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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Wissenschaft trifft Öffentlichkeit - aber wie?  
  Durch "Public Understanding of Science" - also ein besseres öffentliches Verstehen von Wissenschaft - wollte man in der Vergangenheit das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit verbessern. In zwei neuen Büchern dreht die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny mit einigen Kollegen den Spieß um: Sie setzen bei der Wissenschaft an und fordern die Produktion von "sozial robustem" Wissen.  
Wenn es um das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft ging, dann lautete bis vor einigen Jahren das offizielle wissenschaftspolitische Credo "Public Understanding of Science" (PUS).
Mehr Wissen = positivere Haltung
In schlichter aufklärerischer Manier war man davon ausgegangen, dass in der Bevölkerung ein großes Wissensdefizit in Sachen Forschung und Technologie herrsche, weshalb die Öffentlichkeit ihr auch immer kritischer gegenüber stehe - Stichwort Atomkraft, BSE oder Gentechnik.

Wenn die Leute aber erst einmal mehr über Wissenschaft wüssten, dann wären sie ihr gleich viel positiver gesonnen.
Von Understanding bis Engagement
PUS hat mittlerweile ausgedient, nicht nur, weil sich der Zusammenhang von höheren Kenntnissen und mehr Zustimmung keineswegs als eindeutig erwiesen hat.

Nach diesem ausschließlich aus der Perspektive der Wissenschaft gedachten Konzept bemühte man sich einige Jahre um "Public Awareness of Science" - so wie auch im Rahmen der österreichischen Kampagne "Innovatives Österreich".
->   www.innovativesoesterreich.at
Public Engagement with Science
Und seit kurzem ist zumindest im angloamerikanischen Raum "Public Engagement with Science" als neue Maxime angesagt, um zu symmetrischeren Dialogen zwischen Experten und Laien zu kommen.
->   Infos und Materialen zu "Public Engagement with Science"
Wissenschaft neu denken

Im Gegensatz zu diesen Bemühungen, die in erster Linie die Öffentlichkeit im Auge haben, schlägt die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny mit ihren Kollegen Peter Scott und Michael Gibbons einen ganz anderen Ansatz vor:

Sie setzen bei der Wissenschaft an und wollen "Wissenschaft neu denken", so der Titel ihrer seit kurzem auf Deutsch vorliegenden Studie, die vor drei Jahren bereits auf Englisch erschienen ist ("Re-Thinking Science", Polity Press).
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Helga Nowotny ist Direktorin von "Society in Science: The Branco Weiss Fellowship" an der ETH Zürich und Vorsitzende von EURAB (European Research Advisory Board) der Europäischen Union. Bis September 2002 war sie Professorin für Wissenschaftsforschung an der ETH in Zürich und Leiterin des Collegium Helveticum.
->   Homepage von Helga Nowotny (ETH Zürich)
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Kommunikation in beide Richtungen
Während gemeinhin davon ausgegangen wird, dass die Kommunikation zwischen den beiden Sphären wie eine Einbahnstraße von der Wissenschaft in Richtung Öffentlichkeit verläuft, argumentieren Nowotny & Co. in ihrem buchlangen Essay, dass die beiden Sphären längst sehr viel enger und in beide Richtungen verflochten sind.

Und vor allem: "Science talks back to society", wie es im englischen Original heißt.
Sozial robuste Wissensproduktion
Das verkompliziert die Sache nicht nur, es erhöht auch den Erwartungsdruck. Wie aber kann die Wissenschaft ihre Legitimationskrise abschütteln, wenn PUS nicht hilft?

Nowotny meint mit ihren britischen Kollegen, dass die Wissenschaft in Hinkunft nicht nur zuverlässiges Wissen produzieren wird, wie sie das bisher getan hat. Zum Kriterium der Richtigkeit muss auch das der sozialen Robustheit hinzukommen.

Wissen muss also so beschaffen sein, dass nicht nur innerhalb der Scientific Community, sondern auch gesellschaftlich akzeptiert wird.
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Helga Nowotny, Peter Scott und Michael Gibbons ([2001] 2004): Wissenschaft neu denken. Wissenschaft und Öffentlichkeit in einem Zeitalter der Ungewissheit. Aus dem Englischen von Uwe Opolka. Weilerswist 2004 (Velbrück). 339 S., Euro 37,10
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Der "eingebildete" Laie
Wie eine solche Wissensproduktion aussehen könnte, bei der Laien zumindest theoretisch beteiligt sind, hat Nowotny in einem zweiten neuen Buch - diesmal mit Zürcher Mitarbeitern - untersucht.

Unter dem Titel "Imaginierte Laien" wird in vier Fallstudien über vier sehr unterschiedliche Bereiche erkundet, inwieweit die Anliegen der Öffentlichkeit in Expertisen eingehen bzw. Laien daran mitbeteiligt sind:

bei Umweltberatungsfirmen, bei der Regulation von gentechnisch veränderten Lebensmitteln, bei der Konzeption von Ausstellungen in Großforschungseinrichtungen sowie bei der Schweizer Umweltforschung.
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Priska Gisler, Michael Guggenheim, Allessandro Maranta, Christian Pohl und Helga Nowotny (2004): Imaginierte Laien. Die Macht der Vorstellung in wissenschaftlichen Expertisen. Weilerswist 2004 (Velbrück). 196 S., Euro 24,50
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Die Laien-Experten-Kluft
Gemeinsam ist den Untersuchungsbefunden, wie nicht weiter überraschend, dass die Experten mehr wissen als die Laien - bzw. in der Sprache der Wissenschaftsforscher: dass "epistemische Asymmetrie" herrscht.

Doch zumeist sind Laien gar nicht direkt beteiligt, da Kommunikation mit ihnen als wenig sinnvoll erachtet wird.

Anstatt dass die Wissenschaft auf die Laien zugeht, werden die Laien im Normalfall von den Experten bloß imaginiert: Denn so kann der wissenschaftliche Sachverstand durchgesetzt werden, ohne dass die öffentlichen Erwartungen enttäuscht werden.
Imaginierte Dialoge
Doch das ist für eine nachhaltige Verbesserung bzw. Demokratisierung des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu wenig. Also setzen Nowotny & Co. ihre Hoffnung auf Partizipationsexperimente wie Dialogforen oder Bürgerkonferenzen.

Diese Bemühungen, die als "imaginäre Dialoge" bezeichnet werden, sollten in Hinkunft eine sozial robustere Wissensproduktion ermöglichen als dies bisher der Fall war. Entscheidend dabei ist allerdings, dass sich Experten und Laien dabei offen und auf gleicher Augenhöhe begegnen.

Klaus Taschwer, heureka
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Klaus Taschwer ist Redakteur von "heureka", dem Wissenschaftsmagazin im Falter, sowie Ko-Leiter des Universitätslehrgangs für Wissenschaftskommunikation.(www.scimedia.at)
->   "heureka"
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01.01.2010