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Auf der Suche nach den Ursachen des Alterns  
  Dass alle mehrzelligen Organismen im Laufe ihres Lebens altern und sterben müssen, gilt in den Biowissenschaften als Naturgesetz. Die Ursachen dieses Prozesses sind hingegen noch immer nicht restlos aufgeklärt. Wie britische Mediziner in einem aktuellen Artikel ausführen, gelten zurzeit Erbkrankheiten, die bei Patienten zu frühzeitigem Altern und Tod führen, als die besten Modellfälle für die medizinisch-molekulare Forschung.  
Richard G. A. Faragher von der University of Brighton und seine Co-Autoren betonen, dass vor allem das so genannte Werner-Syndrom (WS) - eine Krankheit, die Betroffene mit 40 Jahren wie Greise aussehen lässt - wertvolle Einsichten in die Natur des Alterns ermöglicht.

Die molekulare Ursache der WS-Symptome ist der Ausfall des Enzyms "WRN-Helikase", der bestimmten Zelltypen ihre natürliche Teilungsfähigkeit raubt.
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Der Review-Artikel "What Can Progeroid Syndromes Tell Us About Human Aging?" von D. Kipling et al. erschien im Fachjournal "Science" (Band 305, S. 1426-31, Ausgabe vom 3.9.04). Der Text ist Teil des Themenschwerpunktes "Piecing Together Aging" der aktuellen Ausgabe von "Science", worin der aktuelle Stand der Alters-Forschung vorgestellt wird.
->   Zum Themenschwerpunkt in Science
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Bewährte Methode: Modell als Forschungsobjekt
Was tut man, um die Ursachen eines komplexen biologischen Phänomens zu erforschen? Klassische Antwort: Man sucht nach einem bewährten Modellorganismus, manipuliert ihn unter definierten Versuchsbedingungen und erforscht so schrittweise die gesuchten Ursachen bis zur Ebene der Moleküle.

Diese Strategie war nicht zuletzt in der Alters-Forschung erfolgreich. So hat man etwa bei der Fruchtfliege, dem Fadenwurm und der Hausmaus eine Reihe von Punktmutationen gefunden, die den Alterungsprozess einbremsen.
Von Mäusen für Menschen
Dass solche Ergebnisse auch für den Menschen relevant sind, wird üblicherweise folgendermaßen begründet:

Viele der untersuchten biochemischen Prozesse finden sich in sehr ähnlicher Form bei allen Tierarten (etwa die DNA-Replikation), folglich sollten Fliegen und Mäuse auch gute Modelle für Homo sapiens darstellen.
Alterung kann artspezifisch ausfallen
Richard G. A. Faragher und seine Kollegen raten in ihrem Artikel allerdings zu einer differenzierteren Sichtweise: Da Altern vor allem ein degenerativer Prozess ist und nicht einer strengen genetischen Kontrolle unterliegt, sei es sehr wahrscheinlich, dass "Altern" in verschiedenen Tierarten etwas ganz Unterschiedliches bedeutet.

Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass toxische Inhaltsstoffe der Samenflüssigkeit bei Drosophila melanogaster eine wichtige Ursache des Alterns von weiblichen Fruchtfliegen darstellt.

Bei Säugetieren spielen solche Vorgänge - wenn überhaupt - nur eine untergeordnete Rolle. Daher sei es notwendig, so Faragher und Kollegen, zwischen universellen und artspezifischen Alterungsmechanismen zu unterscheiden (siehe Tabelle).
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Beispiele für Alterungsmechanismen
Universell:
- Oxidative Schädigungen von Biomolekülen
- Änderungen des Insulin-Haushalts bzw. des "insulin-like growth factors"
- Änderungen des Energiehaushalts

Artspezifisch:
- Toxische Effekte von Spermien (Fruchtfliege)
- Extreme Verdickung der Körperhülle (Fadenwurm)
- Ringförmige DNA außerhalb der Chromosomen (Bäckerhefe)
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Modellkrankheit Werner-Syndrom
Bild: National Center for Biotechnology Information
Eine Möglichkeit, der Vielgestaltigkeit des Phänomens "Altern" zu begegnen, ist die Konzentration auf so genannte progeroide Syndrome - menschliche Erbkrankheiten, bei denen der Körper der Patienten gewissermaßen im Zeitraffer vergreist. Ein gut untersuchtes Beispiel dafür: Das Werner-Syndrom (WS).

