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Mozart ist leichter "verständlich" als Schönberg  
  Musikliebhaber kennen das: Edle Klänge können einen richtiggehend "ansprechen". Ein argentinischer Physiker ist diesen "Bedeutungen der Musik" nun mit Hilfe der Statistik nachgegangen. Ihm zufolge verhalten sich häufig verwendete Wörter der Sprache wie die Noten eines Musikstücks. Und das macht es leichter, den Sinn von Mozart oder Beethoven zu "verstehen" als etwa jenen von Schönberg.  
Was aufs erste Hinhören für Viele eine Binsenweisheit ist, hat der Physiker Damian Zanette vom Instituto Balseiro in Argentinien mittels mathematischer Analyse exakt erforscht. Seiner Ansicht nach folgen die Wörter eines literarischen Textes den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie die Noten der Musik. Zwischen tonalen Kompositionen, die in einer bestimmten Tonart geschrieben sind, und atonalen bestehe ein grundlegender semantischer Unterschied.
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Die Studie von Damian Zanette ist unter dem Titel "Zipf's law and the creation of musical context" am Preprint-Server "arXiv.org" erschienen.
->   Die Studie
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Gesetzmäßigkeit verwendeter Wörter
Gleichgültig ob in der gesprochenen oder in der geschriebenen Sprache gehorcht die Häufigkeit der verwendeten Wörter bestimmten Mustern. Deren Gesetzmäßigkeit hat der amerikanische Linguist George Kingsley Zipf bereits in den 1930er Jahren erhellt.

Nach dem Zipfschen Gesetz korrelieren Häufigkeit eines verwendeten Wortes mit dem Rang ihrer Häufigkeit. Das zweithäufigste Wort kommt etwa halb so oft vor wie das häufigste, das dritthäufigste ein Drittel mal so oft etc.
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Zipfsches Gesetz
Weitere Beispiele für das Zipfsche Gesetz sind Einwohnerzahlen von Städten eines Gebietes und ihr Rang oder die Einkommen und deren Rang ("Pareto"-Verteilung). Auch die Häufigkeit von DNA-Subsequenzen in Genomen und deren Rang folgt einem ähnlichen Zusammenhang.
->   Das Zipfsche Gesetz (Wikipedia)
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Voranschreitender Text schafft Bedeutungskontext
Der Ökonom und Soziologe Herbert Simon lieferte später eine Erklärung für diese mathematischen Beziehungen. Sein Argument: Jeder Text schafft einen Kontext an Bedeutung, innerhalb dessen die Wahrscheinlichkeit mancher Worte steigt und anderer abnimmt. Im weiteren Verlauf dieser Zeilen, die Sie gerade lesen, ist es z.B. wahrscheinlicher auf das Wort "Mozart" zu treffen als auf das Wort "Schockemöhle".

Damian Zanette hat diesen Gedanken nun auf die Musik übertragen - und überprüft, ob auch Musikstücke einen derartigen semantischen Kontext bilden.
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Mozart, Bach, Debussy und Schönberg
Konkret analysierte vier Kompositionen: die Prelude Nr. 6 in d von Johann Sebastian Bach, die Sonate in C (K545) von Wolfgang Amadeus Mozart, das Menuett aus der Suite bergamasque von Jean-Claude Debussy und die drei Klavierstücke op. 11 von Arnold Schönberg.
->   Alle Musikstücke als midi-Files
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Noten verhalten sich wie Wörter
Zanette maß die Häufigkeit der Noten jedes der Kompositionen sowie ihre Tonhöhe und -länge und korrelierte dies mit dem Rang ihrer Häufigkeit. Das Ergebnis: Bei allen vier Beispielen zeigte sich eine Verteilung, die jenem von Texten entspricht. Die Stärke dieses Zusammenhanges war aber sehr unterschiedlich.
Schönberg mit weniger "sinnvollem Kontext"
 


V entspricht der Anzahl verschiedener verwendeter Noten, sozusagen der "Umfang des Lexikons", T der Gesamtanzahl aller verwendeter Noten, die "Textlänge"

Die Stücke von Bach, Mozart und Debussy ergaben einen relativ steilen Graphen - also einen besonders starken Zusammenhang von Rang und Häufigkeit und insofern ein hohes Maß an "sinnvollem Kontext". Mit anderen Worten: Wer sich das Musikstück anhört, hat eine relativ gute Chance zu erraten, wie sie weitergeht. Musikstücke aus dem Bereich Jazz haben zu ähnlichen Resultaten geführt.

Bei Schönberg hat sich - wie zu sehen - ein weit flacherer Graph ergeben (siehe die Werte auf der - anders normierten - y-Achse). D.h., dass seine Musik kaum über ein "Vokabular an häufig verwendeten Worten" verfügt, das sich wiederholt. Sein Umfang wächst in etwa der gleichen Weise an wie die Länge des Stückes, neue "Wörter" kommen hinzu, die alten werden selten wiederholt.
Atonales ist schwieriger, ...
Obwohl alle vier Klavierstücke also über textähnliche Eigenschaften verfügen, besitzt die atonale Musik Schönbergs weniger Struktur und weniger Kontext - die Vorhersagbarkeit des Zuhörers ist bei ihm weit geringer.

Und das, so Zanette, gebe einen Hinweis darauf, warum viele Menschen Schwierigkeiten mit atonaler Musik haben. Es liege nicht einzig daran, dass die melodischen und harmonischen Strukturen ungewohnt sind, sondern weil die Bedeutung und der Kontext der Stücke permanent wechseln.
... kann aber auch genossen werden
"Das heißt nicht, dass Schönbergs Musik unverständlich ist", schwächt Zanette in der Online-Ausgabe von "Nature" ab. Die Sprache eines Komponisten setze sich nicht nur aus Notenabfolge zusammen, sondern auch aus Rhythmen und anderen Elementen. Um auch Atonalität zu genießen, sollten wir nach "Kohärenz verschiedener Aspekte der Komposition suchen", Zanettes Ratschlag.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Instituto Balseiro
->   Bibliografie zum Zipfschen Gesetz
->   "Nature"
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Warum Musik glücklich macht (21.5.04)
->   Warum falsche Noten schmerzen: Hirn auf Tonalität getrimmt (12.12.02)
->   Musikalität - ein Produkt der Evolution? (23.9.02)
 
 
 
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01.01.2010