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ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Ist Bildung messbar? Dilemma einer Forschungspraxis  
  Vergleichende, internationale Bildungsforschung erfreut sich zurzeit großer Beliebtheit. So sind etwa die PISA-Studien ein willkommenes Reservoir, wenn Argumente für bildungspolitische Maßnahmen, aber auch wirtschaftliche Standortfragen, bemüht werden. Dabei erweisen sich die dahinter stehenden Bildungsbegriffe als höchst problematisch. Was wird tatsächlich von so genannter Bildungsforschung gemessen?  
Der Frage nach der Messbarkeit von Bildung wurde heuer im Rahmen des internationalen 39. Salzburger Symposions nachgegangen.

Denn angesichts des hohen gesellschaftspolitischen Einflusses solcher Studien sind Bildungstheoretiker mehr denn je gefordert, Stellung zu beziehen. Sollen sie ungeachtet der problematischen Voraussetzungen auf den fahrenden Zug aufspringen?
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Die Salzburger Symposien
Seit 38 Jahren finden die internationalen Salzburger Symposien zu Pfingsten statt. Erziehungswissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz - heuer auch USA - diskutieren an drei Tagen aktuelle Entwicklungen in der Pädagogik.
Das Verhältnis von Bildungsforschung und Bildungstheorie bildete den heurigen Schwerpunkt des von Jörg Ruhloff (GH-Universität Wuppertal) und Alfred Schirlbauer (Universität Wien) organisierten Symposions.
->   Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Wien
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Was ist Bildung?
Die grundsätzliche Frage nach dem Bildungsbegriff bestimmte den kritischen Auftakt des Symposions. "Nicht überall, wo Bildung drauf steht, ist Bildung drinnen", betonte Andreas Pönitsch aus Koblenz.

Mit der saloppen These wies der Erziehungswissenschaftler darauf hin, dass in der Bildungsforschung wie auch Politik ein undifferenzierter Bildungsbegriff vorherrsche. Bildung sei dementsprechend mehr als die Fähigkeit, gewisse Aufgabenstellungen zu bewältigen.
Kompetenzen mögen messbar sein
Leseverständnis, Kenntnisse in Mathematik und Naturwissenschaften sind Kompetenzen, die im Rahmen der PISA-Studien gemessen und verglichen werden. Aber sind die ermittelten Kompetenzen bereits ausreichend, um Bildungsprozesse operationalisierbar zu machen?

Entsprechend einig waren sich die Wissenschaftler, dass die von Politik und Wirtschaft massiv eingeforderte Messbarkeit und Vergleichbarkeit so etwas wie Reflexivität, das Verhältnis von Selbst und der Welt und das Verstehen dieses Verhältnisses ausblende.
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PISA-Studien
PISA ( Programme for International Student Assessment) ist eine vergleichende Erhebungsstudie der OECD. Ziel dieser Studie sind Indikatoren für Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten von 15-jährigen Schülern in den Bereichen Leseverständnis, Mathematik und Naturwissenschaften. An der ersten Erhebung (Frühjahr 2000) nahmen über 30 Staaten teil.
->   PISA-Homepage (OECD)
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Bildungsforschung im Dilemma
Möglicherweise lassen sich Bildungsprozesse und Bildungsverhalten weder erschöpfend benennen, noch vergleichen oder messen. Oder wie es Helmut Heid, Bildungsforscher aus Regensburg in seinem Vortrag kritisch bemerkte: Der Anspruch der Bildungsforschung sei als solcher gefährlich.
Bildung ist weder beobachtbar noch messbar
Was Bildung sein sollte, das lasse sich noch argumentieren, lautet die These. Was Bildung ist, werde aber in der Regel über das Gegenteil definiert: "Wir sind uns einig, was Bildung ist in Abgrenzung zur Ausbildung etwa, aber was Bildung tatsächlich ist, darüber sind wir uns keineswegs einig", erläutert Heid seine These.

Programmatisch gesprochen lässt sich wünschenswertes Verhalten beobachten und messen. Was dabei gemessen werde, sei aber eben weder Bildung noch eine Form des Bildungserfolges, lautet das Fazit des Forschers.
Theorie und Forschung: Eine unüberwindbare Kluft?
Für ein Miteinander der Bildungsforschung und -theorie optierte Lothar Wigger, Universität Dortmund. Dabei kritisierte Wigger den gegenwärtigen Trend einer Bildungsforschung, die ohne Bezug auf entsprechende Bildungsbegriffe bzw. Bildungstheorien auskommt.

Die Bildungsforschung sei sich ihrer Unzulänglichkeiten durchaus bewusst. Für den Wissenschaftler steht daher außer Zweifel, dass die Aufrechterhaltung der Trennung beider Ansätze unhaltbar sei.
Wechselseitig nutzbar machen
Für ein wechselseitiges Nutzbarmachen sprach sich auch Käte Meyer-Drawe, Ruhr Universität Bochum, aus. Genauer gehe es um die "Überschüsse" der Bildungsforschung und -theorie, die nutzbar zu machen sind.

Denn es sei gerade der Vorteil der Bildungstheorie, anders über Bildung nachzudenken als es die Empirie vermag. "Was selbstverständlich ist, ist längst nicht verständlich", kritisierte die Erziehungswissenschaftlerin die Ansammlung der nicht selten in "Datenfriedhöfen" mündenden Erhebungen.
Methodendiskussion notwendig
Eine Methodendiskussion sei jedenfalls notwendig, wie Johannes Bellman, Humboldt Universität zu Berlin, am Beispiel der historischen Bildungsforschung demonstrierte. Denn die Bildungsforschung gewinne Ihre Ergebnisse immer auch über die Konstruktion des Gegenstandes, den sie eigentlich beforschen solle.

In eine ähnliche Richtung argumentierte Andreas Dörpinghaus, Universität Duisburg: "Was ich messe, wird durch die Praktik des Messens hergestellt" - und öffnete im weiteren Schritt mögliche, künftige Forschungsfelder: "Wie messe ich das, was ich nicht messe?"

Agnieszka Dzierzbicka, science.ORF.at
->   Drehscheibe Bildungsforschung des bm:bwk
Mehr zu den Salzburger Symposien in science.ORF.at:
->   Aktuelle Herausforderungen von Bildung und Erziehung (17.6.03)
->   Bildung heute - Haben Lehrer keinen Auftrag? (24.5.02)
->   Das Stichwort PISA-Studie in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010