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Milchsäure macht müde Muskeln munter  
  Dass Muskeln müde werden, wenn sie stark belastet werden, wissen nicht nur die Athleten in Athen. Eine Ursache dieses Effekts, der selbst Couch Potatoes bekannt ist, wurde bisher in den erhöhten Milchsäure-Werten beanspruchter Muskeln gesehen. Dänische Forscher meinen nun, dass diese Übersäuerung auch ihr Positives hat: Sie hilft dabei, auch stark belastete Muskeln erregbar und leistungsfähig zu belassen - und somit vor frühzeitiger Übermüdung geradezu zu schützen.  
"Cleverer Trick"
Der erhöhte Säuregehalt kann sich also entgegen bisherigen Annahmen als positiv für die sportliche Leistung auswirken. Den Mechanismus bezeichnet das Forscherteam um Thomas Pedersen von der Fakultät für Physiologie der Universität Aarhus denn auch als "cleveren Trick" der Muskeln. Ihre Studie publizierten sie in "Science".
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Die Studie "Intracellular Acidosis Enhances the Excitability of Working Muscle" ist in "Science" (Bd. 305, S. 1144, Ausgabe vom 20. August 2004) erschienen.
->   Original-Studie in "Science" (kostenpflichtig)
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Umwandlung von Energie in Arbeit
Wenn sich Muskeln anspannen, wird chemische Energie - gespeichert im so genannten Adenosintriphosphat (ATP) - in mechanische Arbeit (Muskelarbeit) umgewandelt.

Diese Kontraktion wird durch Erregungsübertragung von einem Nerv ausgelöst. Dadurch wird ein bis dahin wirkender Hemmstoff zeitweise inaktiviert, so dass ATP zerfallen kann und seine Energie für die Kontraktionsarbeit freigibt.

Die wiederholte Belastung von Bewegungsmuskeln - etwa die Skelettmuskeln von Sportlern - wird durch eine schnelle Folge von Erregungsanstößen ausgelöst, verbraucht viel Energie und führt rasch zu Ermüdung.
Anaerobe Energieproduktion führt zu Übersäuerung
Bei besonders großer Anstrengung und Sauerstoffmangel schalten die Muskeln auf eine sauerstofffreie (anaerobe) Energieproduktion um. Bei dieser - energietechnisch betrachtet ineffizienten Form der Energiegewinnung - geht der Körper eine Sauerstoffschuld ein, er gewinnt ATP ohne Sauerstoff hinzuziehen zu müssen.

Die bei der so genannten anaeroben Glykolyse entstehende Brenztraubensäure wird als Milchsäure (Lactat) im Muskel gespeichert - der Muskel übersäuert.
Studien mit "nackten Muskelfasern"
Lautete die bisherige Annahme, dass aus dieser Übersäuerung eine Ermüdung der Muskeln resultiert, so sehen das Thomas Pedersen und Kollegen nun ein wenig anders. Nach ihren Studien dient die Milchsäure dazu, die Muskeln weiterhin erregbar und somit kontraktionsfähig zu belassen.

Für ihre Experimente verwendeten sie Muskelfasern von Laborratten, deren Membrane entfernt wurden, um die Bedingungen in den Muskelzellen direkt manipulieren und ihre Reaktionen auf geänderte Säuregehalte untersuchen zu können.
Entscheidende Rolle von Chlorid-Ionen
Wie die Wissenschaftler feststellen, spielen bei der Neubewertung der Rolle der Milchsäure Chlorid-Ionen eine entscheidende Rolle. Bei Muskeln im Ruhezustand dienen diese dazu, eine spontane Kontraktion zu vermeiden.

Die (intrazellulären) Chlorid-Ionen dämpfen die Erregbarkeit der Muskelfasermembran und des so genannten T-Systems - Einstülpungen der Membran, die es elektrischen Signalen erlauben von der Oberfläche der Faser bis in ihr Inneres zu dringen und sie komplett zu erregen. Sie sorgen dafür, dass sie sich nur noch durch Nervensignale - und nicht spontan - anspannen.
Milchsäure dreht Effekt um
Sobald Muskeln nun stark beansprucht werden, erhöht sich laut Pedersen und seinem Team die Konzentration von (extrazellulären) Kalium-Ionen - was zu einer schwereren Erregbarkeit des Muskels führe.

Die im Muskel erzeugte Milchsäure wirke diesem Effekt genau entgegen: Die Zellen lassen weniger Chlorid-Ionen durch, wodurch die Auswirkungen von zu viel Kalium ausgeglichen werde. Der Muskel bleibe weiter durch Nervenimpulse erregbar und kontraktionsfähig und ermüde in diesem Sinne nicht frühzeitig.
"Jüngste leistungssteigernde Substanz"
Die Aufdeckung dieses molekularbiologischen Mechanismus könnte Auswirkungen auf die sportwissenschaftliche Trainingslehre haben, weshalb die Milchsäure in einem Begleitkommentar von "Science" auch als "die jüngste leistungssteigernde Substanz" bezeichnet wird.
->   Mehr zu Skelettmuskeln und Kontraktion (biologieausbildung.de)
->   Universität Aarhus
->   Mehr zum Thema "Muskeln" in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010