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Thermodynamik spricht für "low-carb"-Diäten  
  Die Frage nach der "richtigen" Diät wird immer wieder kontroversiell diskutiert. So gibt es etwa die These, dass sich kohlenhydratreduzierte Diäten - kurz als "low-carb" bezeichnet - besonders gut für eine Gewichtsreduktion eignen sollen. Nun wird die Debatte durch den Beitrag von zwei amerikanischen Biochemikern weiter angeheizt. Ihrer These zufolge kann man mittels Kalorienzufuhr aus Proteinen tatsächlich besser abnehmen. Sie berufen sich dabei auf die Hauptsätze der Thermodynamik.  
Richard Feinman von der State University of New York und Eugene Fine vom Jacobi Medical Center in New York behaupten damit, dass sich Kalorien unterscheiden lassen.
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Richard Feinman und Eugene Fine berichten im Nutrition Journal (Band 3, 28. Juli 2004) unter dem Titel "A calorie is a calorie violates the second law of thermodynamics" über ihre Thesen.
->   Originalartikel im "Nutrition Journal"
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"Eine Kalorie ist eine Kalorie"
Die umstrittene Idee, dass proteinreiche Diäten wesentlich besser beim Abnehmen helfen als konventionelle - Fett reduzierende - Maßnahmen, speist einen riesigen Industriezweig - mit großem finanziellen Erfolg.

Doch viele Ernährungsexperten bestreiten diese Ansicht mit dem Hinweis: "Eine Kalorie ist Kalorie, unabhängig davon woher sie kommt."
Hauptsatz der Thermodynamik
Der erste Hauptsatz der Thermodynamik wiederum erläutert das Prinzip der Energieerhaltung in einem abgeschlossenen System. Auf die Ernährung umgelegt bedeutet das: Die Gesamtenergie von Kalorien aus Proteinen, Fetten oder Kohlenhydraten bleibt gleich - darin stimmen auch Feinman und Fine überein.
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Kalorien und Thermodynamik
Definitionsgemäß ist eine Kalorie die durchschnittliche Wärmemenge, die benötigt wird, um ein Gramm Wasser von vier auf fünf Grad Celsius zu erwärmen. Die Thermodynamik definiert als Teilgebiet der Physik in den vier fundamentalen Axiomen, den vier Hauptsätzen, wie sich Wärme, Arbeit und Energie in einem System verhalten.
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Strittiger zweiter Hauptsatz
Der gängigen Lehrmeinung zufolge ist es daher unmöglich, bei zwei verschiedenen Diäten mit derselben Kalorienzufuhr eine unterschiedliche Gewichtsreduktion zu erreichen.

Wie die Amerikaner betonen, widerspreche dies allerdings dem thermodynamischen Prinzip des zweiten Hauptsatzes. Darin wird erläutert, dass die so genannte Entropie - ein Maß für die Unordnung eines Systems - bei irreversiblen Prozessen ansteigen muss.
Stoffwechsel entscheidend
Feinman und Fine argumentieren nun auf Basis der Entropie, dass Proteine und Kohlenhydrate auf unterschiedliche Weise abgebaut bzw. umgewandelt werden - und ihre Energie daher in verschiedene Formen strömt bzw. verteilt wird.

Wird beispielsweise Eiweiß vom Körper abgebaut, entsteht mehr Wärmeenergie als chemische Energie. Somit sei eine Energiebalance - sprich der gleiche Gewichtsverlust - bei unterschiedlicher Ernährung und gleicher Kalorienmenge nicht zu erwarten.
Kalorien werden unterschiedlich verarbeitet
Anders ausgedrückt: Selbst bei gleichem Gesamtkalorienverbrauch sei eine unterschiedliche Gewichtsabnahme durch verschiedene Ernährungsstrategien zu erwarten, so die beiden Biochemiker.

