News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Europäisches Forum Alpbach: Vom Lob der Grenzen  
  "Grenzen und Grenzüberschreitungen" lautet das Motto des diesjährigen - sechzigsten - Forums Alpbach. Und irgendwie liegt in der Luft, dass es prinzipiell gut sei, Grenzen zu überschreiten. Dem widersprach der Wiener Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann in seiner Eröffnungsrede. Im Gegenteil: Ein Lob der Grenze wolle er singen, sagte er gleich eingangs.  
Grenzüberschreitung als ein Privileg der Mächtigen
Liessmann wies darauf hin, dass Grenzen zu überschreiten häufig aggressiver Akt der Mächtigen war - und für die Schwachen politische, soziale oder auch moralische Grenzen häufig sogar Schutz statt Einengung boten:

"Grenzen niederzureißen, Grenzen zu überschreiten - seien es territoriale Grenzen oder die der Moral - kann nicht nur heißen, Weltoffenheit zu demonstrieren, oft ist es das tatsächlich. Aber es kann auch ganz einfach ein aggressiver Akt sein, bei dem die Integrität eines Menschen, einer Menschengruppe oder eines Landes missachtet wird."
...
Forum Alpbach 2004: "Grenzen und Grenzüberschreitungen"
Das Europäische Forum Alpbach (EFA) - seit nunmehr 60 Jahren renommierter sommerlicher Treffpunkt für internationale Politiker, Diplomaten, Ökonomen und Wissenschaftler - wurde am Donnerstag eröffnet. Die Veranstaltung widmet sich bis 4. September dem General-Thema "Grenzen und Grenzüberschreitungen".
->   Europäisches Forum Alpbach 2004
...
Grenzen sind nicht vorgegeben
Wie in der Politik, so sind auch in der Moral Grenzen nicht vorgegeben und nichts Starres, betonte Liessmann. Grenzen sind ein Ergebnis gesellschaftlicher Übereinstimmung.

Wenn Grenzen überschritten werden, so müsse eben immer auch gefragt werden, welche Werte und Güter durch diese Grenzen bisher geschützt worden sind und ob wir wirklich bereit sind, diese aufzugeben. Das gelte etwa für ethische Grenzen insbesondere in der Medizin.
Beispiel Sterbehilfe
Liessmann nennt als Beispiel die erlaubte Sterbehilfe in den Niederlanden, wo in der Praxis längst nicht mehr nur Sterbehilfe gemäß dem Willen der Sterbenden geleistet werde, sondern zunehmend ältere Menschen auch gegen ihren Willen getötet würden.

Vielleicht, so Liessmann, ist es besser, solche Grenzen nicht zu überschreiten - auch wenn das in einem ökonomischen Sinn ein wenig teurer sein mag.
Zustand der Welt: Grenzenlos und streng bewacht
Die Zwiespältigkeit von Grenzen betonte auch Gerard Toal, Direktor der Virginia School of Public and International Affairs:

Denn der viel zitierten Grenzenlosigkeit in Form der Globalisierung stehen zunehmend schwerer zu durchdringende Grenzen etwa gegenüber Flüchtlingen oder als Abwehr im Kampf gegen den Terror gegenüber.

Der Begriff Grenze muss neu definiert werden, die vernetzte Welt muss mit neuen Metaphern beschrieben werden wie faserig, drahtartig, verknotet, kapillarartig, sagt Toal.
Es gibt keine grenzenlose Welt
Grenzenlos sei auch eine globalisierte Welt jedenfalls nicht, meint Toal ebenso wie vor ihm Liessmann.

Jede Gruppenbildung führt unweigerlich zur Bestimmung von Grenzen. Wer eine Gruppen-Identität schafft, definiert auch gleichzeitig ein Außen; legt also fest, wer anders ist, wer nicht zu Gruppe gehört.

Das muss nicht unbedingt gleich negativ sein, meint Toal. Es dient auch der Orientierung, Ein- und Zuordnung. Entscheidend sei, dass Grenzen eben nicht der Exklusion dienten, sondern ein Austausch und wechselseitige Beeinflussung über Grenzen hinweg möglich sei.
Sozial definiert kontra territorial
Einen Widerspruch sieht Toal zwischen sozial definierten, daher immer wieder neu verhandelbaren und verhandelten Grenzen und den starren und unverrückbaren territorialen Grenzen. Bei letzteren, so Toal, gehe es immer noch vorrangig um Ab- und Ausgrenzen.

Welche Grenzen aber gut und notwendig und welche überflüssig sind, darüber sollen sich die Teilnehmer im Forum Alpbach in den kommenden zwei Wochen klar werden.

Franz Simbürger, Ö1-Wissenschaft
->   Website von Konrad Paul Liessmann (Universität Wien)
->   Virginia School of Public and International Affairs
...
Alpbach-Seminare in science.ORF.at
Einige Seminare, die im Rahmen des Forum Alpbach 2004 abgehalten werden, hat science.ORF.at in Form von Gastbeiträgen vorgestellt:
Trivialisierung und "Kitsch" in der Kunst
Werte, Normen, Devianz: Zwischen "normal" und "abweichend"
Grenzüberschreitungen in der Musik
->   Sämtliche Berichte zu Alpbach in science.ORF.at
...
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010