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Sprachbegabter Hund lernt Wörter im Ausschlussverfahren  
  Hundebesitzer haben es natürlich immer schon gewusst: Ihre tierischen Gefährten verstehen jedes Wort. Wissenschaftliche Argumente liefern nun deutsche Forscher. Demnach könnten Hunde - ähnlich wie Kleinkinder - die Bedeutung von unbekannten Worten erraten und lernen, indem sie sich den jeweils bezeichneten Gegenstand im Ausschlussverfahren erschließen. Diese Fähigkeit, genannt "fast mapping", galt bislang als dem Menschen vorbehalten - und könnte doch, so die These, ein genereller Lernmechanismus sein, der sich vor sowie unabhängig von der menschlichen Sprache entwickelt hat.  
Während des Spracherwerbs formen Kinder Hypothesen über die Bedeutung eines neuen Wortes, schreiben die Forscher um Julia Fischer vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie im Fachmagazin "Science".

Dieser Prozess des "fast mapping" oder "schnellen Zuordnens" scheint allerdings der Studie zufolge nicht nur auf den Menschen beschränkt zu sein: "Hier liefern wir den Nachweis, dass ein Bordercollie, Rico, in der Lage ist, schnell zuzuordnen."
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Die Studie von Julia Fischer, Juliane Kaminski und Josep Call erscheint unter dem Titel "Word Learning in a Domestic Dog: Evidence for 'Fast Mapping'" in "Science", Bd. 304, Seiten 1682-1683 (11. Juni 2004).
->   Der Originalartikel in "Science" (kostenpflichtig)
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Wörter lernen im Ausschlussverfahren
Kleinkinder erwerben ab dem zweiten Lebensjahr im Schnitt zehn neue Wörter pro Tag. Dabei lernen sie die Bezeichnungen von den Dingen in ihrer Welt nicht nur durch explizite Erläuterung, sondern auch indirekt - indem sie sich die Bedeutung im Ausschlussverfahren erschließen.

Dieser Mechanismus des "schnellen Zuordnens" oder "fast mapping" bedeutet, dass sie Hypothesen über den Zusammenhang zwischen Dingen und Bezeichnungen entwickeln.
Klassischer Versuch: "Chromfarbenes Tablett"
In einem klassischen Experiment fordert man Kinder etwa auf, das "chromfarbene Tablett zu bringen, und nicht das rote". Lässt man die Kinder anschließend zwischen einem roten und einem olivgrünen Tablett auswählen, so bringen sie das olivgrüne - auch wenn sie den Namen "chromfarben" noch nie gehört hatten.
Spezielle Anpassung an Lernen von Sprache?
Bild: Baus/Krzeslowski
Frühe Studien gingen davon aus, dass dies eine spezielle Anpassung an das Lernen von Sprache ist und deswegen nur beim Menschen vorkommt.

Es könnte allerdings sein, dass jenes "Lernen durch Ausschluss" auf generellen Lernmechanismen beruht, die der Mensch möglicherweise auch mit anderen Tieren teilt. Die Max-Planck-Forscher sind dieser Frage nun nachgegangen: Ihr Versuchstier war ein Bordercollie mit dem Namen "Rico".

Im Bild rechts zu sehen ist der Versuchshund "Rico"
Sprachbegabter "Rico" kennt 200 Spielzeuge
Der sprachbegabte Hund kannte zu Beginn der Studie bereits die Namen von mehr als 200 verschiedenen Gegenständen bzw. Spielzeugen. Sein "Vokabular" ist damit dem sprachtrainierter Affen, Delfine, Seelöwen oder Papageien vergleichbar.
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Erster Test überprüfte bekannte Wörter
Im ersten Experiment bildeten die Wissenschaftler aus diesen 200 dem Hund bekannten Spielzeugen 20 Sets zu je zehn Gegenständen. Die Versuchsleiterin verteilte die zehn Gegenstände im Versuchsraum, während der Hund und seine Besitzerin im Nachbarraum warteten.

Die Besitzerin forderte dann den Hund auf, erst einen und danach einen anderen jeweils zufällig ausgewählten Gegenstand zu bringen. Während der Hund nach dem gewünschten Gegenstand suchte, konnte er weder seine Besitzerin noch die Versuchsleiterin sehen. In 37 von 40 Fällen brachte er den richtigen Gegenstand.
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"Fast Mapping": "Rico" bringt neue Gegenstände
Um zu testen, ob der Hund auch zum "fast mapping" in der Lage ist, boten die Forscher ihm ein völlig neues, unbekanntes Spielzeug zusammen mit sieben ihm bereits bekannten Objekten an.

Zunächst forderten sie den Hund auf, einen der bekannten Gegenstände zu apportieren. Erst im zweiten oder dritten Versuch eines Durchgangs nannte die Besitzerin dann ein völlig neues Wort ("Rico! Wo ist der xyz?").

