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Mit Ratten-DNA der Besiedlung Polynesiens auf der Spur  
  DNA-Analysen sind eine beliebte Methode zur Erforschung von längst vergangenen Migrationsereignissen. Neuseeländische Forscher haben sich nun die Besiedlung der pazifischen Inselwelt und vor allem Polynesiens genauer angesehen - und dafür nicht etwa das Erbgut ihrer heutigen menschlichen Bewohner analysiert. Sie stützen sich vielmehr auf die DNA der Kleinen Pazifikratte, die mit den ersten Kolonisten auf die Inseln gelangt sein soll.  
Die menschliche Besiedlung des Pazifik im Allgemeinen sowie der Ursprung der Polynesier im Besonderen seien seit mehr als zwei Jahrhunderten Gegenstand von Debatten gewesen, schreiben Lisa Matisoo-Smith und J.H. Robins in den "Proceedings of the National Academy of Sciences".
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Die Studie von E. Matisoo-Smith und J. H. Robins erscheint zwischen 8. und 11. Juni 2004 unter dem Titel "Origins and dispersals of Pacific peoples: Evidence from mtDNA phylogenies of the Pacific rat" in der "PNAS Early Edition" (doi:10.1073/pnas.0403120101). Der Artikel ist zudem Cover-Thema der kommenden Print-Ausgabe vom 15. Juni 2004.
->   PNAS Early Edition
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Lapita-Kultur: Vorfahren der Polynesier
Wer die äußeren Inseln Ozeaniens zuerst besiedelte, glaubt man heute zwar zu wissen: Vertreter der so genannten Lapita-Kultur, die im Westpazifik erstmals vor etwa 3.500 Jahren auftauchte, gelten als die Vorfahren der Polynesier und vieler anderer Pazifischer Kulturen.

Doch über den Verlauf der Besiedlung gibt es verschiedene Ansichten und diverse Modelle, wie die beiden neuseeländischen Forscher berichten.
Töpferware und Tiere im Gepäck
Ein Charakteristikum des "Lapita Cultural Complex" war demnach etwa die unverwechselbare Tonware. Doch neben solchen Artefakten scheinen die Kolonisten damals auch diverse Pflanzen und Tiere mit sich geführt zu haben.
->   Infos zum Lapita Cultural Complex (archaeology.about.com)
Rattus exulans - als Proviant?
Bild: Tim Mackrell/PNAS
Neben Hunden (Canis familiaris) und Geflügel (Gallus gallus) befanden sich in den Kanus der Lapita-Menschen ganz offensichtlich auch Ratten der Gattung Rattus exulans, die - so vermuten die Forscher - sehr wahrscheinlich als Nahrung gedient haben.

Diese Kleinen Pazifikratten finden sich heute auf dem südostasiatischen Festland ebenso wie auf vielen Inseln im Pazifik bis hin zu den weit östlich gelegenen Osterinseln. Hinzu kommen Knochenfunde von Ausgrabungsstätten.

Da die kleinen Nager allerdings selbst nicht schwimmen (können), wie die Forscher weiter berichten, gehen sie davon aus, dass alleine die damals die Inseln besiedelnden Menschen für ihre Verbreitung verantwortlich waren.

Bild rechts: Die Holzschnitzerei zeigt einen Urkolonisten Ozeaniens . Auf seinen Schultern reitend sind Ratten der Gattung Rattus exulans zu sehen.
->   Informationen zu Ratus exulans (Global Invasive Species Database)
Nager-DNA zur Migrationsanalyse
Und: Zwar wurden später von den Europäern weitere Ratten (wohl eher unabsichtlich) eingeschleppt - doch diesmal handelte es sich um verschiedene Arten, die sich nicht mit den bereits heimischen "Insel-Ratten" fortpflanzten.

Mit anderen Worten: Anhand eines Vergleichs von alter und neuer Rattus-exulans-DNA könnte sich die Migration der Lapita-Kultur bzw. die Besiedlung der verschiedenen Inseln und Inselgruppen nachvollziehen lassen, so die These der Wissenschaftler.
Mitochondriales Erbgut im Blickpunkt
Die Forscher bedienten sich einmal mehr der Analyse der so genannten mitochondrialen DNA, kurz mtDNA.

Diese - so glaubt man bislang wenigsten noch, wenn auch Studien am "Dogma" rütteln - wird nur via mütterliche Linie vererbt und erlaubt daher vergleichsweise unkompliziert die Rekonstruktion umfangreicher Stammbäume.
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Mitochondriale DNA doch nicht "nur Frauensache"?
Die DNA in den "Kraftwerken" der Zelle, den so genannten Mitochondrien, wird gerne zur Untersuchung von Verwandtschaftsverhältnissen herangezogen: Denn nach gängiger Theorie wird mtDNA beim Menschen nur über die Mütter vererbt. Daher lassen sich aus den Unterschieden umfangreiche Stammbäume rekonstruieren - bis zurück zur "Ur-Eva". Ein internationales Forscherteam hat das Dogma der rein mütterlichen Vererbung vor kurzem allerdings erschüttert: Aus den Muskelzellen eines Mannes konnten sie mitochondriales Erbgut isolieren, das auch Sequenzen des Vaters enthielt.
->   Mehr dazu: Artikel vom 17. Mai 2004
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Alte und neue Ratten-DNA im Vergleich
Die Wissenschaftler sammelten zunächst 131 verschiedene Proben von den unterschiedlichen Inseln, etwa aus Rattenknochen von archäologischen Fundstellen, und verglichen schließlich die mtDNA-Sequenzen der verschiedenen Rattenpopulationen.
Drei geografisch unterschiedliche Populationen
Das Ergebnis der Untersuchung: Identifiziert wurden drei geografisch unterschiedliche Populationen, deren Verteilung beispielsweise gegen die These der "Fast-Train"-Besiedlung spricht, wie die Forscher schreiben.
Langsames und komplexes Besiedlungsszenario
Demnach sind die Vertreter der Lapita-Kultur wohl nicht auf direktem Wege - und mehr oder minder ohne Kontakt zu den Bewohnern der auf dem Weg liegenden Inseln - von Südostasien aus nach Polynesien gelangt.

Vielmehr legt die Studie nahe, dass man sich das Migrationsszenario weitaus langsamer und auch sehr viel komplexer vorzustellen hat.

Doch, wie die Wissenschaftler abschließend schreiben, um die Prähistorik der Region wirklich zu verstehen, müssten in weiteren Studien auch Ergebnisse aus anderen Disziplinen wie Archäologie, komparative Linguistik und Molekularbiologie einbezogen werden.
Die Schattenseite der Nager-Ausbreitung
Die eingeschleppten Nager fühlten sich im Übrigen auf ihren diversen neuen Heimatinseln recht wohl - und breiteten sich denn auch schnell in den Ökosystemen aus. Nicht eben zur Freude mancher heimischer Arten - etwa Vögel und Eidechsen -, die bald auf dem Speiseplan von Rattus exulans standen.

Die "Global Invasive Species Database" etwa widmet der Kleinen Pazifikratte ein Kapitel - und beschreibt sie zudem als großen Landwirtschaftsschädling in Südostasien und der Pazifikregion, dessen Appetit vor wenig halt macht. Reis, Mais, Zuckerrohr, Kokosnuss, Kakao, Ananas und diverse Getreide werden demnach von den Ratten heimgesucht.
->   Department of Anthropology der University of Auckland
->   Allan Wilson Centre for Molecular Ecology and Evolution
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01.01.2010