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Modernes Gehör: Schon vor 350.000 Jahren entstanden  
  Das menschliche Gehör unterscheidet sich von dem der meisten anderen Primaten durch eine vergleichsweise hohe Sensitivität in Frequenzbereichen, die wichtig sind für akustische Informationen der gesprochenen Sprache. Glaubt man nun einem spanischen Forscherteam, so haben die Vorfahren des Menschen jenen Wechsel zum "modernen Gehör" bereits vor mindestens 350.000 Jahren vollzogen.  
Das Team um Ignacio Martinez von der Universidad de Alcala untersuchten für ihre Studie die fossilen Überreste von fünf Hominiden aus dem Mittleren Pleistozän. Die Knochenfunde haben Analysen zufolge ein Alter von mehr als 350.000 Jahren.
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Die Studie erscheint zwischen 21. und 25. Juni 2004 unter dem Titel "Auditory capacities in Middle Pleistocene humans from the Sierra de Atapuerca in Spain" als Online-Vorabpublikation in der "Early Edition" der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (doi:10.1073/pnas.0403595101).
->   PNAS Early Edition
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Einblick über die Sinne
"Kenntnisse über die sensorischen Fähigkeiten von vergangenen Lebensformen könnten unser Verständnis von Anpassungen und Lebenswegen ausgestorbener Organismen in hohem Grade verbessern", leiten die Forscher ihren Artikel in den "PNAS" ein.

Von jenen "ausgestorbenen Organismen" - vor allem auch den verschiedenen Vorfahren des Homo sapiens - ist heute allerdings nicht mehr viel übrig. Lediglich die unterschiedlichen Knochenfunde bleiben der Wissenschaft.
Knochenstrukturen enthüllen Hörvermögen
Bild: Javier Trueba
Diese aber sind für die Analyse des Hörvermögens jener lange verstorbenen Urahnen des Menschen recht gut geeignet:

Was nämlich die Sinne angeht, ist gerade das Gehör über Fossilien recht gut zugänglich, wie die Forscher berichten. "Denn es basiert hauptsächlich auf physischen Eigenschaften, die durch ihre skelettale Struktur zugänglich sind."

Das Forscherteam nahm also mithilfe der Computertomografie (CT) die Knochenreste von fünf unterschiedlichen Individuen unter die Lupe, die allesamt vor mehr als 350.000 Jahren in der Region um das Dorf Atapuerca im heutigen Spanien gelebt haben.

Rechts im Bild: Schädel Nummer 5 von der Ausgrabungsstätte Sima de los Huesos in der Sierra de Atapuerca.
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Atapuerca und die ersten Europäer
Der Entdeckungen menschlicher Fossilien im nordspanischen Atapuerca führte zu einer Neubewertung der Abstammung des Menschen, insbesondere der ersten Europäer. Aus der Analyse jener Funde und Ergebnisse entstand ein neues Evolutionsmodell mit keinem geringeren Anspruch als dem, die Rätsel unserers Ursprunges klären zu wollen.
->   Serie: Atapuerca und die ersten Europäer (Teil 1 bis 3)
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Gehör: Mensch kontra Affe
Bild: Javier Trueba
Von den Forschern analysierte, rund 350.000 Jahre alte Mittelohrknochen (Malleus, Incus and Stapes).
Das menschliche Gehör, so berichten die Forscher in ihrer Studie, unterscheidet sich von dem der Schimpansen - genetisch betrachtet immerhin unsere nächsten Verwandten im Tierreich - dadurch, dass es vergleichsweise empfindlich auf Töne im Frequenzbereich von zwei bis vier kHz reagiert.

Diese Region enthalte in der gesprochenen Sprache relevante akustische Informationen, so die Wissenschaftler.

Dagegen könnten Schimpansen zwar auch Töne in jenem Bereich wahrnehmen, ihr Gehör sei jedoch weit besser gerüstet für Laute um ein kHz sowie acht kHz. Artspezifische Rufe, die wilden Schimpansen zur Kommunikation dienen, konzentrieren demnach die akustische Information tatsächlich im Bereicht von einem kHz.
Ergebnis: Sehr ähnliches Hörvermögen
Bild: PNAS
Das Ergebnis der an den Knochen durchgeführten CT-Analysen: Jene prähistorischen Hominiden verfügten bereits - vor mehr als 350.000 Jahren - über ein Hörvermögen, das jenem des modernen Menschen sehr ähnlich und den Berechnungen zufolge im Bereich von drei bis fünf kHz vergleichsweise empfindlich war.

"Unsere Analyse zeigt, dass die Skelett-Anatomie des äußeren und des Mittelohrs der Hominiden mit einem menschlichen Lautübertragungsmuster kompatibel ist und sich im kritischen Bereich von etwa vier kHz klar von den Schimpansen unterscheidet", heißt es dazu in der Studie.

Rechts im Bild: Eine auf Computertomografien basierende 3D-Rekonstruktion der Gehörgänge von drei der fünf untersuchten Knochenfunde bzw. Hominiden. Im Hintergrund zu sehen ist ein von der gleichen Fundstelle stammender Schädel.
Keine direkten Verwandten - Gehör noch älter?
Dabei handelt es sich um Hominiden, die nicht einmal direkt mit dem Homo sapiens verwandt sind. Sie gehören vielmehr zur Spezies des Homo heidelbergensis und stehen nach Angaben der spanischen Wissenschaftler dem Neandertaler sehr viel näher.

Der theoretische Schluss: "Da die untersuchten Hominiden nicht in der direkten evolutionären Linie stehen, die zu unserer eigenen Spezies führte, sondern einen Teil der Neandertaler-Abstammungslinie bilden, ist es denkbar, dass diese Bedingung bereits beim letzten gemeinsamen Vorfahren von modernen Menschen und Neandertalern vorhanden war."

Der aber lebte DNA-Analysen zufolge vor mindestens 500.000 Jahren, wie die Wissenschaftler schreiben.
->   Departamento de Geologia der Universidad de Alcala
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01.01.2010