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Das Erfolgsgeheimnis von tierischen Kletterkünstlern  
  Geckos, Spinnen und Insekten gelten als wahre Akrobaten im Tierreich: Die Tiere besitzen winzige Hafthärchen an in ihren Beinen, weswegen sie mühelos an glatten Oberflächen klettern können. Deutsche Forscher fanden nun heraus, dass dabei zwei Faktoren im Bio-Design entscheiden. Entweder erlangt man diese Fähigkeit durch bestmöglich geformte Härchen - oder durch Strukturen, die sich im optimalen Größenbereich von weniger als 100 Nanometern bewegen.  
Wie Forscher des Max-Planck-Instituts für Metallforschung berichten, gilt dabei folgender Zusammenhang: Je kleiner die charakteristische Größe des einzelnen Haftkontakts, desto weniger wichtig ist seine Form. Diese Erkenntnis ist wichtig für das Design von Haftsystemen in der Technik.
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Der Artikel "Shape insensitive optimal adhesion of nanoscale fibrillar structures" von H. Gao und H. Yao erschien am 17.5.04 als "Early Edition" auf der Website der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA" (Band 101, S. 7851-6, doi:10.1073/pnas.0400757101).
->   PNAS
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Geckos sind "Haft-Weltmeister"
Haftungsmechanismen, die über Jahrmillionen in der biologischen Evolution "erprobt" und verbessert wurden, sind nicht nur für Biologen, sondern auch für Ingenieure von Interesse. So haben Geckos und viele Insekten an ihren Füßen haarige Strukturen (so genannte Spatulae), die als Haftungsvorrichtungen dienen.

Hierbei stellte sich heraus, dass sich die Dichte der Oberflächenhaare mit dem Körpergewicht der Tiere erhöht. Unter allen Tierarten, die man bislang untersucht hat, haben Geckos die höchste Anzahl an Spatulae pro Flächeneinheit.

Sie sind - im Vergleich zu Fliegen und anderen Insekten - auch relativ schwere Tiere.
Mikro-Vergleich
 
Bild: Max-Planck-Institut für Metallforschung/Gorb

Die Hafthaare von Käfer, Fliege, Spinne und Gecko im Vergleich. Die Zahl der Oberflächenhaare erhöht sich mit dem Körpergewicht der Tiere. Dabei verfügt der Gecko über die höchste Dichte unter allen bisher untersuchten Tierarten.
Van-der-Waals-Kräfte machen es möglich
Diese biologischen Haftmechanismen hat man bisher mit ganz unterschiedlichen Konzepten erklärt, wie beispielsweise mit Kapillarkräften.

Inzwischen aber wurde nachgewiesen, dass beim Haftmechanismus der Geckos die so genannten Van-der-Waals-Kräften eine dominierende Rolle spielen. Van-der-Waals-Kräfte sind, verglichen mit der Stärke richtiger Atombindungen, relativ schwache Wechselwirkungen.

Diese Kräfte entstehen durch kurzzeitig auftretende asymmetrische Ladungsverteilungen um die Atome.
->   Van-der-Waals-Kräfte bei Wikipedia
Warum klebt die menschliche Hand nicht am Tisch?
Die Tatsache, dass Van-der-Waals-Kräfte eine dominierende Rolle spielen sollen, erscheint zunächst überraschend, denn wir brauchen eine viel größere Kraft, um einen Gecko von der Decke zu ziehen, als unsere Hand vom Tisch zu nehmen, und das, obwohl in beiden Fällen die gleiche Van-der-Waals-Kraft wirkt.

Damit stellt sich die Frage, was genau die Stärke der Haftung (Adhäsion) bestimmt. Die chemische Struktur der Materialien jedenfalls kann nicht erklären, warum die gleiche Van-der-Waals-Kraft eine so starke Adhäsion beim Gecko, nicht aber beim Menschen ergibt.

Anscheinend hat die Natur andere, ausgefeilte Mechanismen entwickelt, damit bestimmte Tierarten, für die Adhäsion das Überleben ermöglicht, die schwachen Van-der-Waals-Kräfte nutzen können.
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Modell zeigt: Es gibt eine optimale Form
H. Gao und H. Yao vom Max-Planck-Institut für Metallforschung in Stuttgart haben jetzt ein Modell für die Haftung zwischen einer einzelnen Spatula und einem Substrat entwickelt, das auf van der Waals-Wechselwirkungen beruht.

Danach hat die Form der Oberfläche einer spatula großen Einfluss auf die Stärke der Haftung, und ob dabei die maximale Haftkraft erreicht wird. Die Wissenschaftler zeigen, dass es eine besondere Form der Spatulae gibt, bei der - unabhängig von ihrer Größe - in jedem Fall die maximale theoretische Haftkraft erreicht wird.
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Die Form alleine reagiert empfindlich
Doch warum wird eine solche optimale Form bislang in der Technik nicht verwendet? Ein Grund liegt sicherlich darin, dass die maximal erreichbare Haftkraft sehr empfindlich ist gegenüber kleinen Schwankungen in der Geometrie der Haftkontakte.

So nimmt die Haftkraft bei einer Faser mit einem Radius von einem Millimeter um mehr als zwei Größenordnungen ab, wenn die Form der Faser nur um etwa ein bis zwei Prozent von ihrer optimalen Form abweicht.
Kleinheit als Mittel zum Erfolg
Die Forscher fanden heraus, dass diese Überempfindlichkeit gegenüber der Form interessanterweise durch Verkleinerung der Größe, also des Durchmessers der Faser, beseitigt werden kann. Verringert sich der Faserdurchmesser auf eine kritische Größe, erreicht die Haftkraft den maximalen theoretischen Wert, unabhängig von kleinen Veränderungen in ihrer Form.

Die kritische Längenskala schätzen die Wissenschaftler auf circa 100 Nanometer.
Kombination ist der beste Weg
Folglich kann man in der Natur und potenziell auch in der Technik eine optimale Haftung durch eine Kombination von Größenreduzierung und Formoptimierung erreichen.

Dabei gilt: Je kleiner die Faser, desto weniger wichtig ist ihre Form. Sind dennoch große Berührungsflächen notwendig, so kann eine optimale Adhäsion erreicht werden, wenn es gelingt, die Form der Haftkontakte in ausreichender Präzision herzustellen.

Vom praktischen Standpunkt aus ist es allerdings notwendig, die Berührungsgröße möglichst zu verkleinern, um eine robuste und gleichzeitig optimale Adhäsion zu erreichen.

Dieser Zusammenhang zwischen Größenreduzierung und Formoptimierung könnte auch in der Technik wichtige Anwendungen finden.
->   Max-Planck-Institut für Metallforschung
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
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01.01.2010