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Studie klärt, wie Lachgas als Narkosemittel wirkt  
  Seit mehr als 100 Jahren wird Lachgas, chemisch N2O oder "Stickoxidul" genannt, für Allgemeinnarkosen eingesetzt. Doch wie es wirkt, war bisher unklar. Es fehlten Studien am lebenden Organismus. Ein Wiener Anästhesist hat nun den Wirkmechanismus aufgeklärt. Demnach wirkt das Mittel über jene Rezeptoren, an denen auch Drogen wie LSD ansetzen.  
Die Arbeit des Anästhesisten und Intensivmediziners Peter Nagele vom AKH Wien entstand in den USA - im Rahmen eines Erwin-Schrödinger-Stipendium-Aufenthaltes an der Washington University in St. Louis.

Die Studie ist im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) erschienen.
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Die Studie ist unter dem Titel "Nitrous oxide (N2O) requires the N-methyl-D-aspartate receptor for its action in Caenorhabditis elegans" in den PNAS, Bd. 101, Seiten 8791-8796, Ausgabe vom 8. Juni 2004 (doi:10.1073/pnas.0402825101) erschienen.
->   Abstract des Artikels in www.pnas.org
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Zunächst "Einheitstheorie über Narkotika"
"In der Allgemeinnarkose werden seit Jahrzehnten so genannte volatile Narkotika, zum Beispiel Halothan oder Isofluran, und Lachgas eingesetzt. Vor rund 30 Jahren gab es eine Theorie, wonach alle diese Narkosemittel unspezifisch und über einen gemeinsamen Mechanismus wirken würden", erklärte Nagele gegenüber der APA.

Doch an dieser "Einheitstheorie über Narkotika" kamen zunehmend Zweifel auf. Volatile Anästhetika haben mehrere Wirkungsmechanismen.
Zwei unterschiedliche Ansätze
Ein Haupteffekt betrifft eine Verstärkung der Rezeptoren für die Gamma-Amino-Buttersäure (GABA). Das heißt, dass sie die Wirkung von hemmenden Nerven-Kontaktstellen (Synapsen) verstärken. Dort setzen auch Beruhigungsmittel wie die Benzodiazepine an.

Hingegen bewirkt die Stimulierung von Synapsen, welche Glutamat als Nervenbotenstoff benutzen, eine Aktivierung nachgeschalteter Nervenzellen. Da die Narkose ein schlafähnlicher Zustand ist, sollte man ihn also entweder durch eine Aktivierung hemmender Synapsen (GABA) oder eine Hemmung aktivierender Synapsen (Glutamat) erreichen.
Offene Frage: Was genau bewirkt Lachgas?
Doch erst 1997 gab es in Laboruntersuchungen Hinweise darauf, dass Lachgas eben den Glutamat- oder NMDA-Rezeptor (N-Methyl-Aspartat-Rezeptor) ansprechen dürfte. Der Beweis dafür am lebenden Organismus fehlte aber noch.
Nachweis der Wirkung am Fadenwurm
Diesen Beweis hat Nagele im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes erbracht. Dabei untersuchte der Anästhesist und Intensivmediziner den "Lieblingswurm der Wissenschaft": den Fadenwurm C. elegans.

Fadenwürmer sind einfachste mehrzellige Lebewesen, die als Modellorganismen verwendet werden. Sie haben nur rund 300 Nervenzellen.
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Details zu den Fademwurm-Untersuchungen
Unter dem Mikroskop gemessen wurde der Effekt von Luft, Lachgas bzw. volatilen Narkotika auf die typischen Bewegungen der Würmer. Das wurde sowohl bei "normalen" C. elegans-Exemplaren getan als auch bei Würmern, bei denen die NMDA-Rezeptoren durch "Gen-Knock-out" ausgeschaltet worden waren.
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Paralyse kontra Bewegungsänderung
Das Ergebnis: Volatile Anästhetika paralysierten die Würmer. Lachgas hingegen führte zu ganz charakteristischen Änderungen in den koordinierten Bewegungen von C. elegans. Exemplare dieser Nematoden ohne NMDA-Rezeptoren blieben gegenüber Lachgas resistent.

"Volatile Anästhetika wirkten gänzlich anders als Lachgas. Das ist ein sehr starker Hinweis darauf, dass die Einheitstheorie der Anästhesie nicht korrekt ist", erläuterte der Wiener Wissenschaftler die Resultate.
Ansatz für neue Mittel ohne Nebenwirkungen
"Das ist zunächst Grundlagenforschung. Doch man könnte natürlich versuchen, Moleküle zu finden, welche wie das Lachgas auf den NMDA-Rezeptor wirken, aber nicht dessen Nebenwirkungen haben", so Nagele weiter.

Das "traditionsreiche" Narkotikum entfaltet seinen Effekt jedenfalls an jenen Rezeptoren, an denen auch Drogen wie LSD ansetzen.
->   Department of Anesthesiology der Washington University School of Medicine
->   AKH Wien
Mehr zum Thema Narkose/Anästhesie in science.ORF.at:
->   Albtraum-Operation: BIS-Monitor gegen Wachzustand (15.4.04)
->   Zuckermolekül für Betäubung ohne Nebenwirkung (16.1.02)
 
 
 
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01.01.2010