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Studie: Wie Erinnerung das Geruchssystem aktivieren kann  
  Bestimmte Sinneseindrücke, etwa ein Geruch, können bekanntermaßen längst vergessene Begebenheiten wachrufen. Doch funktioniert dieser Signalweg auch umgekehrt - gewissermaßen von der Begebenheit zum Geruch? Britische Forscher haben nun in einer Studie festgestellt, dass sich mithilfe von durch Bilder wachgerufenen Erinnerungen zumindest die Geruchsareale im Gehirn reaktivieren lassen.  
Die Wissenschaftler um Jay Gottfried vom Wellcome Department of Imaging Neuroscience des University College London untersuchten mithilfe bildgebender Methoden die Gehirne von Probanden, die zuvor eigens für die Studie eine mit einem Geruch verknüpfte Erinnerung "geschaffen" hatten.
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Die Studie erscheint unter dem Titel "Remembrance of Odors Past: Human Olfactory Cortex in Cross-Modal Recognition Memory" in der Fachzeitschrift "Neuron", Bd. 42, Seiten 687-695, Ausgabe vom 27. Mai 2004.
->   "Neuron"
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Erinnerungen durch Geruchssignale
Am Anfang sind Erinnerungen nur ein flüchtiges Muster elektrischer Aktivitäten im Gehirn. Am Ende stehen mehr oder minder stabile Gedächtnisinhalte, die auf unterschiedliche Weise wieder ins Bewusstsein gelangen können.

In Marcel Prousts berühmten Romanzyklus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" etwa wird der Protagonist Charles Swann durch einen Geruch zurück in seine Kindheit geführt.

Ein literarisches Beispiel, auf das sich die britischen Forscher im Übrigen recht ungeniert beziehen, wenn sie ihre Studie mit dem Titel "Remembrance of Odors Past" versehen - vertauscht man "Odors" nämlich mit "Things", so erhält man den englischen Titel von Prousts Hauptwerk.
Funktioniert dies auch umgekehrt?
Der Neurologe Jay Gottfried wollte nun allerdings gemeinsam mit seinen Kollegen herausfinden, ob auch der umgekehrte Weg möglich ist. Ihr Ansatz: Erinnerungen könnten sich in den olfaktorischen Regionen des Gehirns bemerkbar machen.
Erzeugung episodischer Erinnerung
Eine Gruppe von Testpersonen musste für die Studie zunächst einmal die entsprechende Erinnerung gleichsam "herstellen":

Dafür wurden den Probanden verschiedene Bilder vorgelegt, die mit Gerüchen kombiniert wurden. Ein Bild sollte nun jeweils mit einem Duft verbunden werden, indem die Teilnehmer für das memory encoding konkrete Geschichten oder andere "Brücken" erfanden.

Mit dieser Versuchsanordnung sollten so genannte episodische Erinnerungen nachgeahmt bzw. erzeugt werden. Diese beinhalten "das Wiederabrufen von kontextuell einmaligen Begebenheiten", wie die Wissenschaftler in "Neuron" schreiben.
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Hauptmerkmal: Multisensorische Qualität
Charakterisiert werden diese episodische Erinnerungen vor allem auch durch ihre multisensorische Qualität, wie die Forscher betonen. Mit anderen Worten: Die konkrete Erinnerung an einen besonders schönen Urlaubstag ist für den Betreffenden mit einer Vielzahl von Sinneseindrücken verbunden. Bilder und Geräusche spielen dabei eine Rolle, aber auch Gerüche oder der Tastsinn können beteiligt sein.
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Kernspinresonanz zeigt Erregungsmuster im Hirn
Um nun das Wachrufen jener neu erzeugten Erinnerungen zu überprüfen, bedienten sich die Forscher der so genannten funktionalen Kernspinresonanz (fMRI), mit deren Hilfe jeweils aktive Gehirnregionen identifiziert werden können.

Den Testpersonen wurde also nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne lediglich ein Bild vorgelegt, der dazugehörige Geruch fehlte. Und dennoch zeigten die fMRI-Bilder eindeutig, dass sich - zumindest im Gehirn - auch die Erinnerung daran erneut manifestierte:

Denn unter anderem wurde der piriforme Cortex aktiv, ein zum Geruchssystem gehörender Großhirnrinden-Abschnitt und zudem wichtigster Bereich des olfaktorischen Cortex.
Ein Sinneseindruck für die ganze Erinnerung
Für die Forscher sind ihre Ergebnisse der Beweis dafür, dass (episodische) Erinnerungen auf verschiedenste Gehirnregionen verteilt sind. Und: Durch nur einen unserer sensorischen Kanäle könne sich Erinnerung wachrufen lassen, beschreibt Jay Gottfried es in einer Aussendung.

"Dieser Mechanismus könnte dem Menschen mehr Flexibilität beim Wiederabruf von Erinnerungen ermöglichen".

Sein Beispiel: Extremsituationen, in denen es um das eigene Überleben gehen kann. Also etwa Geräusche, Gerüche und Fußabdrücke oder ähnliches am Boden, die jeweils als Warnung vor einem herannahenden Feind dienen könnten.
Gerne genutzt von der Werbeindustrie
Der Mechanismus aber mag so manchem bei genauerem Nachdenken in anderer Hinsicht äußerst bekannt vorkommen. Denn vor allem die Werbung stützt sich laut Gottfried und Kollegen darauf.

"Werbung beruht auf der Tatsache, dass Erinnerungen eher eine Reihe von Assoziationen sind als einheitliches Stück; wo also das Bild einer Frau, die am Strand einen Cocktail trinkt, die eigenen Urlaubserinnerungen wachrufen kann. Auch wenn die einzige Ähnlichkeit zwischen Bild und Erinnerung vielleicht der Sonnenhut ist, den sie trägt."

Und sind die eigenen Erinnerungen an den vergangenen Urlaub schließlich wieder lebendig, könnte durchaus die Bereitschaft steigen, die nächste Urlaubsreise zu buchen.
->   Wellcome Department of Imaging Neuroscience
->   Alles zum Stichwort Erinnerung in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010