaumer spricht am Montag, 24. Mai 2004, um 18 Uhr zum Thema "Music City under Construction. Materialisierungen des Images "Musikstadt Wien" um 1900 und 2000" am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien.
->   IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften
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Topos der "Musikstadt" als zentrales Stadt-Image
Beide Projekte stellen nur die jüngsten prominenten Stationen in einem bereits längeren Prozess der materiellen und diskursiven Verfestigung des Topos der "Musikstadt" zum zentralen Image der Stadt dar.

Ein Image, das Assoziationen wie 'Neujahrskonzert', 'Wiener Philharmoniker', 'Wiener Klassik' und 'Wiener Walzer' weckt und nicht nur international zu den tourismuswirtschaftlich wirkungsmächtigsten Wien-Bildern zählt, sondern auch im Selbstverständnis der Stadt Wien zentral verankert ist.
Das theming als Trend im Stadtmarketing
Diese jüngste Welle konkreter Materialisierungen des Topos "Musikstadt Wien" an zentralen Orten in der Stadt lässt sich als Versuch lesen, die Wiener Innenstadt als "Themenpark klassischer Musik" (Cornelia Szabó-Knotik) zu inszenieren und damit aktuellen Trends des theming im internationalen Stadtmarketing zu folgen.
Eine vergleichende Rückblende
Sie lädt zu einer vergleichenden Rückblende ein: Eine erste konzentrierte Welle an Einschreibungen dieses Selbstbildes in die Topographie der Stadt ist bereits ab den späten 1860er Jahren zu beobachten.

Sie manifestiert sich in Repräsentationsbauten für musikalische Ereignisse (Hofoper, Musikverein, Konzerthaus) und einer Reihe von Komponistendenkmälern in der Ringzone, aber auch temporär im Großprojekt der Internationalen Ausstellung für Musik- und Theaterwesen im Wiener Prater 1892.

Ihren Abschluss findet diese erste Welle 1921 mit einem Denkmal für Johann Strauß Sohn im Stadtpark. Viele der bis heute zentralen Bestandteile des musikbezogenen Bildgedächtnisses der Stadt sind damit fixiert.
Entscheidende Etappe für Wien als "Musikstadt"
Geht man von der Annahme aus, dass eine grundlegende Wechselwirkung zwischen der ideellen und der materiellen Konstruktion von Stadtimages besteht, so bilden bereits diese Materialisierungen um 1900 eine entscheidende Etappe im Prozess der Etablierung Wiens als "Musikstadt".

Die Analyse der öffentlichen Diskurse rund um diese Zeichensetzungen zeigt, wie in dieser Zeit ein spezifisches Set an Begründungsmustern der "Musikstadt" fixiert wurde, auf das auch heute noch zurückgegriffen werden kann:
Tradition, Erbe, musikalischer "Volkscharakter"
Eine möglichst weit in die Vergangenheit zurückgeführte Musiktradition, die Betonung des überzeitlich herausragenden Erbes der "Wiener Klassiker" sowie Verweise auf einen besonderen genius loci und einen spezifisch musikalischen "Volkscharakter" der WienerInnen bilden dabei die zentralen Argumentationslinien.
Unterschiedliche Interessen und Konzepte
Darüber hinaus zeigt die Analyse auch, welche Akteurinnen und Akteure bei der Forcierung der Idee Wiens als "Musikstadt" welche Interessen verfolgten. Unterschiedliche Konzepte nationaler und sozialer Identität ließen sich darüber verhandeln:

Gesamtstaatspatriotische, der ethnisch-kulturellen Pluralität der Stadt Wien Rechnung tragende "österreichische" Identitätsentwürfe konkurrierten hier mit Strategien der Ausgrenzung von Minderheiten durch die Behauptung einer höherstehenden "deutschen" Musikkultur.

Bürgerliche Wertvorstellungen und Führungsansprüche im Feld der Kultur wurden hier in Abgrenzung zu alten aristokratischen Vormachtsansprüchen artikuliert.
Erklärungsansätze für den Erfolg
Gerade diese Vielfachcodierbarkeit der "Musikstadt" und die unendlichen Aktualisierungsmöglichkeiten, die sie für unterschiedlichste Zwecke bot, mögen Erklärungsansätze für den bis heute anhaltenden Erfolg dieses Images bieten.

Aktuelle Materialisierungen der "Musikstadt"-Idee wie das Haus der Musik und die Musik Meile Wien greifen in weitgehend unveränderter Form auf die bereits um 1900 erfolgreich erprobten Konstruktionsmuster zurück.
Der Anspruch bleibt: "Welthauptstadt der Musik"
Verschoben haben sich allerdings die Trägerschichten und die Aufladungen des Images:

Statt überwiegend bürgerlichen InitiatorInnen, die hier ihre sozialen und nationalen Identitätspolitiken transportieren, bedienen sich nun die TrägerInnen einer neuen Kulturindustrie dieser Bilder, um die Stadt in einer zunehmend globalen Städtekonkurrenz zu positionieren.

Geblieben, wenngleich nun anders codiert, ist ein Anspruch: nicht nur "Musikstadt", sondern "Welthauptstadt der Musik" zu sein.
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Informationen zur Autorin Martina Nußbaumer
Martina Nußbaumer studierte Geschichte und Angewandte Kulturwissenschaften/"Kulturmanagement" an der Universität Graz und an der University of Edinburgh, ist Doktorandin im Spezialforschungsbereich "Moderne - Wien und Zentraleuropa um 1900" der Universität Graz und arbeit derzeit als IFK_Junior Fellow an ihrer Dissertation zum Thema "Music City under Construction. Konstruktionen kollektiver Identitäten über den Topos 'Musikstadt Wien' um 1900".
->   Homepage des Spezialforschungsbereichs (Uni Graz)
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->   Weitere IFK-Gastbeiträge in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010