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Aids stammt nicht von Polio-Impfstoff  
  Der Erreger der Immunschwächekrankheit Aids wurde von Affen auf den Menschen nicht durch einen Polio-Impfstoff aus den fünfziger Jahren übertragen. Nachdem diese Theorie bereits im vergangenen Herbst durch Claudio Basilico von der Universität New York widerlegt wurden, publizieren jetzt mehrere internationale Gen-Experten Analysen mit demselben Ergebnis.  
"Eine Theorie über den Ursprung der Aids-Pandemie besteht darin, dass das dafür verantwortliche HIV-Virus von Schimpansen auf Menschen durch ein kontaminiertes Polio-Vakzin übertragen wurde. Diese Theorie hält einigen Tests nicht stand", schreibt jetzt der britische Experte Robin A. Weiss von der Abteilung für Immunologie und Molekulare Pathologie des University College in London in der aktuellen Ausgabe der britischen Wissenschaftszeitschrift "Nature".
Drei verschiedene Studien widerlegen Theorie
Der Fachmann hat einige Gründe für diese Aussage. Die Zeitschrift publiziert gleich drei verschiedene Studien, die praktisch den Beweis dafür erbringen, dass die Theorie aus dem Buch "The River: A Journey to the Source of HIV and Aids" von Edward Hooper einfach nicht stimmen kann. Dem oralen Polio-Impfstoff (OPV) verdankt die Menschheit mittlerweile die Beinahe-Ausrottung der Kinderlähmung.
Erster Hinweis aus Frankreich
Der erste Hinweis stammt von Wissenschaftlern um Philippe Blancou vom Institut Pasteur in Paris. Die Fachleute haben die in den fünfziger Jahren vom US-Wistar Institut produzierten Kinderlähmung-Impfstoffe intensiv untersucht. Zwar waren für die Herstellung des Vakzins offenbar Nierenzellen von Affen verwendet worden, doch die stammten nicht von Schimpansen.

Von den nächsten Verwandten des Menschen soll ja laut anerkannter Meinung der Wissenschaftler das Aids-Virus stammen. "Wir finden keinen Hinweis, der die OPV/HIV-Hypothese unterstützt", schreiben die Fachleute.
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Der Ursprung von Aids 1
Vor zwei Jahren konnten Forscher der Fakultät für Medizin und Mikrobiologie an der Universität von Alabama zeigen, dass der wichtigste Typus des menschlichen Virus HIV-1, das AIDS auslöst, seinen Ursprung in einer Unterart von Schimpansen hat, die in Äquatorialafrika leben. Die Affen sind Träger eines HIV-ähnlichen Virus mit dem Namen Simian-Immunschwäche-Virus (SIV). Die Forscher führten Versuche mit dem Gewebe eines Affen durch, der 1985 gestorben war. Dabei wurden biochemische Techniken angewendet, um den genetischen Aufbau des SIV-Virus zu verdeutlichen, seine Entstehung zu verfolgen und zu analysieren. Die Forscher waren in der Lage zu zeigen, dass die genetische Zusammensetzung nahezu mit den drei Hauptvarianten des HIV-Virus übereinstimmte, die als M, N und O bezeichnet werden.
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Bekräftigung durch Deutsche
Zu dem selben Ergebnis kommen deutsche Gen-Experten in der nächsten Ausgabe der US-Wissenschaftszeitschrift "Science" (27. April) "Wir analysierten mehrere OPV-Pools und fanden keinen Hinweis auf ein Vorhandensein von Schimpansen-Erbgut, dafür aber DNA von anderen Affen.