In zehn Durchgängen führten die Wissenschaftler insgesamt zehn neue Objekte ein, die "Rico" identifizieren sollte. Und tatsächlich: Er brachte laut Studie vom ersten Versuchsdurchlauf an den neuen Gegenstand und lag in sieben von zehn Fällen richtig.
Neues Wort verbunden mit neuem Gegenstand
Offensichtlich konnte er tatsächlich das neue Wort im Ausschlussverfahren mit dem neuen Gegenstand in Verbindung bringen - entweder weil er wusste, dass die ihm bekannten Objekte bereits Namen hatten oder weil sie eben nicht neu waren.

Das Video (QuickTime) zeigt den allerersten Test: Rico sollte zunächst zwei bekannte Gegenstände bringen (den blauen Dinosaurier bzw. "T-Rex" sowie den "Weihnachtsmann", eine kleine rote Puppe). Im Anschluss wurde er aufgefordert, "Sirikid" zu bringen - den weißen Hasen.
Erfolgreiche Überprüfung nach vier Wochen
Vier Wochen nach diesem Versuch überprüften die Wissenschaftler, ob der Hund sich die Bezeichnungen der neuen Gegenstände auch gemerkt hatte. Dabei hatte er in der Zwischenzeit keinen Zugang zu diesen Dingen, und auch die Namen wurden nicht wieder genannt.

In diesem Test verwendeten die Max-Planck-Forscher nur Objekte, die der Hund zuvor erfolgreich identifiziert hatte. Sie platzierten nun jeweils eines dieser Zielobjekte zusammen mit vier absolut neuen und vier ihm bereits bekannten Gegenständen in einem Raum.

Zunächst forderten die Forscher den Hund auf, ein ihm bekanntes Objekt und dann (im zweiten und dritten Versuch) das Zielobjekt zu bringen. Und tatsächlich - auch vier Wochen nach der ersten und einzigen Konfrontation mit diesem Gegenstand apportierte der Hund das Zielobjekt korrekt in drei von sechs Durchgängen.
"Vergleichbar mit dreijährigen Kindern"
Ricos Erfolgsquote ist zwar nicht perfekt, doch sie sei vergleichbar mit der von dreijährigen Kindern, so die Forscher. Interessantes Detail: In den "inkorrekten" Fällen brachte der Hund einen der unbekannten Gegenstände, nie aber einen der zuvor bekannten.
Auch bei anderen Hunden zu finden?
Zu klären bleibt nun laut den Wissenschaftlern, inwiefern Ricos Leistungen auf seine außergewöhnliche Auffassungsgabe zurückzuführen sind oder im Prinzip auch bei anderen Hunden zu finden sein könnten. Immerhin verfügt Rico über langjährige Erfahrung damit, dass seine Spielzeuge Namen haben.
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Hund als "neue Schimpansen" der Psychologie
In einem Kommentar zur Studie weist der Psychologe Paul Bloom von der Yale University darauf hin, dass die Fähigkeit des "fast mapping" bislang nicht einmal bei den nächsten Verwandten des Menschen, den Schimpansen nachgewiesen werden konnte. "Für Psychologen könnten Hunde die neuen Schimpansen sein", schreibt er.

Bloom betont allerdings auch, dass weitere Studien - etwa mit einem anderen Sprecher als Ricos Besitzerin - zeigen müssten, ob der Hund tatsächlich in der Lage ist, Refernzen zu verstehen bzw. zu erlernen. Offene Fragen laut Bloom: Kann Rico auch ein neues Wort lernen, indem man ihm den Gegenstand bei gleichzeitiger Nennung des Namens nur zeigt? Kann er auch Bezeichnungen für andere Dinge als kleine, spielzeugtaugliche Objekte lernen? Kann er sein Verstehen auch auf andere Weise als Apportieren zeigen?

Der Artikel ist unter dem Titel "Can a Dog Learn a Word" in "Science", Bd. 304, Seiten 1605-1606, Ausgabe vom 11. Juni erschienen.
->   Der Artikel in "Science" (kostenpflichtig)
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Keine Dressur, sondern eigenständige Leistung
Die deutschen Forscher betonen, dass es sich bei Ricos Leistungen keineswegs um Dressur - in der Fachsprache als "operante Konditionierung" bezeichnet - handelt.

Seine Fähigkeit, im Ausschlussverfahren das richtige Objekt zu identifizieren, stelle vielmehr eine eigenständige Transferleistung dar und könne als einsichtiges Verhalten bezeichnet werden.
These: Kognitive Fähigkeit, die älter ist als Sprache
"Diese kognitiven Fähigkeiten, die es einem Tier erlauben, eine Vielzahl von Klängen und Geräuschen richtig zu interpretieren, scheint sich also unabhängig und viel früher als die Fähigkeit entwickelt zu haben, diese akustischen Signale auch selber zu produzieren, also sprechen zu können", formuliert Studienleiterin Julia Fischer die abschließende These der Forscher.
->   Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
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01.01.2010