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Virenspezifische "Andockstellen" im Genom  
  Retroviren gehören zu den Lieblingskandidaten für Gentherapien: Die Viren integrieren sich mitsamt ihrer therapeutischen Fracht in die DNA des jeweiligen Patienten, um sich zu replizieren. Doch an welcher Stelle im Genom sie sich einfügen, wurde bislang kaum untersucht. Dabei kann dieses Faktum entscheidend für Erfolg oder Misserfolg der Behandlung sein. Landen die Viren etwa zu nah an einem "Krebsgen", drohen unerwünschte Folgen. US-Forscher haben nun drei Retroviren untersucht - und konnten ganz unterschiedliche "Vorlieben" feststellen.  
Die Ergebnisse der Forscher um Rick Mitchell von der University of Pennsylvania School of Medicine sind im "Open Access"-Journal "Public Library of Science (PloS) Biology" erschienen.
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Die Studie von Rick Mitchell et al. ist unter dem Titel "Retroviral DNA Integration: ASLV, HIV, and MLV Show Distinct Target Site Preferences" in "PLoS Biology", Ausgabe vom August 2004, erschienen.
->   Die Studie in "PLoS Biology"
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Gentherapie als Hoffnungsträger
Ganz unterschiedliche Erkrankungen wie etwa Krebs, Diabetes oder Zystische Fibrose verfügen über eine genetische Komponente.

Diese Tatsache hat die so genannte Gentherapie zum Hoffnungsträger gemacht: Damit sollte es möglich sein, die "falschen" Erbfaktoren durch ihre gesunden Gegenstücke zu ersetzen - und so schwerste Erkrankungen zu heilen.
Ernüchterung nach Krebserkrankungen
Doch nach ersten Jubelmeldungen kam die Ernüchterung: Im September 1999 starb in den USA der 18-jährige Jesse Gelsinger, bei dem ein Stoffwechselleiden gentherapeutisch behandelt worden war. Er erlag einer Immunreaktion auf das Schnupfenvirus, das das korrigierende Gen in seine Leberzellen schleusen sollte.

In zwei weiteren Fällen führte die Gentherapie zu schweren Nebenwirkungen: Zwei französische Buben, die an einem angeborenen, schweren Immun-Defizit litten, erkrankten rund drei Jahre nach der Behandlung an Krebs.
Retrovirus an falscher Stelle gelandet
In letzterem Fall hatte sich das als "Genfähre" verwendete Retrovirus im Erbgut der Kinder an der falschen Stelle eingebaut. Es landete zu nahe an einem so genannten Onkogen, das die Krebserkrankung laut Folgestudien auslöste.
->   Mehr dazu: Studie - Gentherapie verursachte Krebs (23.10.03)
Studie: Drei Viren im Blickpunkt
Wie dieses Beispiel zeigt, spielt der genaue Ort im Genom, an dem sich der jeweilige virale Vektor eingliedert, eine wichtige Rolle bei der Sicherheit und Effektivität von Gentherapien.

Das US-Forscherteam hat sich nun drei verschiedene Retroviren - darunter auch jenes, das im Rahmen der französischen Gentherapie verwendet wurde - genauer angesehen und ihre jeweiligen "Vorlieben" für bestimmte Abschnitte des Genoms analysiert.
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Die drei untersuchten Retroviren: HIV, MLV und ASLV
Die Forscher untersuchten so genannte Vektoren oder "Genfähren", die aus dem als AIDS-Erreger bekannten HIV, aus dem murine leukimia virus (MLV) - dieses kam beispielsweise bei der französischen Studie zum Einsatz, in deren Folge die beiden Buben an Krebs erkrankten - sowie dem avian sarcoma-leukosis virus (ASLV) gewonnen worden waren.
->   Informationen zu Retroviren in wikipedia.org
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Präferenz für unterschiedliche Ziele
Die Forscher spürten insgesamt 3.127 Stellen im menschlichen Genom auf, an denen sich die drei Viren typischerweise einbauen. Dabei jedoch zeigten sich deutliche Unterschiede in den jeweiligen Präferenzen der einzelnen Vektoren für bestimmte Ziele im Erbgut.
HIV bevorzugt aktive Gene
 
Bild: PLoS Biology

Zu sehen ist ein Ausschnitt aus zwei menschlichen Chromosomen. Die so genannten Integrationsorte von HIV sind als blaue "Lollipops" markiert, für MLV stehen die pinkfarbenen, für ASLV die grünen.

Das Ergebnis ihrer Studie: Während etwa das HI-Virus aktive Gene in der Nachbarschaft bevorzugt und sich im Erbgut des Wirtes vor allem neben diesen einbaut, konzentrierte sich MLV auf chromosomale Regionen, an denen die "Übersetzung" in Proteine startet.

Das dritte Virus ASLV wiederum scheint für beide Bereiche keine besondere Vorliebe zu haben: Der Vektor "bevorzugt weder die Integration nahe Transkriptionsstellen, noch bevorzugt der deutlich aktive Gene", schreiben die Forscher in "PLoS Biology".
Ausblick für sicherere Gentherapien
Die Forscher sehen dies als Hinweis darauf, dass möglicherweise eine Virus-spezifische Bindung von "Integrationskomplexen" an bestimmte chromosomale Eigenschaften die jeweilige Ortswahl der Viren lenken könnte.

Über jene unterschiedlichen retroviralen "Integrationssysteme" könnten Wissenschaftler also mehr Kontrolle darüber gewinnen, wo genau die viralen Vektoren sich im menschlichen Genom eingliederten, spekulieren die Forscher um Mitchell. Mit anderen Worten: ein möglicher Ansatz zu sichereren Gentherapien.

Nach ihren Ergebnissen könnte sich etwa ASLV als besonders viel versprechender Kandidat herausstellen, da das Virus vor allem Transkriptionsstellen - zumindest im menschlichen Genom - tendenziell zu meiden scheint und nur eine schwache Bevorzugung für aktive Gene zeigt.
Neuer Ansatz für AIDS-Therapie
Und selbst für die Behandlung von AIDS könnten sich neue Ansätze zeigen. Schließlich benötigt HIV drei Enzyme, um seine Replikationszyklen im Organismus zu vollbringen: reverse Transkriptase, Protease sowie Integrase.

Die beiden Erstgenannten können durch gängige Therapien bereits in ihrer Aktivität behindert bzw. gestoppt werden, wie die Forscher in einer Aussendung berichten. Bleibt das Enzym Integrase, das - wie der Name bereits andeutet - für die Integration des Erregers ins Erbgut verantwortlich ist.

Sollten weitere Studien mehr Einblicke in die genauen Mechanismen der "Ortswahl" bei HIV liefern, könnte die Blockierung der Integrase vielleicht einst auf diesem Weg gelingen.
->   University of Pennsylvania School of Medicine
->   Alles zum Stichwort Gentherapie in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010