"Die gegenwärtigen Untersuchungsergebnisse unterstützen nicht die Hypothese, dass Schimpansenzellen benutzt wurden, jenen oralen Polio-Impfstoff zu produzieren, der 1958 und 1959 im Kongo eingesetzt wurde", schreiben der weltbekannte Gen-Forscher Svante Pääbo und seine Co-Autoren im Max Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie (Leipzig).
Hintergrund der Diskussionen
Der Hintergrund der Diskussionen besteht darin: Hätte man bei der Produktion des Polio-Schluckimpfstoffes (OPV) Zellen von Schimpansen wirklich benutzt, würde das die OPV/Aids-Hypothese unterstützen, da Schimpansen die Wirtsorganismen für das Affen-Immunschwächevirus SIV sind. Aus ihm dürften sich die HI-Viren entwickelt haben.
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Der Ursprung von Aids 2
Die Tatsache, dass die drei Varianten des HIV-1-Virus alle eng mit dem SIM zusammenhängen, der bei dieser Unterart von Schimpansen gefunden wurde, legt nahe, dass das Virus vom Schimpansen auf den Menschen in mindestens drei von einander unabhängigen Fällen übertragen wurde. Jäger töten und schlachten Schimpansen, um ihr Fleisch zu essen. Auf diese Weise könnte das Virus in ihre Blutbahn gelangt sein. Schimpansen sind den Menschen genetisch sehr ähnlich, 98 Prozent ihres Genoms (genetischer Fingerabdruck) stimmen überein. Auffällig ist, dass die Affen das SIV-Virus in sich tragen, aber nicht unter den zerstörerischen AIDS-Symptomen leiden. Dies zusammengenommen könnte es ermöglichen, die Rolle, die der Virus im Menschen spielt, zu erklären und ein Mittel zu finden, es unter Kontrolle zu bekommen.
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US-Institut am Pranger
Das US-Wistar Institut (Philadelphia) war bereits ab 1992 als verdächtig bezeichnet worden, die Aids-Epidemie ausgelöst zu haben. Die Kritiker behaupteten schon damals, dass der US-Wissenschaftler Hillary Koprowski bei seinem Wettlauf mit Albert Sabin um den ersten Schluckimpfstoff gegen die Kinderlähmung Schimpansenzellen zur Herstellung verwendet hätte.

Dadurch sei der Erreger für die Immunschwäche in einen für Menschen gedachten Impfstoff gekommen. Bei Studien mit dem Impfstoff zwischen 1957 und 1960 in den damals belgischen Kolonien Kongo, Ruanda und Burundi wären dann mit OPV Menschen infiziert worden. Aus SIV sei schließlich HIV-1 geworden, lautete die Theorie weiter.
Erste dokumentierte Aids-Infektion 1959
Die erste sicher dokumentierte Aids-Infektion wurde erst im
November vergangenen Jahres laut einer im "Journal of Virology" veröffentlichten Studie aus Kinshasa berichtet. Sie datierte aus dem Jahr 1959. Die Blutprobe stammte von einem Mann.

Die deutschen Wissenschaftler (Science) entdeckten in zwei der untersuchten Polio-Impfstoff-Proben DNA-Teile von Menschen. Andere stammten von Makaken bzw. verwandten Affen, die allerdings nicht als Ursprung von HIV angesehen werden.
Briten bestätigen
Ganz ähnlich fiel das Untersuchungsergebnis von Dr. N. Berry und seinen Kollegen vom Institut für Biologische Standards und Qualitätskontrolle Großbritanniens aus. In "Nature" publizieren die Wissenschaftler jetzt Ergebnisse von weiteren Untersuchungen an alten Impfstoffproben. Das Resultat: Weder HIV noch Erbgutbestandteile von Schimpansen wurden entdeckt.

Schließlich passt auch noch das Ergebnis der Forschungsarbeiten von Dr. Edward C. Holmes von der Universität Oxford in dieses Bild (Nature): Die Fachleute von der Abteilung für Zoologie der renommierten Universität erstellten einen Stammbaum von modernen Stämmen von HIV-1.
Geschichte reicht weiter zurück
Demnach reicht die Geschichte der Aids-Erreger weiter zurück, als es je Versuche mit Polio-Schluckimpfstoffen gegeben hat. Der häufige HIV-Stamm "M" stammt ebenfalls noch von einem Vorläufer ab, der bei Menschen vorkam. Die - behauptete - Übertragung von Schimpansen auf den Menschen via modernem Impfstoff kann also nicht bestätigt werden.

(APA/red)
->   Institut Pasteur in Paris
->   Originalstudien im Nature Magazine(kostenpflichtig)
->   Journal of Virology
 
 
 
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01.01.2010