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Gleichstellung: Ostdeutsche Frauen vor und nach der Wende  
  In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) verfügten Frauen über vergleichsweise "moderne" Lebensbedingungen - etwa flachere Geschlechterhierarchien im Berufsleben. Doch schon zu dieser Zeit war die Geschlechterasymmetrie nicht wirklich aufgehoben. Am Beispiel der Situation an den ostdeutschen Unis zeichnen die beiden Hochschulforscherinnen Anke Burkhardt und Uta Schlegel in einem Gastbeitrag die Auswirkungen der Wende nach, die zu einer erneuten Benachteiligung der Frauen führte.  
Frauenpolitik der DDR: Gleichheit nach männlichem Muster
Von Anke Burkhardt und Uta Schlegel

Angestrebt wurde vorrangig die "Anhebung" weiblicher auf männliche Lebenszusammenhänge. Familien- und Sozialpolitik war daher ausschließlich an Frauen adressiert; und die Ziele der drei historischen Phasen der DDR-Frauenpolitik richteten sich auf: die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt, ihre Qualifizierung, die Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft.
Durchsetzung von oben nach unten
Frauen waren Objekt von Politik, aber an den - selbst historisch progressiven - Weichenstellungen (wie Gesetz über den selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch) als Akteurinnen nicht beteiligt.

Einen öffentlichen Diskurs zu den Geschlechterverhältnissen und eine Frauenbewegung hat es nicht gegeben, was zu einer (teilweise bis heute nachwirkenden) Unsensibilität gegenüber eigener struktureller Benachteiligung qua Geschlecht führte.
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Der Text basiert auf dem Beitrag der Autorinnen "Frauen an ostdeutschen Hochschulen - in den gleichstellungspolitischen Koordinaten vor und nach der 'Wende'" für die Internationale Konferenz "Women's Movement and Feminism(s) in Central-, Eastern and Southeastern Europe" am 3./4.6.2004 in Wien. Der vollständige Artikel ist in "L'Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft" (Bd. 15, 2004, Seiten 1-22) erschienen.
->   "L'Homme"
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Mit Gleichstellungsvorsprung in die Wiedervereinigung
Trotzdem verfügten ostdeutsche Frauen über vergleichsweise "moderne" Lebensbedingungen wie: flachere Geschlechterhierarchie, den Männern vergleichbares Qualifikations- und Beschäftigungsniveau, bedarfsgerechte Kinderbetreuungseinrichtungen.

Typisch für die weibliche "Normalbiografie" der DDR-Frau ab Anfang der 1970er Jahre waren: über die Lebensspanne kontinuierliche (Vollzeit-)Erwerbsarbeit ohne längere "Familienpause", relativ schnelles Erreichen ökonomischer Selbstständigkeit sowie frühe Familiengründung, hoher Anteil und breite gesellschaftliche Akzeptanz der allein erziehenden erwerbstätigen Mutter, historische Ausmusterung des kulturellen Musters der Hausfrau und der Hausfrauenehe sowie weibliches Selbstverständnis abgeleitet von sich selbst - nicht vom Status des Ehemannes, vergleichsweise hohe Scheidungsraten.

Das Lebensmuster der DDR-Frauen war ganz überwiegend charakterisiert von einer "ökonomischen und reproduktiven Autonomie".
Geschlechterasymmetrie nicht aufgehoben
Allerdings gab es auch in der DDR evidente Merkmale traditioneller bzw. systemimmanenter struktureller Benachteiligungen der Frauen gegenüber Männern: etwa geschlechtstypische Berufsfelder und (damit) niedrigeres Einkommen; mit höherer Hierarchie in Arbeitsmarkt, Wissenschaft, Politik usw. sinkender Frauenanteil; Zuschreibung von Familien-/Erziehungsaufgaben an Frauen und relativ unveränderte Männerrolle sowie deutlich niedrigerer Freizeitumfang.
Beispiel DDR-Hochschulen
Das Hochschulwesen stellte ein grade zu klassisches Beispiel für tradierte androzentrische Strukturen dar.

