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Supermacht USA: Wie gespalten ist Europa?  
  Die Vereinigten Staaten gelten seit geraumer Zeit als die beherrschende "Supermacht" der Welt - eine zentrale Machtposition, die innerhalb Europas allerdings recht unterschiedlich bewertet wird, wie sich rund um den US-geführten Irakkrieg gezeigt hat. Ist also Europa tatsächlich gespalten in ein "altes" und "neues Europa", in einen proamerikanischen Osten sowie zumindest einige tendenziell antiamerikanischen westlichen Nationen? Der Historiker Jacques Rupnik hat die unterschiedlichen Amerika-Bilder in Ost und West einer Analyse unterzogen - und sieht den Gegensatz keineswegs so eindeutig, wie er vielfach dargestellt wird.  
Am Vorabend der EU-Erweiterung sei ein "tiefer Riss" durch Europa gegangen, konstatiert Rupnik zu Beginn eines Artikels, der sich unter dem Titel "Amerikas beste Freunde in Europa" mit den divergierenden Amerika-Bildern in Europa befasst.
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Der Artikel "Amerikas beste Freunde in Europa. Die Vereinigten Staaten im politischen Denken und Handeln der osteuropäischen Länder" von Jacques Rupnik erscheint in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Transit - Europäische Revue" (Nr. 27, Juni 2004), herausgegeben vom Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM).
->   "Transit - Europäische Revue" (Inhalt der Juni-Ausgabe)
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Irakkonflikt und die Spaltung Europas
Die Hintergründe sind bekannt: Rund um den von den USA angestrebten "Präventivkrieg" der USA im Irak zeigten sich Anfang 2004 deutliche Differenzen in der Haltung der europäischen Nationen.

Neben Großbritannien und Spanien unterstützten vor allem auch die osteuropäischen Regierungen den US-Kurs (Stichwort: "United we stand"), während auf der anderen Seite allen voran Frankreich und Deutschland jede Unterstützung verweigerten.
Altes kontra neues Europa
Zugespitzt beschrieb der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld jene Situation, indem er - terminologisch fragwürdig, wie Rupnik bemerkt - den Kontinent in ein "altes" sowie ein "neues", an der Seite der USA stehendes Europa einteilte.
Der Osten als "amerikanischer Block"?
Rupnik gesteht Rumsfelds vielzitierten Ausspruch zumindest einen "Kern Wahrheit" zu: "Alle Länder des vormals so genannten kommunistischen Ostens [...] haben, wenn auch mit unterschiedlicher Begeisterung, den Vereinigten Staaten ihre Unterstützung zugesagt", fasst Rupnik zusammen.

Ist also aus dem ehemaligen sowjetischen Block tatsächlich ein "amerikanischer Block" geworden, fragt der Historiker, ein Kernstück der "Amerika-Fraktion" in der erweiterten Europäischen Union?
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Divergierende Amerikabilder im Blickpunkt
Für seine Analyse bedient sich Rupnik eines kursorischen Vergleichs zwischen divergierenden Amerikabildern, wie er schreibt, "nämlich zwischen den Auffassungen jenes Landes, das heute in den USA als Inbegriff des europäischen Antiamerikanismus gilt (Frankreich), und denen der Osteuropäer, die sich dem ganzen Kontinent als 'Amerikas beste Freunde' anempfehlen." Der Historiker stützt sich dabei auf drei Aspekte, die er als "Säulen" des französischen Antiamerikanismus bezeichnet. Zum einen zeichnet er ein Bild der gegensätzlichen Haltungen zur zentralen Machtstellung der USA in der Welt nach dem Ende des Kalten Krieges. Punkt zwei: widersprüchliche Einstellungen zur US-geführten Globalisierungsbewegung. Sowie schließlich: unterschiedliche Reaktionen auf das Eindringen amerikanischer Massenkultur und Lebensformen - und auf deren Auswirkungen auf nationale (oder europäische) Identität.
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Warum sind die Osteuropäer "proamerikanisch"?
Ein Kernpunkt von Rupniks Analyse geht der Frage nach, warum die Osteuropäer "proamerikanisch" eingestellt sind.

Zumindest teilweise lässt sich demnach die derzeit zu konstatierende Periode des "Philoamerikanismus" mit der unterschiedlichen historischen Erfahrung erklären - und als "Reaktion auf die jahrzehntelang aufgezwungene und durch die Gegnerschaft zu den USA legitimierte Herrschaft der Sowjets darstellen".