Die Argumentation von Feinman und Fine läuft darauf hinaus, dass die Energiemengen aus einem Stück Steak im Vergleich zu einer "kalorienäquivalenten" Brotscheibe doch unterschiedlich sind.
Kontainerexperiment
Diese theoretischen Überlegungen wurden experimentell ansatzweise bereits 2002 von einem dänischen Team untermauert. Damals wurde der genaue Energieverbrauch von zwölf Versuchspersonen berechnet, die sich in abgeschlossenen Räumen nach unterschiedlichen Diäten ernährten.

Die Versuchsgruppe mit der proteinreichen Kost verbrannte tatsächlich vier Prozent mehr Energie als die Kohlenhydrat-Probanden, so der Versuchsleiter Arne Astrup. "Mit Vorbehalten" stimmt er daher auch den Thesen von Fineman und Fine zu.
Was hilft wirklich?
Nach Meinung von Astrup und anderer Kollegen geht der theoretische Ansatzpunkt der Amerikaner aber am Wesentlichen vorbei.

Denn auch wenn Proteine und Kohlenhydrate unterschiedlich vom Körper verarbeitet werden, so bleibt der springende Punkt, ob "low-carb"-Diäten wirklich besser helfen Gewicht zu reduzieren als andere Ernährungsstrategien.
Der Haken an "low-carb"-Diäten
Diesbezüglich gibt es bislang nur wenige Studien - und diese liefern widersprüchliche Ergebnisse. Die besten Hinweise kommen von zwei Publikationen aus dem "New England Journal of Medicine" vom Mai 2003.

Sie zeigen, dass Personen mit "low-carb" und proteinreicher Ernährung bereits nach sechs Monaten dreimal mehr Gewicht verloren als Probanden mit protein- und fettarmen Diäten. Der Haken daran: Nach einem Jahr war der Gewichtsunterschied nur mehr minimal.
Doch weniger Kalorien als Erklärung?
Der Hauptgrund für die Gewichtsreduktion - gerade in den ersten sechs Monaten - beruht nach Meinung von Experten darauf, dass "low-carb"-Anhänger insgesamt eben doch weniger Kalorien zu sich nehmen, da sie sich durch Proteine besser gesättigt fühlen.
Thermodynamik ist zu vernachlässigen
Verglichen mit Faktoren wie der wesentlich aussagekräftigeren Gesamtenergiebilanz sollten die von Feinman und Fein betonten thermodynamischen Unterschiede in der Nahrungsverwertung zwischen Proteinen und Kohlenhydraten vernachlässigbar sein, meint etwa George Bray, Experte auf dem Gebiet der Fettleibigkeit von der University of Louisiana.
Gesundheitsfaktoren wichtiger
Der wirklich ausschlaggebende Grund für die Volkskrankheit Übergewicht, ist ihm zufolge eben nicht ein kleiner biochemischer Unterschied in der Nahrungsverwertung, sondern vielmehr die großen Nahrungsmengen, die von inaktiven Menschen aufgenommen werden.

Ernährungswissenschaftler Donald Layman von der University of Illinois argumentiert weiter und meint, dass nur Diäten abgestimmt auf die verschiedenen Ernährungstypen zum Erfolg führen.

Außerdem werde die Entscheidung darüber, welche Diätstrategie die sinnvollste ist, in Zukunft immer mehr von Gesundheitsfaktoren - wie Herzerkrankungen oder Diabetes - abhängen, denn das Zählen von Kalorien sei dafür zu wenig.
->   Department of Biochemistry der State University of New York
->   Medicine des Jacobi Medical Center
->   Homepage des New England Journal of Medicine
->   Lipid Sciences (University of Louisiana)
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Studie: Fettreduzierte Diät schützt vor Diabetes (12.2.04)
->   Gesunde "Mittelmeer-Diät" - Mythos oder Wirklichkeit? (27.10.03)
->   Mädchen wollen dünner, Burschen muskulöser sein (29.7.03)
 
 
 
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01.01.2010