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Offene Fragen zur Expansion des Kosmos  
  Das Universum dehnt sich seit dem "Urknall" immer weiter aus. Zudem scheint Studien zufolge die Expansionsgeschwindigkeit immer stärker zuzunehmen. Mit diesen Themen beschäftigt sich nun ein Seminar beim Europäischen Forum Alpbach 2004. Anlass für den Physiker Peter Aichelburg, in einem Gastbeitrag Einblicke in den Stand der Forschung zu geben. "Muss an den Fundamenten der Relativitätstheorie gerüttelt werden?", fragt der Wissenschaftler.  
Das dunkle Universum
Von Peter C. Aichelburg

Die moderne Kosmologie steht vor der größten Herausforderungen seit der Entdeckung der Hintergrundstrahlung.

Nicht nur, dass wir nur einen Bruchteil des Substrats, das unser Universum erfüllt, sehen können - scheint sich das Universum auch mit immer rascher Geschwindigkeit auszudehnen. Die Forscher stehen vor einem Rätsel. Muss an den Fundamenten der Relativitätstheorie gerüttelt werden?
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Seminar beim Europäischen Forum in Alpbach
Peter Aichelburg vom Institut für Theoretische Physik der Universität Wien ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Kuratoriums des Europäischen Forum Alpbach. Beim diesjährigen Forum leiten Sean Carroll (University of Chicago) und Robert M. Wald (University of Chicago) ein Seminar zu aktuellen Fragen der Kosmologie. science.ORF.at stellt dieses und weitere Seminare in Form von Gastbeiträgen vor.
->   Europäisches Forum Alpbach
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Ausdehnung und Urknalltheorie
Dass sich der Kosmos ausdehnt, ist seit der Beobachtung der Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien durch den Astronomen E. Hubble, Ende der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhundert, bekannt.

Dieses nicht statische Universum führte zur der Urknalltheorie. Das sich uns heute darbietende Universum entstand aus einer sehr heißen und dichten Urphase und dehnt sich seit etwa 13 Milliarden Jahren ständig aus.

Die heutige Materie, zusammengeballt in Form von Galaxien und Galaxienhaufen, Superhaufen und Filamenten entfernt sich immer mehr voneinander.
Stillstand und Rückkehr zur "Urphase"?
Eine der seit langem ungelösten Fragen ist, ob dies für immer so weiter gehen wird, oder die Expansion zu einem Stillstand kommt und das Universum sich danach anfängt zusammen zu ziehen und wieder zur "Urphase" zurückkehrt.
Anziehungskraft sollte Expansion bremsen
Diese Frage ist insofern berechtigt, weil durch die gegenseitige Anziehung der Materie die Expansionsgeschwindigkeit gebremst werden sollte - und es nur darauf ankommt, ob diese Anziehung ausreicht, die Expansion zu stoppen.
Hinweise auf immer höhere Geschwindigkeit
Seit den letzten fünf Jahren verdichten sich aber Beobachtungen die darauf hindeuten, dass die Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien sich vergrößert statt verringert.
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Supernovae lieferten erste Hinweise
Erste Hinweise kamen durch die Beobachtung sehr weit entfernter explodierender Sterne, so genannte Supernovae (vom Typ Ia) Ereignisse. Von diesen Ereignissen weiß man, durch Beobachtungen in benachbarter Galaxienhaufen, dass sie stets mit einer bestimmen Leuchtkraft auftreten. Daraus lässt sich die Entfernung abschätzen. Die Fluchtgeschwindigkeit ergibt sich durch die Dopplerverschiebung: das Verhältnis von ausgesandten zur beobachteten Wellenlänge der Strahlung hängt von der Relativgeschwindigkeit zwischen Quelle und Beobachter ab.
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Vergleich der Fluchtgeschwindigkeiten
Wie aber weiß man, dass sich die Expansionsgeschwindigkeit mit der Zeit verändert hat? Hier kommen die unvorstellbar großen Entfernung im Weltall zum tragen: Licht breitet sich mit ca. 300.000 km pro Sekunde aus und dennoch benötigt es von entfernten Objekten im Kosmos Millionen, ja Milliarden von Jahren bis zu uns.

Wir sehen die Objekte nicht wie sie heute sind, sondern wie sie waren als das Licht von ihnen auf die Reise ging. Daher lässt sich bei der Beobachtung sehr weit entfernter Quellen die damalige Fluchtgeschwindigkeit messen und mit der heutigen d.h. mit jener die wir an nahen Objekten messen, vergleichen.