Während sich der Hochschulzugang durch Geschlechterparität auszeichnete, und Frauen knapp zwei Fünftel der Doktorand/-innen stellten, blieb der Erwerb des zweiten aufstiegsrelevanten Qualifikationsnachweises (Promotion B/Habilitation) überwiegend Männersache.

In der Gruppe der Hochschullehrerinnen waren Frauen eindeutig in der Minderheit (1989 neun Prozent), auf der obersten Leitungsebene stellten sie mit einem Anteil von zwei bis drei Prozent eine Rarität dar.
Hochschulfrauen zwischen Wendelust ...
Frauen wie Männer erlebten den gesellschaftlichen Umbruch mehrheitlich als Befreiung der Wissenschaft von einengenden ideologischen Dogmen und (partei)politischer Einflussnahme. Angesichts der "schönen neuen Welt" selbstbestimmter wissenschaftlicher Tätigkeit, die greifbar nahe schien, überwogen Hoffnung und Euphorie.

Frauen engagierten sich auf der Grundlage des Erreichten für das Neue, das ihnen mehr Chancen als Risiken zu bieten schien.

Gleichberechtigung galt als (kaum hinterfragte) Selbstverständlichkeit. Einer Frauensonderförderung, speziell über Quotierung, stand man äußerst kritisch gegenüber. Besitzstandswahrung spielte - ungeachtet der Warnungen westdeutscher Wissenschaftlerinnen - kaum eine Rolle in der Erneuerungsdebatte.
... und Wendefrust
Dabei wurde übersehen oder verdrängt, dass es für die neuen Freiheiten und Chancen auch einen Preis zu zahlen galt. Der regionale, institutionelle und fachliche Umbau der ostdeutschen Hochschullandschaft nach westdeutschem Muster und der politisch bedingte Elitenwechsel ging mit Stellenabbau und Arbeitsplatzverlust einher.

Die Reduzierung betraf insbesondere Wissenschaftsgebiete und Beschäftigtengruppen, in denen Frauen überproportional vertreten waren. Die vor und nach der Wende männlich dominierte Professorenschaft blieb in ihrer Größenordnung dagegen weitgehend unberührt.

Die für das DDR-Hochschulwesen typische Planbarkeit des Berufslebens und die Garantie eines lückenlosen (unbefristeten) Beschäftigungsverhältnisses als Wissenschaftler/-in mit relativ vorhersehbaren Aufstiegschancen wurden durch ein risikobehaftetes, männlich geprägtes Karrieremodell und eine hierarchische Abgrenzung wissenschaftlicher Handlungsfreiräume ersetzt.
Das Hochschulerneuerungsprogramm (HEP)
Im Zeitraum 1991 bis 1996 stellten Bund und Länder 2,4 Mrd. DM im Rahmen eines Förderprogramms zur Unterstützung der ostdeutschen Hochschulerneuerung bereit. Während für die meisten Förderschwerpunkte ein konkretes Mittelvolumen festgeschrieben wurde, beließ man es in puncto Frauenförderung bei einer unverbindlichen Soll-Bestimmung und fiel damit hinter den in den alten Bundesländern bereits erreichten Standard zurück.

Die Ergebnisbilanz sah dann auch eindeutig aus: Neun von zehn über das HEP finanzierten Gründungsprofessuren/-rektorenposten wurden von Männern wahrgenommen (1994). Die in allen neuen Bundesländern gebildeten Hochschulstrukturkommissionen wiesen sogar nur einen dreiprozentigen Frauenanteil auf (1992).
Fortschreiben tradierte Geschlechterstrukturen
Kennzeichnend für die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung waren rechtliche Sonderregelungen und eine Stärkung der zentralen staatlichen Entscheidungskompetenz, was die Durchsetzung politischer Zielstellungen im Interesse einer möglichst zügigen und reibungslosen ostdeutschen Anpassung erleichterte.

