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Wie funktionieren die "Images" von Städten?  
  Internationale Großstädte gelten als kulturelle Zentren, die ein eigenständiges und jeweils typisches Ensemble aufweisen. Wie aber funktionieren Images von Städten? Wie wurde Wien zur "Stadt der Musik" und Paris zur "Stadt der Mode"? Den Schnittstellen zwischen Kultur und Ökonomie spürte eine Tagung am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien nach.  
Städte, Images, Ökonomie

Wer sich in verschiedenen Großstädten bewegt, wird wahrscheinlich feststellen, dass sie sich immer ähnlicher werden: Flughäfen, Bahnhöfe, Stadtzentren, Einkaufszentren, Hotels und Restaurants schauen weltweit gleich aus.
Tod der historischen und modernen Stadt?
Dieser Befund kann Pessimisten zur Annahme führen, dass der postromantische, d.h. massenhaft gewordene Tourismus homogenisierte Konsum- und Wahrnehmungsräume quer über den Globus erzeugt und zum Tod der modernen wie der historischen Stadt führt.
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Informationen zur Tagung am IFK
Wie funktionieren Images von Städten? Wie wurde beispielsweise Wien zur "Stadt der Musik" und Paris zur "Stadt der Mode"? Nach den Schnittstellen zwischen Kultur und Ökonomie fragte eine Tagung am IFK, die unter dem Titel "Kulturelle Ökonomien als 'Geschmackslandschaften' - Figurationen der europäischen Städtekonkurrenz" am 18. und 19. Juni 2004 in Wien stattfand.
->   Programm und Abstracts (IFK)
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Verbindung zu typischen Ensembles
Parallel dazu gelten Großstädte nach wie vor als Zentren der kulturellen wie der wirtschaftlichen Produktion - als Orte, an denen sich Lebensstile, Geschmäcker und "Trends" mit avancierten Formen der Güterproduktion und des Finanzkapitals zu je typischen Ensembles verbinden:

Wien - die Stadt der Musik! Paris - die Stadt der Mode und der Eleganz! Dabei bleibt Kultur aber zumeist als eine Sphäre des Erhabenen vom Wirtschaftsleben unterschieden - wenn sie sich nicht gar als Gegenkraft gegen die industrielle Produktion und die (spekulative) Vermehrung des Kapitals zu definieren versucht.
Die neue Rolle der Kultur
In der gegenwärtigen Debatte um die Sichtbarmachung von Städten - so die beiden Stadtforscher Rolf Lindner (Humboldt-Universität zu Berlin) und Lutz Musner (IFK, Wien) - gewinnt Kultur eine neue und konstitutive Rolle.

Kultur ist nicht länger bloß "Dekor" oder "Zusatznutzen" im Kontext einer auf Attraktion von Investoren und Touristen zielenden städtischen Kulturpolitik, sondern wird tendenziell zur Basis der postindustriellen Ökonomie sowohl in materieller wie symbolischer Hinsicht.
Städte und ihre "Geschmackslandschaften"
Bei der gegenwärtigen Neuordnung europäischer Großstädte scheinen daher nicht nur ökonomische, infrastrukturelle und technischen Faktoren im engeren Sinne eine Rolle zu spielen, sondern auch weiche, kulturelle Faktoren, die man unter den Begriff "Geschmackslandschaften" subsumieren könnte.

Dieser Begriff zielt analytisch auf ortseigensinnige Dispositionen, Vorlieben, Wertorientierungen, d. h. auf ein distinktes, einer Stadt eingeschriebenes, zumeist historisch gewachsenes Ensemble von Geschmacksorientierungen, Lebensstilen, ästhetischen Präferenzen, Konventionen und Routinen, das die Singularität eben dieser Stadt ausmacht.
Keine beliebig befüllbaren "Behälter"
In dieser Perspektive sind Städte eben nicht beliebig befüllbare "Behälter" willkürlich vorgenommener Mischungen von Mehrwert und Symbolwert, Produktion und Reproduktion, Konsum und Ästhetik, wie dies in manchen Globalisierungsdiskursen behauptet wird, sondern kulturgeographisch spezifische Einheiten.

Städte haben also - metaphorisch gesprochen - ein biographisches Eigenleben, einen Charakter, ein bestimmtes "feeling" und "looking" und manchmal sogar einen bestimmten Geruch.
Erfahrbar durch den urbanen Alltag
Sie sind durch einen spezifischen Habitus gekennzeichnet, in dem sich die historischen Erfahrungen und seine kollektiven Gedächtnisse kondensieren; dieser Habitus ist nicht unmittelbar, sondern nur vermittelt durch die Praktiken des jeweiligen urbanen Alltags erfahr- und beschreibbar.
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Stereotype Zuordnungen - kollektive Erfahrungsprozesse
Von dieser Annahme ausgehend, könnte man London einen popkulturellen Swing, Wien einen opern- und operettenhaften Gestus, Paris einen Sinn für Stil und intellektuellen Avantgardismus, Berlin einen Hang zur spitzen Alltagsrhetorik und Hamburg eine steif-bürgerliche Attitüde zuweisen. So sehr diese Zuordnungen problematisch weil stereotyp sind, so verweisen sie offenbar doch zugleich auf ein distinktes Ambiente, auf kollektive Lern- und Erfahrungsprozesse der BewohnerInnen.
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Ausdruck kultureller Kapitalien
Geschmackslandschaften bringen - so die These - die kulturellen Kapitalien einer Stadt, d.h. je spezifische Verkoppelungen von Geschichte und Gegenwart, von Elitären und Popularen, von Imagination und Alltag und von Geschmack und Lebenswelt zum Ausdruck.
Nur Paris und L.A., oder auch Moskau und Budapest?
Diese Wechselwirkungen von Symbolischem und Realem prägen den Charakter eines Ortes als einer eigenständigen Konfiguration, sie befördern bestimmte ökonomische "Standortvorteile" und Produkttypen, während sie andere verunmöglichen.

Die Eigensinnigkeiten urbaner Biographie und Kultur, die gleichermaßen Stadtimages wie Wertschöpfungen beeinflussen, gelten nicht nur für die üblichen Referenzstädte wie Paris und Los Angeles (Allen Scott), sondern - so ist zu vermuten - auch für mittel- und osteuropäische Städte, die an ihre durch die Planwirtschaft unterbrochene Geschichte wieder anknüpfen und traditionelle kulturelle Ökonomien neu beleben oder neue, ihnen angemessen erscheinende etablieren.

Aus dieser Dynamik geht eine spezifische Figuration der europäischen Städtekonkurrenz hervor.
->   IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften
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01.01.2010