1998 analysierten zwei Forschergruppen (Perlmutter et al. und Riess et al) die Daten von ca. 50 Supernovae, deren Licht mehrere Milliarden Jahre unterwegs war, und kamen zu dem Schluss, dass die Expansionsgeschwindigkeit damals geringer gewesen sein musste, als heute.
Einsteins Eselei
Wie schon erwähnt, sollte sich - durch die gegenseitige Anziehung der Materie - die Expansionsgeschwindigkeit verringern. Kann es etwas geben, das dieser Anziehung entgegen wirkt und sogar die Oberhand gewinnt? Normale Materie, wie wir sie kennen, selbst unter extrem hohen Drucken und Temperaturen, sicher nicht. Es muss schon etwas Exotisches sein, das zu einer beschleunigten Expansion führt.

Es war Einstein selbst, der kurz nach der Aufstellung seiner Gleichungen diese, 1917, auf die Kosmologie angewendet hat und bemerkte, dass ein statischer Kosmos unmöglich ist. Um einen statischen Kosmos zu erzwingen, ergänzte er seine Gleichungen durch die so genannte kosmologische Konstante.

Diese bewirkt eine Abstoßung und kann, wenn geeignet gewählt, die Anziehung der Materie ausbalancieren. Als die Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien beobachtet wurde und dies zum Modell eines expandierenden Universums führte, nannte Einstein das Einfügen der kosmologischen Konstante, seine "größte Eselei" und verwarf die Idee.
Das Wetterleuchten des Urknalls
Zusätzliche Unterstützung erhält die beobachtete beschleunigte Expansion durch eine andere Beobachtung - der Feinstruktur in der kosmischen Hintergrundstrahlung. Diese elektromagnetische Strahlung, oft als Wetterleuchten des Urknalls bezeichnet, stammt aus der Frühphase, als das Universum ca. 400.000Jahre alt war.

Zu dieser Zeit wurde der bis dahin undurchsichtiger Kosmos auf einmal transparent. Es bildeten sich neutrale Atome, die elektromagnetische Strahlung wurde nicht mehr gestreut und konnte dadurch ungehindert propagieren.
Temperaturverteilung im Kosmos
Sie gibt Kunde, dass das Universum damals mit einer elektromagnetischen Temperaturstrahlung von etwa 3000 Grad gleichmäßig erfüllt war und sich diese, durch die Expansion, heute auf 2,7 Kelvin (das sind etwa - 270 Grad Celsius) abgekühlt ist.

Die Temperaturverteilung ist bis auf ein zehntausendstel Grad überall gleich, unabhängig in welche Richtung man misst, was wieder auf eine gleichmäßige Verteilung der Materie im frühen Universum schließen läst.

Letzte, äußerst genaue Messungen dieser Hintergrundstrahlung haben nun ergeben, dass es minimale kleine Unterschiede in der Temperaturverteilung gibt. Die Skale, über die diese Schwankungen reichen, ist aber von der Massendichte bzw. Energiedichte im Kosmos abhängig.
Renaissance der kosmologischen Konstante
Will man diesen Beobachtungen gerecht werden, so kommt man zu dem Schluss, dass die meiste Materie im Universum nicht nur unsichtbar ist, sondern in der Wirkung der einer kosmologischen Konstante entspricht.

In Anbetracht der neueren Beobachtungen erlebt Einsteins Idee eine Renaissance, allerdings in einer neuen Interpretation. Könnte es sein, dass es Materie bzw. eine Energieform gibt, die dem Effekt einer kosmologischen (positiven) Konstante entspricht?
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Informationen zum Autor: Peter Aichelburg
Peter Christian Aichelburg ist Professor für theoretische Physik an der Universität Wien. Schulausbildung in Wien, Ascona (Schweiz) und Caracas (Venezuela). Er studierte Physik, Mathematik und Philosophie. Sein Arbeitsgebiet ist Gravitation und Kosmologie. Forschungsschwerpunkte sind mathematische und geometrische Aspekte der Allgemeinen Relativitätstheorie, im speziellen Gravitationskollaps und Theorie der schwarzen Löcher. Zur Zeit ist er Vorsitzender des wissenschaftlichen Kuratoriums des Europäischen Forum Alpbach.
->   Institut für theoretische Physik (Universität Wien)
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Mehr zu den Alpbach-Seminaren 2004 in science.ORF.at:
->   Manfred Prisching: Werte, Normen, Devianz (5.8.04)
->   Reinhard Kannonier: Grenzüberschreitungen in der Musik (10.8.04)
->   Susanne Vill: Trivialisierung und "Kitsch" in der Kunst (13.8.04)
->   Sämtliche Berichte zu Alpbach 2004 in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010