Für den Wissenschaftsbereich traf dies nur bedingt zu. Die Berufung auf eine Professur trug weiterhin den Charakter einer hochschulinternen Einzelfallentscheidung, die in der Regel zu Gunsten eines Mannes fiel.

Dabei hätte mit der staatlichen Festlegung einer Frauenquote bzw. der Einführung diesbezüglicher Sanktionen/Anreize angesichts der nahezu flächendeckenden Stellenneubesetzung ein spürbarer und nachhaltiger Schritt in Richtung einer geschlechtergerechten Zusammensetzung der Professorenschaft vollzogen werden können.
Anpassung mit Abweichungen
Die Segregation der Studienfachwahl nach Geschlecht hat sich nach 1989 ausgeprägt. Ob Ost oder West - das Ingenieurstudium scheint Männersache zu sein, das Studium der Kultur- und Sprachwissenschaften dagegen eine Frauendomäne.

Auch in Bezug auf Promotionen und Habilitationen werden bundesweit inzwischen relativ einheitliche Frauenanteile registriert. Professorinnen sind jedoch in den neuen Bundesländern nach wie vor stärker vertreten als im Westteil Deutschlands.

Die für DDR-Frauen typische Kombination von wissenschaftlicher Karriere und Verwirklichung des Kinderwunsches rückt zunehmend ins Abseits, ist aber immer noch ein prägnantes Unterscheidungsmerkmal. Während in Westdeutschland nur gut die Hälfte der Akademikerinnen Kind/er hat (2001 58 Prozent), sind es in Ostdeutschland 83 Prozent. (Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln)
Wunsch nach Vereinbarkeit Beruf - Familie ungebrochen
Das von der Mehrheit der DDR-Frauen vertretene (und von Männern akzeptierte) Gleichstellungsmodell wirkt bis heute nach und wird offensichtlich an die nachwachsende Generation weitergegeben.

Insbesondere leistungsstarke weibliche Jugendliche sind in hohem Maße entschlossen, ihr Ausbildungs- und Berufsziel zu verwirklichen, auch wenn dies gleichbedeutend mit Ortswechsel und Zurückstellung der Familiengründung ist.

Die Abwanderungswelle in Richtung alte Bundesländer, die bessere Zukunftschancen bieten, hat sich inzwischen zu einem ernsthaften demographischen Problem entwickelt.
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Informationen zu den Autorinnen
Anke Burkhardt ist seit 30 Jahren als Hochschulforscherin tätig und hat sich nach der politischen Wende in der DDR insbesondere mit Fragen der Hochschulreform und ihrer gleichstellungspolitischen Dimension beschäftigt. Derzeit nimmt sie die Funktion der Stellvertretenden Direktorin des Instituts für Hochschulforschung Wittenberg an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wahr. 2002 wurde sie in die EU-Expertinnengruppe ENWISE "Enlarge Women in Science to East" berufen.

Uta Schlegel gehört zu den wenigen DDR-Aktivistinnen der Frauen- und Geschlechterforschung. Im Anschluss an ihre langjährige Tätigkeit am Zentralinstitut für Jugendforschung in Leipzig übernahm sie in der "Kommission zur Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern" (KSPW) die Leitung des Forschungsschwerpunktes "Individuelle Verarbeitung von ostdeutschen Transformationsprozessen". Seit 2001 beschäftigt sie sich am Institut für Hochschulforschung Wittenberg mit Programmen zur Unterstützung der wissenschaftlichen Karriere von Frauen im Hochschulbereich.
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->   Anke Burkhardt (Institut für Hochschulforschung Wittenberg)
->   Uta Schlegel (Institut für Hochschulforschung Wittenberg)
->   ENWISE
 
 
 
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01.01.2010