Betroffene dieses genetischen Defekts bleiben - infolge des ausbleibenden pubertären Wachstumsschubes - relativ kleinwüchsig, leiden an einer frühzeitigen Ausbildung von Arteriosklerose, TypII-Diabetes, Osteoporose u.a.m. und versterben im Schnitt im Alter von 47 Jahren.

Aufgrund von Veränderungen der Haut sowie der Haare vergreisen die Betroffenen auch in äußerlicher Hinsicht, wie die Aufnahmen einer japano-amerikanischen Patientin im Teenageralter bzw. mit 48 Jahren zeigen (Bild rechts).
->   Mehr zum Werner-Syndrom (medicine-worldwide)
Ursache: Störung von Enzymfunktion
Wie bereits länger bekannt ist, wird WS durch Mutationen an dem Enzym WRN-Helikase, einem Mitglied der so genannten RecQ-Molekülfamilie, ausgelöst.

Dieses Enzym ist an einer Reihe von lebenswichtigen biochemischen Vorgängen beteiligt, wie etwa der DNA-Rekombination, dem programmierten Zelltod u.a.m.

Die Hauptaufgabe des Moleküls dürfte in der Beteiligung an der DNA-Replikation liegen. Ist diese Funktion gestört, häufen sich weitere Mutationen an, der Totalausfall führt bei bestimmten Zelltypen zu einer Verringerung der Teilungsfähigkeit um bis zu 80 Prozent.
->   Mehr zur Funktion der WRN-Helikase (Davidson College)
Knifflige Frage: Was erzählt die Krankheit über das Altern?
Wie Faragher und Kollegen in ihrem Artikel ausführen, beginnt an diesem Punkt erst die eigentliche wissenschaftliche Suche, nämlich die nach der korrekten Interpretation des Modellfalls "Werner-Syndrom".

Im Prinzip sei es nämlich möglich, dass WS der Wissenschaft gar nichts Relevantes über Alterungsprozesse mitzuteilen hat - und zwar dann, wenn es Altern nur auf eine oberflächliche Art und Weise imitiert. Eine zweite, optimistische Möglichkeit sei, dass WS das ideale Bindeglied zwischen DNA-Stoffwechsel und Alterung darstellt.
Mosaikartiges Altern
Beides trifft nach Ansicht der Autoren nicht zu. Letzteres vor allem deswegen nicht, weil WS nicht alle Zellen altern lässt. So sind etwa Hautzellen bei der Krankheit von Vergreisungssymptomen betroffen, Immunzellen hingegen nicht.

Der Körper der Patienten vergreist also genau genommen nicht in seiner Gesamtheit, sondern eher mosaikartig. Daher sei es wichtig, so die britische Mediziner, jeder Erbkrankheit ihren erkenntnisleitenden Platz auf der Suche nach den Ursachen des Alterns zuzuweisen.

Im Fall des Werner-Syndroms liegt dieser im Zusammenhang zwischen der Zellteilung und Alterung bestimmter Gewebe.
Viele gute, aber kein ideales Modell
Bei anderen progeroiden Syndromen - wie etwa der Hutchinson-Gilford-Erkrankung - liegt der Platz wieder an einer anderen Stelle im molekularen Geflecht: Letztere erzeugt zwar - oberflächlich gesehen - nicht unähnliche Symptome, die Ursachen liegen jedoch in einer erhöhten Rate des programmierten Zelltodes.

Die progeroiden Erkrankungen geben nach Ansicht von Faragher und Kollegen äußerst brauchbare Modelle zur Alterung des Körpers ab, ein ideales Forschungsobjekt, das sämtliche Aspekte des Phänomens abdeckt, gibt es jedoch leider nicht.
->   University of Brighton
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01.01.2010