Sie seien der Ansicht - dies gelte vor allem für die Polen -, dass nicht der westeuropäische Einsatz für Entspannung und Ostpolitik, sondern, Ronald Reagans Konfrontationspolitik gegenüber dem "Reich des Bösen" den entscheidenden Beitrag zur Abdankung des Sowjetsystems geleistet habe.
Präsenz der USA für die eigene Sicherheit
Und auch das Ende des Kalten Krieges hat daran - bislang zumindest - wenig geändert: Betrachten heute die einen Amerikas zentrale Machtstellung zumindest "mit gemischten Gefühlen", gelten nach Rupnik den Osteuropäern die USA als eine Macht, "die Europa vor seinen Dämonen bewahrt".

"In ihrer Perspektive ist Sicherheit weitgehend gleichbedeutend mit der Zuverlässigkeit der NATO und der Präsenz der USA." Doch werde diese Periode des Philoamerikanismus in Osteuropa in Zukunft höchstwahrscheinlich Veränderungen unterworfen sein, argumentiert Rupnik weiter.
Kein homogener Block Osteuropa
Zudem gibt es, wie der Historiker anmerkt, keinen homogenen Block Osteuropa. Auch dort fänden sich zahlreiche unterschiedliche Amerikabilder.

Während sich demnach etwa die Polen sehr stark mit der US-Außenpolitik identifizieren, zeigten Ungarn, Tschechen und Slowenen eher mäßige Unterstützung und halbherziges Interesse für das Engagement der US-Politik auf dem Schauplatz Europa.
Eliten versus Öffentlichkeit
Nicht zuletzt prägen erhebliche Unterschiede die Haltung von (osteuropäischen) politischen und intellektuellen Eliten sowie der Öffentlichkeit - wie etwa am Beispiel der US-Militäraktion im Irak zu sehen ist.

Rupnik verweist hier auf verschiedene Meinungsumfragen, aus denen etwa hervorging, dass unter den Bürgern der (damals) osteuropäischen Beitrittsländer ebenso viel Protest gegen das amerikanischen Eingreifen herrschte, wie unter den Bürgern der EU-Mitgliedstaaten.
Breiter Konsens unter den Bürgern Europas
Mit anderen Worten: Die Regierungen und intellektuellen Eliten mögen sich auffallend unterscheiden in ihrer Haltung zu den USA, unter den Bürgern ganz Europas hingegen scheint es einen breiten Konsens zu geben, "der die These, Europa sei in Bezug auf die Vereinigten Staaten zutiefst gespalten in ein 'altes' und ein 'neues Europa', äußerst fraglich werden lässt."

"Der Gegensatz, der zwischen 'altem' und 'neuem' Europa in der Haltung zu Amerika besteht [...], ist keineswegs so eindeutig, wie die aktuellen politischen Verhältnisse uns glauben machen wollen", lautet denn auch Rupniks abschließendes Urteil.
"Die Zukunft Osteuropas ist die EU"
Der Historiker warnt auch vor dem Fehlschluss, die ex-kommunistischen Länder Osteuropas könnten heute an einem Scheideweg stehen - und sich zwischen Washington und Brüssel, zwischen NATO und EU entscheiden müssen.

Nichts sei weiter von der Realität entfernt, so Rupniks Schlussplädoyer: Die Zukunft der osteuropäischen Länder ist die Europäische Union "und nicht die Stellung eines 51. Staates der USA".

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM)
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Jacques Rupnik, in Prag geboren, studierte Geschichte und Politikwissenschaften und ist heute Forschungsdirektor des Centre d'Etudes et de Recherches Internationales (CERI) der französischen Fondation Nationale des Sciences Politiques. Er gilt als Experte für Zentraleuropa, den Balkan und Russland. Von 1990 bis 1992 war er Berater des tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Havel. Von 1995 bis 1996 übernahm er den Vorsitz der Internationalen Balkankommission, die von einer privaten amerikanischen Organisation (Carnegie Endowment for International Peace) ins Leben gerufen wurde.
->   Homepage von Jacques Rupnik (CERI)
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Mehr zu diesen Themen in science.ORF.at:
->   Europa und Amerika: Die Chance in der Krise (26.4.04)
->   Antiamerikanismus - Einst und Jetzt (24.5.03)
->   Ursachen für den wachsenden "Anti-Europeanism" in den USA (28.1.03)
 
 
 
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01.01.2010