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"Biotech-Ängste": Woher die Skepsis kommt  
  Seit es die Wissenschaften gibt, lösen sie nicht überall Begeisterung aus. Besondere Erwartungen erwecken die Biotechnologien, zugleich lösen sie bei vielen Menschen aber auch Ängste aus. Italienische Soziologen haben nun die Ursachen dieses Phänomens untersucht. Nicht so sehr an Information fehle es, sondern am Erscheinungsbild der Wissenschaft selbst - und v.a. an den Möglichkeiten politischer Beteiligung.  
Gemeinhin, so Massimiano Bucchi von der Universität Trento und sein Kollege Federico Neresini aus Padua in der aktuellen Ausgabe von "Science", werde oft eine prinzipielle Skepsis gegenüber den Wissenschaften für die "Feindlichkeit gegen Biotech" verantwortlich gemacht.

Dies aber entspreche nicht der Wahrheit: Die Menschen wissen mehr zu differenzieren, als man das oft wahrhaben will.
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Der Artikel "Why are people hostile to biotechnologies?" ist in "Science" (Bd. 304, S. 1749, Ausgabe vom 18. Juni 2004) erschienen.
->   "Science"
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Mehr Info heißt nicht mehr Vertrauen
Ein weiteres gerne verwendetes Argument liegt in mangelnder Information: Wer besser informiert ist, werde sich den Segnungen der Biotechnologie eher öffnen, so das Argument.

Stimmt nicht, sagen nun die beiden italienischen Soziologen. Ein Mehr an Information führt nicht automatisch zu einem größeren Vertrauen in die Lebenswissenschaften.
Unterschiede zwischen Grüner und Roter Gentechnik
Ihre Schlüsse basieren auf einer repräsentativen Umfrage der italienischen Bevölkerung, die sie im Jahr 2003 durchgeführt haben. Dabei zeigte sich eine auch in anderen Studien immer wieder festgestellte Unterscheidung zwischen biotechnologischen Anwendungen in der Landwirtschaft und in der Medizin.

Während sich bei der ersten, der "Grünen Gentechnik" 57 Prozent für eine Fortführung der Forschung aussprachen, sind es bei der zweiten, der "Roten Gentechnik" 84 Prozent.
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Entspricht früheren Studien
Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Eurobarometerstudie 2003. Helge Torgersen vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichische Akademie der Wissenschaften fasste sie für science.ORF.at zusammen.
->   Helge Torgersen: Europaweite Umfrage zur Biotechnologie (28.3.03)
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Forscher sind "vertrauenswürdigste Quelle", ...
Dass es nicht an einer prinzipiellen "Wissenschaftsfeindlichkeit" liegt, beweise auch der Umstand, dass 39 Prozent der Befragten eben die Forscher als vertrauenswürdigste Quelle für Informationen in Sachen Biotechnologie angaben - mit Abstand die größte Gruppe der zur Auswahl Stehenden.
... aber auch parteilich und zerstritten
Ihre Unparteilichkeit wird allerdings massiv bezweifelt: Mehr als zwei Drittel betrachten die Wissenschaften als "voll eigener Interessen".

Und auch was die Einigkeit der Zunft an sich betrifft, herrscht Zweifel. 68 Prozent glauben, dass innerhalb der scientific community über Sinn und Unsinn gentechnisch modifizierter Organismen gestritten wird, gar 83 Prozent nehmen dies in der Frage des Klonens an.

Die Befragten, die von dieser Konfliktträchtigkeit der Forscher ausgehen, waren insgesamt skeptischer bezüglich biotechnologischer Anwendungen als die anderen.
Entscheidungen: Beteiligung "aller Bürger" erwünscht
Bei der Frage nach konkreten Entscheidungsprozessen wird auf politische Partizipation gesetzt: Jeder fünfte gab an, dass die Zukunft von Biotechnologien eine Sache von "allen Bürgern" sei, während nur ein Zehntel die Verantwortung einzig den Wissenschaftler zuerkennen wollte.

Detail am Rande: Je skeptischer die Einstellung prinzipiell gegenüber den Biotechnologien ist, desto größer war der Wunsch nach allgemeiner Bürgerbeteiligung bei Entscheidungen.
Krise von Expertise, Entscheidung und Repräsentation
Bucchi und Neresini interpretieren ihre Studienresultate dahingehend, dass es eine Krise im Dreieck von wissenschaftlicher Expertise, Entscheidungsprozessen und politischer Repräsentation gebe.

Weder sei der "elitäre Weg" gangbar, der einzig den Experten das Feld überlässt, noch der "utopische Ansatz", demzufolge "alle Bürger zu Experten" werden könnten. Die Wissenschaft werde zudem zunehmend als ein Bereich gesehen, in dem eher Unsicherheit als Sicherheit genährt würde.
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Beteiligung der Öffentlichkeit
Claire Marris, Molekularbiologin und Soziologin, machte bei einem Ö1-Symposion im November '01 Vorschläge, wie die Öffentlichkeit in Sachen Biotechnologie effektiv an einer Diskussion beteiligt werden könnte.
->   Mythen und Fakten: Volksmeinung zur Biotechnologie (30.11.01)
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Medien keine Sündenböcke
Welche Rolle die Medien dabei spielen, sollen künftige Studien klären. Zwar trügen sie zweifellos entscheidend dazu bei, indem sie komplexe Sachverhalte zu einfachen Dingen reduzierten, als "Sündenböcke" herzuhalten, wäre aber zu einfach.

Ihre in "Science" vorgestellt Studie wurde von der Giannino Bassetti Foundation und von der Kulturorganisation Observa finanziert.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Fakultät für Soziologie, Universität Trento
->   Giannino Bassetti Foundation
->   "Observa - Science and Society" CulturalAssociation
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Von Massimiano Bucchi ist im Verlag Routledge 2004 das Buch "Science In Society: An Introduction to Social Studies of Science" erschienen.
->   Mehr über das Buch
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Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Albert Karsai: Sicherheitsbewertung von Gentech-Lebensmitteln (16.2.04)
->   Kritik an Europas Anti-Gentechnik-Haltung (12.9.03)
->   Bessere Aussichten für die "grüne Gentechnik"? (14.5.03)
->   Franz Seifert: Biotechnologie und Öffentlichkeit (13.12.01)
 
 
 
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01.01.2010